Die Menschen nicht verrecken lassen (taz-Ruhr, 14.01.1999)
Die Menschen nicht verrecken lassen
Eine Elterninitiative in Gladbeck kämpft für humane Drogenpolitik. Unterstützung erfährt sie ausgerechnet von der CDU. Die CDU-Ortsvorsitzende Maria Seifert: "Man muß sich an den Menschen orientieren, und nicht an einem hehren Ziel"
taz-Ruhr, 14.01.1999
"Mit reinem Heroin kann man 100 Jahre alt werden", meint Renate Hubert*. Die Gladbeckerin kämpfte mehr als fünf Jahre mit ihrer Tochter gegen die Heroinsucht. Und gründete die Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik. Für sie steht fest: Süchtige gehen nicht an der Droge zu Grunde. Sondern an der Illegalität. An von Dealern verunreinigtem Stoff. An unsauberen Spritzen. An Beschaffungskriminalität.
1412 Menschen starben 1998 in der Bundesrepublik an den Folgen ihrer Rauschgiftsucht, ein Anstieg von acht Prozent gegenüber 1997. Angesichts dieser Entwicklung will Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer die gesundheitliche und soziale Lage der Süchtigen mittels Heroinabgabe auf Rezept verbessern. Die Bundes-CDU setzt weiter auf das Repressionsmodell der vergangenen Jahre. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Hermann Kues äußerte sich am 7. Januar zu Fischers Plänen. Heroin auf Rezept würde "einer Bagatellisierung des Drogenkonsums Vorschub leisten. Damit wäre dem Ziel einer Ächtung von Drogen bald der Boden entzogen."
Für Renate Hubert hat die Rettung von Menschenleben Priorität vor einer drogenfreien Gesellschaft: "Man kann die Menschen doch nicht in der Gosse verrecken lassen. Nur mit einer kontrollierten Abgabe kann der Teufelskreis der Kriminalität durchbrochen werden." Unterstützung erfährt die Gladbecker Initiative mit ihren Forderungen auch vom CDU-Ortsverband. Die Vorsitzende Maria Seifert erklärt: "Bei allen Parteien gibt es eine große Linie, aber wir kennen die Situation hier vor Ort. Man muß sich an den Menschen orientieren und nicht an einem hehren Ziel."
Die Situation vor Ort lernte Renate Hubert kennen, als sie 1993 von der Heroinsucht ihrer damals 18jährigen Tochter Katja* erfuhr. Mit 13 hatte Katja Heroin probiert, die Dosen stiegen, bis sich die Sucht nicht mehr verheimlichen ließ. Renate Hubert erinnert sich: "Zuerst war ich in Panik. Ich dachte, daß Heroin immer Tod bedeutet." In Gladbeck war Drogensucht kein Thema. Hubert: "Man dachte immer an Hamburg und Berlin, nicht an unserer Kleinstadt." Dabei sind seit 1990 in Gladbeck elf Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben, wurden allein 1996 367 Rauschgiftdelikte registriert.
Beratungsstellen für Eltern gab es 1993 in Gladbeck nicht. Renate Hubert erzählt von ihrer Odyssee durch Marl, Gelsenkirchen und Bottrop. Zufällig kam sie zu einem Elternkreis in Bottrop, der ihr "die Panik nahm, allein zu sein, und das nötige Wissen vermittelte". Kerstin denkt an die Ausstiegsversuche zurück: "Ich habe ein paar Jahre herumgehampelt." Sie versuchte mehrere Methadontherapien, führte in Gelsenkirchen eine zu Ende. Seit Anfang 1998 ist sie clean, hat jetzt ein Studium begonnen.
Nach diesen Erfahrungen gründete Renate Hubert 1993 nach Bottroper Vorbild einen Elternkreis in Gladbeck. Neben der Beratung von Betroffenen ist ihr Ziel vor allem Einfluß auf die Stadt- und Landespolitik. Vor Ort setzte sie zunächst die Einrichtung eines Jugendbüros als lokalen Ansprechpartner bei Betreuung und Prophylaxe durch. Schwieriger war die Suche nach Ärzten und Apothekern für den Spritzenverkauf. Zehn von 70 eingeladenen kamen zum Informationsabend, schließlich wurde ein Automat aufgestellt. Zur Methadonsubstitution waren gerade mal zwei Ärzte bereit.
Viele Probleme Betroffener lassen sich nur landes- und bundespolitisch lösen. Ein bedeutender Fortschritt bei der Prophylaxe wäre für Hubert die Legalisierung von Cannabis zur Trennung der Märkte von harten und weichen Drogen. Die Vorstellung, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, läßt sie nur den Kopf schütteln: "Da muß man auch Nikotin verbieten. Die erste Zigarette ist doch nach der Argumentation der Suchteinstieg."
Auf Entgiftungs- und Therapieplätze müssen Süchtige immer noch bis zu sechs Monate warten. Renate Hubert empört: "Viele sind gestorben, als sie während der Wartezeit noch drauf waren." Neben einem Ausbau der Therapieplätze fordert Hubert auch eine Entbürokratisierung der Methadonsubstitution. Kerstin: "In Holland bekommen Süchtige Methadon, ohne sich rechtfertigen zu müssen." In Deutschland läuft ohne vorherige Entgiftung nichts, da kann der Therapieplatz weg sein, weil nichts in der Entgiftung frei wird. Auch Gesundheitsräume könnten viele Leben retten, meint Kerstin: "Oft sterben die Leute doch an AIDS, Hepatitis oder weil sie bei einer Überdosierung irgendwo alleine hocken."
Den Streit um die kontrollierte Heroinabgabe verstehen Huberts nicht. Renate: "Ich hätte meiner Tochter in der Wartezeit bis zur Therapie doch liebend gerne das Zeug in der Apotheke gekauft, statt daß sie den Dealern das Geld in den Hals wirft." Nur durch Orginalstoffabgabe könne der Beschaffungskriminalität ein Ende gesetzt werden.
Der selben Ansicht sind zahlreiche Fachleute. Hans Dieter Klosa, Hannoveraner Polizeidirektor erklärte im Juni: "Die bisherige Drogenpolitik hat in die Sackgasse geführt. Wir schlagen uns vor allem mit Beschaffungskriminalität herum. Bei den Raubüberfällen gehen heute 60 Prozent auf das Konto der Drogenabhängigen. Und das nur wegen einer falschen Politik." Auch die gesundheitliche und soziale Lage der Süchtigen spricht laut Hubert für eine kontrollierte Abgabe: "Erst wenn sie Ruhe vom Beschaffungsstreß haben, wird ein normales Leben möglich." In der Schweiz, wo seit 1991 Heroin kontrolliert abgegeben wird, sank die Zahl der Drogentoten 1998 auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren. In Deutschland stieg sie hingegen, in Bayern, wo die bisherigen Substitutionsrichtlinien streng ausgelegt werden, gar um 42 Prozent.
* Name von der Redaktion geändert