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Die rohe Botschaft (Frankfurter Rundschau , 9.1.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Die rohe Botschaft

Der neue i-Mac und die Hoffnung auf Wiedergeburt

Frankfurter Rundschau , 9.1.2002

Designgeschichte wiederholt sich – nicht als Farce, sondern lediglich in umgekehrter Reihenfolge. Einst verschwanden in Europa die flachen Fassaden der Renaissance. Die Mauern begann zu schwingen, nach außen, nach innen, und der Barock entstand. Apples i-Mac entwickelt sich in die andere Richtung. An den vor vier Jahren erstmals vorgestellten Modellen war kaum eine Gerade zu finden, die Kanten und Ecken waren so gerundet, das Gerät insgesamt so geschwungen, dass man glaubte, vor einer Achterbahn zu sitzen. Selbst der Bildschirm war in ein gewölbtes Gehäuse eingebettet, das dem Betrachter entgegensprang wie eine Barock-Fassade. Doch der am Montag in San Francisco vorgestellte neue i-Mac schwingt nicht mehr. Im Gegenteil: Der neue i-Mac streckt seinem Benutzer einen absolut flachen Bildschirm entgegen. Wie ein großes Blatt Papier hängt er im Raum, gehalten nur von einem Arm und einem etwa 30 Zentimeter breiten Sockel. Allein dessen Halbkugel-Form erinnert noch an die Beschwingtheit der alten i-Macs. Und fast scheint es, als wolle der so nüchtern flache Bildschirm vor dieser Reminiszenz fliehen, in den Raum hinausfliegen. Nur der Arm hält ihn zurück.

Die ungewöhnliche Zweidimensionalität weist in dieselbe Richtung wie die Farblosigkeit des neuen weißen i-Macs. Seine neue Sachlichkeit unterscheidet sich radikal von den bunten, knuddeligen i-Macs. Sie zeichnete sich schon im vergangenen Jahr bei den neuen Laptops i-Book und Powerbooks ab. Ihre glatten, weißen beziehungsweise metallischen Oberflächen strahlen eine kalte, distanzwahrende Perfektion aus. Vielleicht haben die Menschen vor 30 Jahren so empfunden, als sie die streng abgeriegelten Räume von Großrechnern betraten: Ehrfurcht, Präzision, Kühle.

Der neue i-Mac macht das Rationalisierungsversprechen des Computers wieder sichtbar. Man sieht ihm an, dass er gebaut wurde, um effizient zu produzieren. Das Design erinnert an den Klang der Worte Descartes, der einst in seinen Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft die methodischen Grundsätze der Informatik formulierte: ". . .zuverlässige und leicht zu befolgende Regeln, so dass, wer sich pünktlich an sie hält, niemals etwas Falsches für wahr unterstellt und, indem er keine geistige Mühe nutzlos verschwendet, sondern sein Wissen Stück für Stück ständig erweitert, die wahre Erkenntnis all dessen erreicht, wozu er fähig ist." Apple hat dieses Versprechen bereits vor einigen Monaten im Werbespruch: "Power to burn" konzentriert. Mit den neuen Macs wird nicht herumgealbert, nicht mehr im Wohnzimmer herumgelümmelt. Leistung ist ihre Botschaft.

Das schließt Kreativität nicht aus. Der neue i-Mac vermittelt vielmehr die Vision effizienter, rational organisierter Schöpfungsprozesse. Das vom i-Mac-Design vorgegebene neue Arbeitsethos – nicht zufällig während einer Wirtschaftskrise formuliert – hat der Publizist Douglas Rushkoff vor einigen Monaten sehr schön beschrieben: "Was ist los? Ihr habt keinen Mac mehr? Ihr habt ihn verkauft, als es Apple schlechter ging? Keine Sorge, wir lassen euch wieder in den Club. Das ist nämlich der Tisch der Freaks." An diesem Tisch wird hart gearbeitet: "Bilder machen? Eine Website einrichten? Meine eigenen Filme drehen (wieder ein Bereich, bei dem Mac in Führung liegt)? Und genau nach dem suchen die ganzen Künstler-Freaks an erster Stelle: Selbstausdruck, ein bisschen Kooperation, ein paar ausgeflippte Erlebnisse und eine Möglichkeit, diese anderen Perspektiven verbreiten zu können." Dieser Selbstausdruck durch Arbeit erinnert an den Kalvinismus. Der Mac-Nutzer will nicht das Ausmaß von Gottes Wohlgefallen in den Früchten seiner Arbeit erkennen, sondern lediglich die Heilserwartungen, die er an seine eigene Persönlichkeit – Kreativität genannt – richten kann.

Die Analogie zwischen der Konkurrenz der Konfessionen und der Computersysteme hat Umberto Eco bereits 1994 beschrieben." Damals nannte er den DOS-PC protestantisch, ja sogar kalvinistisch. Denn hier mussten die Nutzer Befehlketten kennen und eintippen, beim Apple hingegen demokratisierten bunte Bilder das Wissen von tieferen Wahrheiten – laut Eco katholisch, zumindest anglikanisch.

Aber was ist dann vorgestern in San Francisco geschehen? Ist der i-Mac jetzt nicht mehr verspielt und zugänglich?

Diese Fragen darf man so gar nicht stellen. Es reicht heute nicht mehr aus, den Computer entweder als bildliches, von jedermann bedienbares oder als schriftliches, elitäres Medium zu beschreiben. Windows ist bunter geworden und hat in diesem Jahr endgültig auf die Mysterien der zugrundeliegenden DOS-Botschaft verzichtet.

Man muss den von Umberto Eco 1994 beschriebenen Widerspruch anders begreifen: Eigentlich ist es einer zwischen jenen Laien, die Ikonen als Hilfsmittel brauchen, und jenen wahrhaft Gläubigen, die ihr Leben der heiligen Schrift – dem Quelltext – widmen. Hier aber unterscheidet sich der Mac heute nicht von Windows-Systemen. Der von Eco einst formulierte Widerspruch der Glaubenssysteme ist heute kaum noch aktuell, lediglich die Linux-Nutzer spüren noch etwas von der alten DOS-Tradition.

Mit dem neuen i-Mac hat Steve Jobs, der große Autor des Computerdesigns, den einst von Eco formulierten, heute antiquierten Gegensatz hinter sich gelassen, um einen neuen zu formulieren. Diesen hat schon vor einiger Zeit der Informatiker David Gelernter benannt. Seit Jahren kritisiert er antiquierte Interface-Metaphern und Computerkonzepte. In seinem Manifest "The second coming" heißt es: "Information reist durch ein Meer von anonymen, austauschbaren Computern wie ein Windhauch durch hohes Gras. Ein Desktop-Computer gleicht einem ausgehobenen Loch am Strand, in dem sich Information aus der Cybersphäre sammelt wie Meereswasser."

Das Computerkonzept einer abgeschlossenen Einheit in unseren Köpfen ist längst überholt. Tag für Tag, bei jeder Verbindung zum Internet, bei jeder Software-Aktualisierung und jeder Datenauslagerung arbeitet der Desktop-Computer an der eigenen Auflösung. Daher war das alte i-Mac-Design nicht mehr angemessen. Es war die visuelle Entsprechung einer Vorstellung vom Computer, die lange zuvor Geltung hatte.

Bei allem Apple-typischen kritischen Potential funktionierte das Design des alten i-Mac konservativ. Die Idee des Terminals am Großrechner wurde auf den Desktop-Computer projiziert, der eben auch aus Tastatur, Maus und Monitor zu bestehen hatte. Eine ganz ähnliche Projektion, wie sie klassizistische Architekten leisteten, als sie antike Tempelfassaden auf die Frontseiten von Villen warfen. Dass der Computer verschwinden könnte in etwas Größerem, dass er sich an uns hängen, in unsere Brille oder unter unsere Haut kriechen könnte und dass man ihn daher auch zu fürchten hat – all das hat das bunte Plastik der alten i-Macs uns nicht gelehrt.

Der neue i-Mac hingegen ist ein Computer auf dem Sprung. Man spürt, dass er weit fort will, dabei vielleicht so etwas wie Todessehnsucht in sich trägt. Den flachen Bildschirm zum Beispiel kennt man von Laptops, einem gänzlich anderen Computer-Konzept. Zudem ist der neue i-Mac so kompakt, dass man ihn problemlos unter den Arm klemmen kann. So negiert er sein Wesen als Desktop-Rechner, das er andererseits so entschieden verteidigt. Denn worauf soll sein Standfuß ruhen, wenn nicht auf einem Schreibtisch? Wohin der Sprung gehen soll, zu dem er ansetzt, dass erzählt der neue i-Mac nicht.

Er verkörpert lediglich die neue Ambivalenz zwischen Auflösung und Verharren, zwischen Schrumpfen und Wachsen, zwischen Entkörperlichung und Monumentalität, die Computer heute charakterisiert. Der Wille zur Revolution ist beim neuen Mac spürbar. Endlich taucht da das so lang vermisste treibende Moment der Computerindustrie wieder auf: das Versprechen. Alles weitere dann in der Zukunft.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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