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Die Macht und das Meer (Süddeutsche Zeitung, 21.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Die Macht und das Meer

Die Geschichte vom zwanghaften Leuchtturmbau der Stevensons

Süddeutsche Zeitung, 21.3.2001

John Stevenson arbeitete hart daran, ein protestantischer Märtyrer zu werden. Monatelang schlief er auf schneebedeckten Feldern – bei den religiösen Verfolgungen in Großbritannien Ende des 17.  Jahrhunderts blieb er dann allerdings verschont. Ein Jahrhundert darauf segelte sein Nachfahre Alan Stevenson in die Karibik, um große Handelsgeschäfte abzuschließen. Die erwiesen sich als Betrug, kurz darauf starb er. Rückblickend schrieb wieder hundert Jahre später Robert Louis Stevenson über diese Ahnen: „gleichermaßen bar alles Schändlichen wie alles Ruhmvollen“. 

Er schrieb es wider besseren Wissens. Denn die Stevensons bauten zwischen 1786 und 1940 an den Küsten Schottlands 97 Leuchttürme. Solche Ingenieure waren die Helden des aufgeklärten Großbritanniens. Um 1800 kenterte an Britanniens Küsten täglich ein Schiff. Die Stevensons setzten der Macht des Meeres ihren Willen entgegen. Beide Gewalten beschreibt Bella Bathursts Geschichte der Leuchtturm-Stevensons.

Die Gewalt des Meeres erfasst sie am eindrucksvollsten. Das gelingt nicht trotz, sondern wegen der spärlichen Literarisierung. Der Text hat einen angenehmen, erzählerischen Ton, doch seine Kraft schöpft er aus detaillierten Fakten. Die Journalistin Bathurst schildert nicht die Wucht der Brandung, sondern die Folgen. Die Schilderung der Dramatik überlässt sie nüchtern Alan Stevensons Tagebuch. Man ist beim Lesen dankbar für eine kleine Wohnung in der Großstadt. Auf einem Riff im äußersten Norden Schottlands wird ein sechs Tonnen schwerer Felsbrocken von einem Sturm aus einer Höhe von 25 Metern über dem Meer fortgerissen. An diesem Ort baut David Stevenson 1854 einen Leuchtturm. Er steht heute noch.

Dreimal baute Tom Stevenson vor Wicks Hafen Wellenbrecher, einer stärker als der andere, nachdem die vorherigen von der See fortgerissen wurden. Doch dieser Wille richtet sich auch gegen die Wünsche der Söhne und die eigenen Träume. Robert Louis Stevenson war der erste seiner Familie, der gegen den Willen des Vater etwas anderes tat als Leuchttürme zu bauen. „Mein tägliches Leben ist von Anfang bis Ende eine einzige Unterdrückung“, schrieb er an einen Vetter. Die Wurzeln, die diese Härte in der Aufklärung hatte, erwähnt Bathurst allenfalls am Rande. Der von Männern wie Adam Smith und David Hume getragene Glaube an die Macht des Menschen, sein Schicksal und seine Umwelt zu gestalten, bedeutete für die Stevensons vor allem den sozialen Aufstieg in eine bürgerliche Existenz. Dort besteht allein wer kämpft. Das bekam jeder Stevenson von seinem Vater zu hören. Robert Stevenson schrieb seinem Sohn Alan, aufgeschreckt durch dessen literarische Bemühungen: „Dies ist höchst kostbare Zeit für Dich, Alan, was das Studium elementarer und technischer Bücher angeht, bis du sie genauso wenig mehr vergessen kannst wie die Tatsache, dass Du zehn Finger besitzt und genauso viele Zehen.“ Als Robert Louis Stevenson sich ganz der Schriftstellerei zuwandte, bekam er von seinem Vater zu hören: „Du hast mein ganzes Leben zunichte gemacht“.

Den zitierten Briefen ist zu verdanken, dass ein wenig dieses Familiencharakters spürbar wird. Dass Robert Stevenson selbst 400 Schrauben einzeln für die Inventarliste durchzählte, illustriert zwar Kontrollversessenheit – aber das ersetzt weder eine Analyse der Beziehungen von Vätern und Söhnen noch eine tiefere Charakterisierung. Gerade bei Alan Stevenson wird die Selbstunterdrückung ahnbar. Seine literarischen Fähigkeiten lobte William Wordsworth, der mit ihm in Briefkontakt stand. Doch Alan war Ingenieur. Aristophanes und Dante las er, als ein Sturm ihn zwei Wochen auf einem Eiland gefangen hielt.

Trotz solcher Details zeichnet Bathurst eine Skizze, kein Bild von den Stevensons. Sie verfolgt ihren Anspruch, eine Erzählung statt einer Chronologie zu schreiben, nicht ernsthaft genug. Statt die Parallele zwischen dem Charakter des Meeres und dem seiner Bezwinger herauszuarbeiten, klammert Bathurst sich an Fakten. Allerdings an wichtige. Das Leben der Leuchtturmwärter beschreibt sie durch eine Aufzählung der vorgeschriebenen Versorgung: Das Buch Cookery for the Working Class für die Ehefrauen, täglich ein Pfund Brot und zwei Liter Bier für die Wärter. Gemüsegärten wurden liebevoll gepflegt. Transportfähige Pflanzen nahmen die Wärter beim Dienstwechsel mit. Doch manchmal bringt das Verfahren keine Erkenntnis. Auf vielen Seiten beschreibt Bathurst die Vorteile verschiedener Brennmittel. Robert Louis Stevensons später revidierter Entscheidung, Ingenieur zu werden, widmet sie jedoch nur einen Satz.

Bathurst erklärt nicht. Das könnte sogar eine Stärke sein, würde sie sich ganz der Anschauung wichtiger Details widmen. Doch diese stören aufgesetzt wirkende Versuche, doch noch eine umfassende Geschichte zu schreiben, wie die offenbar aus Reportagen übernommenen Passagen über das heutige Leben auf Skerryvore und die Geschichte von der Automatisierung der Leuchttürme.

Am Ende des wegen seiner Nüchternheit so schönen Buches ist auf eine sehr subtile Art klargeworden, warum das Meer jeden Stevenson so anzog: Beide waren sich so ähnlich. Robert Louis hat das verstanden, später, als er in seiner Familie neben gescheiterten Märtyrern und Kaufleuten auch Helden entdeckte. Über den Großvater schrieb er: „Der alte Mann war nicht zu erschrecken gewesen: er hatte dem Tod schon des öfteren gefasst ins Auge gesehen .  .  . Aber da war etwas anderes, das ihn schwer trug: der Verlust dieser Reise, das Ende allen Reisens; das Wissen, dass er Sumburgh und die wilden Klippen Skyes .  .  . nie wieder sehen würde.“

BELLA BATHURST: Leuchtfeuer. Aus dem Englischen von Jobst-Christian Rojahn. Schneekluth Verlag, München 2001. 350  Seiten, 39,90  Mark.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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