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Deutschland-Start: YouTube-Filter schlampt bei Nazi-Filmen (Spiegel Online, 15.11.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Deutschland-Start

YouTube-Filter schlampt bei Nazi-Filmen

Die deutsche Seite von YouTube zeigt NS-Propagandafilme im Originalton und zwar vollkommen unkommentiert. Die beim Start versprochenen Filtermaßnahmen greifen nicht immer: Teile von Filmen werden gesperrt, andere bleiben online – ein Willkür-Filter.

Spiegel Online, 15.11.2007

Die SA stürmt Berlin, die HJ marschiert und Leni Riefenstahl inszeniert Hilter als Führer – beim Videoportal YouTube sind NS-Propagandafilme mit diesen Szenen zu sehen. "Hans Westmar" und "Hitlerjunge Quex" gibt’s auszugsweise, "Triumph des Willens" sogar komplett.

Nach deutschem Recht dürften diese Filme so nicht zu sehen sein. Wilfried Schneider, Sprecher der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, schätzt das Angebot gegenüber SPIEGEL ONLINE so ein: "Propagandafilme wie ‘Triumph des Willens’ fallen unter das Verbreitungsverbot nach Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs." Natürlich gebe es Ausnahmen, zum Beispiel "wenn die Verbreitung der Kunst, Wissenschaft oder staatsbürgerlichen Aufklärung gilt.." Grundsätzlich gelte aber: "Eine unkommentierte Aufführung des Films ist jedenfalls in Deutschland nicht erlaubt", so Schneider.

Aber genau so ist "Triumph des Willens" seit Monaten auf YouTube zu sehen: Ende August hat der Nutzer "judenfrey" den Film in zehn Teilen hochgeladen. Im Vorspann des ersten Clips wird der Historiker Anthony R. Santoro von der Christopher Newport Universität aus dem US-Bundesstaat Virginia als Berater genannt. Santoro bestätigt SPIEGEL ONLINE, für eine DVD-Ausgabe des Films einen einordnenden Audio-Kommentar geschrieben und eingesprochen zu haben: "Die DVD hat aber drei Audiospuren", erklärt Santoro. Auf YouTube sei aber nur der NS-Originalton von 1934 zu hören.

NS-Propagandafilme im Originalton

Auf der vor einer Woche gestarteten deutschen Lokalseite von YouTube ergibt das Filmangebot von Nutzer "judenfrey" eine makabere Mischung: Oben tönt ein olivgrünes YouTube-Werbebanner: "YouTube gibt es jetzt auch auf Deutsch!" und darunter sieht man "Triumph des Willens" im NS-Originalton. Wie immer man zum Verbot solcher Aufführungen in Deutschland stehen mag – Fakt ist, dass das aktuelle YouTube-Angebot deutschem Recht widerspricht.

Und die Kommentare mancher Zuschauer sprechen eindeutig dagegen, dass das Clip-Angebot als staatsbürgerliche Aufklärung verstanden wird. "DerAdler2" schreibt von "Aufbruchszeit" und Nutzer "KriegerWodans" kommentiert: "Schlagt das dreckige Judenpack nieder, für die Deutsche Nation und die Reinheit Germanisch-Arischen Blutes."

Beim Start der deutschen Lokalseite vor einer Woche (mehr…) versprach YouTube, solche Probleme anzugehen. Patrick Walker, bei Google und YouTube als Direktor für Medienpartnerschaften zuständig, betonte damals, dass YouTube "lokale Gesetze streng" einhalten werde: "Wir haben für jede Lokalversion eigene Nutzungsbedingungen, die bestimmen, welche Inhalte man einstellen darf."

YouTube-Filter verlässt sich auf Nutzer-Hinweise

Bei der Entdeckung dieser Inhalte verlässt sich YouTube auf die Zuschauer und Interessengruppen: "Wir haben ein Team, das weltweit rund um die Uhr Hinweise prüft und Inhalte gegebenenfalls entfernt." YouTube selbst prüft die Inhalte jedoch nicht. Einmal gesperrte Clips werden per Hashing-Verfahren, einer Art digitalem Fingerabdruck, bei YouTube auf eine Sperrliste gesetzt. Sie können nicht wieder hochgeladen werden. Mit derselben Methode arbeitet auch der Urheberrechtsfilter von YouTube (siehe Kasten unten).

URHEBERRECHT: SO FUNKTIONIERT DER YOUTUBE-FILTER

Datenbank geschützter Inhalte
YouTube baut eine Datenbank mit geschützten Video-Inhalten auf. Die können Medienkonzerne selbst speisen. Sprich: Sie schicken ihre schützenswerten Inhalte zur Analyse an YouTube. Andere Möglichkeit: Sie beobachten selbst, was Nutzer bei YouTube hochladen und melden dem Portal alle Clips, die ihre Rechte verletzten – diese Daten gehen dann auch in die Datenbank ein.

Fingerabdruck
Aus dieser Datenbank destilliert YouTube eine Art Fingerabdruck für jede beanstandete Datei. Mit diesen Daten gleicht der Filter alle neu bei YouTube hochgeladenen Videos ab.

Filter prüft Uploads
Stimmt ein neu hochgeladenes Video mit einem bereits beanstandeten überein, kann YouTube den Upload sperren. YouTube wird aber auch, falls die Rechteinhaber das wünschen, das Video einstellen, mit Werbeeinblendungen und Verweisen auf die Quelle belegen und dem Rechteinhaber einen Teil der Werbeeinnahmen zukommen lassen

Das Filter-System scheint bei Nazi-Filmchen allerdings nicht so gut zu funktionieren. Nach einem anonymen Hinweis von SPIEGEL ONLINE am Dienstagabend – man kann Clips per Mausklick als bedenklich melden – entfernte das YouTube-Filterteam den zehnten Teil von "Triumph des Willens". Am Mittwochmorgen hieß es beim Aufruf der URL: "Dieses Video wurde aufgrund eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen entfernt."

Die anderen neun Clips mit den restlichen Teilen des Films entfernte YouTube jedoch nicht. Eine Anfrage an die Google-Pressestelle vom Mittwochnachmittag zum Hintergrund dieser nicht schlüssigen Sperrpolitik blieb bis Donnerstagmittag unbeantwortet.

Schwammige Regeln, inkonsistente Entscheidungen

Welche Inhalte auf YouTube nichts zu suchen haben, definieren die "Community-Richtlinien" recht schwammig. Die deutschen Regeln klingen genauso vage wie die englischen: "Eine Hassrede, die Verleumdungen enthält oder Stereotypen böswillig verwendet, um andere Personen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Rasse, Religion oder Nationalität zu erniedrigen" sei nicht erwünscht. Auf die besondere rechtliche Situation in Deutschland, zum Beispiel in Hinblick auf NS-Propagandafilme, gehen die Richtlinien nicht ein.

Hinzu kommt, dass YouTube den "Triumph des Willens"-Clip nicht nur für deutsche Nutzer gesperrt, sondern komplett gelöscht hat. Auch Nutzer aus dem US-Raum sind davon betroffen, wie ein Test von SPIEGEL ONLINE ergab. Doch in den Vereinigten Staaten verbietet kein Gesetz, Propagandafilme wie "Triumph des Willens" unkommentiert zu verbreiten.

Dabei kann YouTube Clips heute schon regional filtern. Es wäre möglich, NS-Filme US-Nutzern zu zeigen, in Deutschland aber zu blockieren – sofern YouTube das will. TV-Sendern bietet YouTube heute schon solche Filter-Möglichkeiten: YouTube bestimmt anhand der IP-Adressen der Besucher, welche Regeln für ihr Land gelten. Manager Patrick Walker beschreibt als Beispiel das BBC-Angebot bei YouTube: "Die BBC zeigt in Großbritannien werbefreie Angebote, die ihrem Sendeauftrag dort entsprechen. Ihre kommerziellen Inhalte sind mit Werbung nur für Zuschauer außerhalb Großbritanniens zu sehen."

Beim Umgang mit Nazi-Filmchen scheinen die YouTube-Kontrollen weit weniger ausgefeilt zu sein – neun der zehn Abschnitte von "Triumph des Willens" waren am Donnerstagvormittag noch beim deutschen YouTube-Portal zu sehen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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