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Design-Taser: Elektroschocker in Leoparden- Fell (Spiegel Online, 9.1.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Design-Taser

Elektroschocker in Leoparden- Fell

MP3-Holster und Leopardenfell-Muster: Die US-Firma Taser vermarktet ihre umstrittenen Elektrowaffen inzwischen als Lifestyle-Technik, um Frauen zu locken und das ganz große Geschäft zu machen. Neuste Vertriebsidee: Taser-Partys zum Kennenlernen der Handtaschen-Elektroschocker.

Spiegel Online, 9.1.2008

Peter Holran hat mit der Waffe in seiner Hand eines gemeinsam: Sie sind beide verkleidet. Der bullige Lobbyist Holran, beim US-Elektroschocker-Produzenten Taser für Politikkontakte und PR zuständig, sitzt auf einem Sofa mit Leopardenfell-Flecken, schiebt seine Krawatte mit entsprechendem Felldesign zurecht.

Das Outfit passt nicht zu Holrans schwarzem Anzug und dem silbernen Anstecker in Pistolenform an seinem Revers. So wie Pistolen sehen die Waffen normalerweise aus, die Holrans Firma vor allem an Profis verkauft – mehr als 460.000 Taser-Waffen wurden seit 1994 verkauft, davon rund 300.000 an Strafverfolgungsbehörden oder das Militär.

Die Produkte, von denen Taser sich nun enormes Wachstum verspricht, haben äußerlich mit Pistolen nichts gemeinsam. Das neueste Taser-Modell in Holrans Hand hat das gleiche Muster wie seine Leopardenfell-Krawatte. Dass man damit Menschen mit bis zu 50.000 Volt traktieren kann, sieht man dem Mini-Schocker nicht an. Die Designer-Waffe ist etwas größer als ein Smartphone und mit Flecken im Leopard-Design überzogen. Taser hat sie auf der Hightech-Show CES in Las Vegas vorgestellt. Slogan: "Fashion with a bite" – zu Deutsch etwa "Mode mit Biss".

Holran wirft den Leoparden-Taser hoch, fängt ihn auf und zielt auf seine Assistentin Bari Yonkers. Ein roter Laserpunkt wandert ihren Hals hinab. Holran drückt ab, ein Spannungsbogen brutzelt an der Vorderseite der Waffe. Der Lobbyist lacht: "Natürlich ist kein Projektil drin." Den Stromschlag überträgt ein Taser sonst über zwei winzige, auf das Ziel geschossene Drähte.

Holran deutet mit dem Leoparden-Schocker auf Yonkers: "Das ist unser Taser für sie." Holran meint die Frau als Kundin – den Wachstumsmarkt, von dem sich Taser so viel verspricht.

Sofaecken und Playboy-Schönheiten

Der Leoparden-Taser (379 Dollar) ist ein Teil der Taser-Kampagne, um neue, weibliche Käufer zu gewinnen. Schon vor einem Jahr stellte die Firma an gleicher Stelle auf der CES die erste Version handtaschenkompatibler Elektroschocker vor – in Farben wie Rosa und Hellblau. Die Firma experimentiert mangels Erfahrung – manche Bemühungen wirken so skurril wie Holrans Leoparden-Krawatte. Der Leoparden-Schocker ist in Las Vegas in einer Halle neben aufgemotzten Autos zu sehen, wo man die alte, männliche Taser-Zielgruppe vermutet.

Und da werben, gegenüber von einem mit Lautsprechern vollgepackten, aufgebockten Geländewagen (man kann stehend nur mit Mühe ins Innere blicken) vier ehemalige Playboy-Playmates für den Elektroschocker. Männliche Messebesucher lassen sich von Hiromi Oshima (Miss Juni 2004) und Co. Autogramme geben. Alles unter einem Schild mit dem aberwitzigen Slogan: "Schütz sie, wenn du sie liebst". Was für ein Frauenbild.

Elektroschocker-Holster spielt MP3-Musik

Taser-Manager Holran findet den Slogan völlig zutreffend: "Es ist einfach so, dass viele Männer für ihre Frauen einen Taser kaufen." Genauso sachlich begründet Holran den MP3-Taser: Das neue Schocker-Holster mit integriertem 1-Gigabyte-Musikabspieler sei mehr als ein Lifestyle-Produkt: "Das Holster wird Kunden helfen, ihren Taser immer bei sich zu haben."

Holran erzählt von seiner Frau, die ihren Taser immer zu Hause liegen lässt, wenn sie joggen geht. Holran: "Ihren MP3-Player nimmt sie aber mit." Außerdem könnte der MP3-Taser im Notfall helfen: "Wenn sie jemand bedroht, ihren MP3-Player klauen will, greifen sie einfach in die Tasche, wo die Kopfhörer hinführen und holen ihren Taser raus."

Verkaufspartys wie bei Tupperware

Holran hat erkannt: "Frauen wollen sich nicht in Waffenläden über Taser informieren", sondern im Wohnzimmer. Die 34-jährige Freiberuflerin Dana Shafman aus Phoenix hatte die Idee, Tupperware-artige Verkaufpartys für Taser-Waffen zu schmeißen. Sie verkauft seit langem über einen Online-Shop Taser-Schocker. Im Oktober lief ihre erste Taser-Party. Seither verkauft sie so etwa 30 Elektroschocker im Monat – zu 349 Dollar je Stück.

Shafman arbeitet unabhängig von Taser. Die Firma beobachtet den Erfolg der Verkaufspartys aber genau, schickt zu Shafmans Veranstaltungen Firmenvertreter, die Fragen beantworten. Eine eigene Party-Vertriebsorganisation plant Taser nicht – derzeit. Taser-Manager Holran: "Dieser Erfolg hat uns überrascht. Unsere Kunden wollen das offenbar, also müssen wir da mehr tun. Wenn Dana Shafman eine Vertriebsfirma gründet, wird die Sache sicher interessant."

Amnesty International: 277 Taser-Tote

Die Verkaufspartys könnte Taser nutzen, um der schlechten PR der vergangenen Monate entgegenzuwirken: Im Oktober starb der polnische Fluggast Robert Dziekanski am Flughafen von Vancouver, nachdem Polizisten ihn mit einem Taser ausgeschaltet hatten, im November starb der Kanadier Robert Knipstrom nach einem Taser-Einsatz. Amnesty International spricht von 277 Taser-Toten seit 2001.

Taser schreibt hingegen in seinen Broschüren: "Unsere Technologie ist als die effektivste Methode belegt, Angreifer zu stoppen, ohne sie zu töten." Eine vom US-Justizministerium finanzierte medizinische Studie über die Taser-Polizeieinsätze ergab im vorigen Herbst, dass Taser statistisch gesehen höchst selten ernsthaft verletzten.

Taser-Party-Erfinderin Dana Shafman kommentierte diese Debatte gegenüber der Nachrichtenagentur AP so: "Wenn ich die Wahl hätte, womit ich angegriffen werde, würde ich den Taser Schusswaffen oder Messern vorziehen." Und die Sorge, dass Gangster Taser-Schocker nutzten, sei übertrieben – schließlich sende Taser den Aktivierungscode für neu verkaufte Waffen den Kunden erst nach einem Personencheck.

Solche Einschätzungen hat Manager Holran gern: "90 Prozent der US-Bürger haben vom Taser gehört – aber nur ein Zehntel weiß, wie der Taser wirklich funktioniert. Das werden wir ändern."

Und wenn es dafür landesweite Taser-Partys braucht.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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