Zum Inhalt springen

Die erste Cat-Cam: Kater Lee fotografiert seine Welt (Spiegel Online, 5.6.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Die erste Cat-Cam

Kater Lee fotografiert seine Welt

Was treibt meine Katze den ganzen Tag? Ingenieur Jürgen Perthold hat eine Katzen-Kamera gebastelt und sie seinem Kater umgehängt. Sie schießt jede Minute ein Foto, 48 Stunden lang – und zeigt, was Katzen wirklich tun: in Garagen einbrechen zum Beispiel.

Spiegel Online, 5.6.2007

Mr. Lee ist verliebt. In die rothaarige Katze hinter dem hohen Stahlzaun der Nachbarn. Sie sitzt dort auf der Ziegelmauer und mustert ihre Verehrer, die draußen umherstreifen: Den hageren schwarzen Kater und Mr. Lee, den grau-getigerten Schönling mit dem weißen Hals – und der umgehängten Mini-Kamera. Die hat Mr. Lees Herrchen entworfen, der Ingenieur Jürgen Perthold. Die erste Umhängekamera für Katzen ist seine Erfindung.

Schuld ist mit Mr. Lees eigenwilliger Lebenswandel: Manchmal bleibt er den ganzen Tag draußen, kommt abends hungrig zurück, nicht selten von Kampfspuren gezeichnet. Die eine oder andere Nacht verbringt Kater Lee gleich ganz draußen. "Ich wollte herausfinden, was er tut, wo er den Tag über ist", beschreibt Perthold seine Motivation. Wegen seines Jobs lebt Perthold mit Familie derzeit in den Vereinigten Staaten, in Anderson, South Carolina: "Dementsprechend hat die Katze auch mehr Auslauf und es gibt hier ein paar ziemlich undurchdringliche Ecken", erzählt er SPIEGEL ONLINE.

Das Gerät ist inzwischen gebaut und von Mr. Lee erprobt – für 30 Dollar verkauft Perthold seine Erfindung in den Vereinigten Staaten. Die Internetseite war am Montag so gefragt, dass der Provider sie kurzerhand vom Netz nahm. Perthold will jetzt so schnell wie mögliche eine neue Domain einrichten. Und dort sein Entwickler-Tagebuch veröffentlichen. Denn der Ingenieur hat jeden Entwicklungsschritt der Katzen-Kamera detailliert festgehalten.

1. Die Herausforderung

Mitten in Pertholds Projektbericht steht dieser wunderschöne Satz: "Sie können sich nicht vorstellen, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, wenn Sie Ihre Katze mit einer Kamera ausstatten wollen." Der Ingenieur hat sie zusammengefasst:

  • die Kamera muss klein, leicht und günstig sein
  • ein Steuergerät muss die Kamera im Minutentakt auslösen
  • die Kamera muss vor Katzenangriffen geschützt sein
  • das Gerät muss an der Katze befestigt werden

2. Die Kamera

Damit Mr. Lee es überhaupt in Erwägung zieht, eine Umhängekamera zu tragen, muss das Gerät so leicht, klein und unauffällig wie möglich sein. Perthold entscheidet sich für die VistaQuest VQ1005 – eine Schlüsselanhänger-Kamera, die ohne Batterie 35 Gramm wiegt. Und: Sie kostet neu nur etwa 20 Dollar. Kein großer Verlust also, wenn beim Basteln ein Gerät kaputtgeht.

Perthold verpasst der Kamera aber eine bessere Batterie, nimmt dafür das Gehäuse auseinander, lötet neue Batteriekontakte an die Platine der Kamera: Mit der neuen Zelle kann Mr. Lee 48 Stunden lang jede Minute ein Foto machen. Mit der alten wäre nur ein Foto je Minute für acht Stunden möglich gewesen. Perthold spart Strom, in dem er Flash-Speicher nutzt.

Samt Batterie wiegt die Katzen-Kamera etwa 70 Gramm. "Mr. Lee ist eine ziemlich grosse Katze, deswegen bereitet es ihm keine Probleme", berichtet Perthold, räumt aber ein: "Nur beim Anlegen der Kamera macht er etwas Aufstand, danach akzeptierte er sie." Was vielleicht auch daran liegt, dass Lee sie nicht sehen kann und auch nur schwer mit den Pfoten ran kommt.

3. Das Steuerprogramm

Wie oft die Kamera fotografiert und wie lange sie das tut, überwacht ein von Perthold geschriebenes Steuerprogramm auf einem Mikrocontroller. Der schaltet die Kamera nach jeder Aufnahme aus, um Strom zu sparen – und er schaltet sie nach einer Minute wieder ein für die nächste Aufnahme. Programmiert hat Perthold die Steuerung in einer Assemblersprache – einer sehr anspruchsvollen Sprache, mit der man Hardwarechips unmittelbar programmieren kann.

4. Das Gehäuse

Aber die aufwendige Steuerungssoftware war bei weitem nicht der mühsamste Arbeitsschritt. Das Kameragehäuse kostet Perthold einige Nerven. Er brauchte mehrere Anläufe, um ein Gehäuse zu entwerfen, das Mr. Lee standhält. Der erste Entwurf bestand aus leichten Plastikplatten. "Er wurde zuletzt gesehen, als die Katze damit aus der Tür lief", schreibt Perthold in seinem Versuchsprotokoll. Zweiter Anlauf: Eine Hülle aus der Verpackung einer Kinderüberraschung. Diesmal bringt Mr. Lee die Kamera tatsächlich wieder mit. Zum Ergebnis des Versuchs heißt es in Perthold Protokoll nur: "Außen schmutzig und zerkratzt, innen voller Wasser. Was zur Hölle macht die Katze!?"

Dritte Kamera, dritter Entwurf: Ein wasserdichte, mit Heißkleber zusammengefügte Hülle aus Polypropylen, vor der Kameralinse eine durchsichtige Folie. Auch diese Kamera lässt Mr. Lee sich umhängen. Auszug aus dem Versuchsprotokoll: "Nicht sehr glücklich, aber er akzeptiert sie".

5. Der Erfolg

Dann der große Moment im April: Mr. Lee kommt zurück – mit dem Kameragehäuse, mit einer noch immer funktionierenden Kamera darin. Perthold schreibt: "Ich konnte es kaum erwarten, bis das Halsband entfernt und das Gehäuse geöffnet war." Er entnimmt der Kamera die SD-Speicherkarte, schiebt sie in das Lesegerät an seinem Computer und betrachtet Mr. Lees Fotos.

Man sieht, wie Mr. Lee im Wald auf einen grimmig guckenden grauen Kater trifft, wie er etwas später einen sehnsüchtigen Blick nach oben, zu einem Vogelhaus wirft. Immer wieder fotografiert Mr. Lee andere Katzen: Unter den auf der Straße parkenden Autos scheint ein Treffpunkt zu sein, da hockt er immer wieder mit anderen. Und natürlich vor dem Eisenzaun, den er wehmütig umschleicht, der ihn von der unerreichbaren rothaarigen Katze nebenan trennt.

Nachtrag: Inzwischen hat Jürgen Perthold eine eigene Domain registriert, weil seine alte Webpräsenz überlastet war. Unter Mr-lee-catcam.de soll in den kommenden Tagen eine Seite zur Katzen-Kamera zu finden sein.
 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert