Zum Inhalt springen

Digital ist unfair (telepolis, 30.09.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Digital ist unfair

Das Internet muss reguliert werden –um uns vor Urheberrechten zu schützen.

telepolis, 30.09.2000

Mancher wird an die Sesamstraße denken. An den Erfinder, der von längst Erfundenem schwärmt. „Unser Ziel ist ein Informationsfluss, der nicht behindert, abgefangen, analysiert, geändert oder protokolliert wird“, erklärt die Bostoner Initiative guerilla.net. Ein unabhängiges Computernetz wollen sie aufbauen. Moment. Ist die Interpretation von Zensur als zu umgehender Fehler nicht angeblich Funktionsprinzip des Internets?

Gäbe es dieses auf ewig anarchische Netz – man müsste die Manager der Medienkonzerne dieser Welt für wahnsinnig halten. Sony, Universal, BMG, EMI und Time Warner wollen bis Ende des Jahres Musik im Internet verkaufen. In den USA formen sich Allianzen für den Vertrieb digitaler Bücher übers Netz. Nach Stephen King plant Frederick Forsyth für den Oktober eine online- Veröffentlichung. Allein Hollywood beschränkt seine Inhalte im Netz auf frei ladbare Trailer – noch.

Die Struktur des Internets beruht nicht auf einem Naturgesetz. Gewiss waren im Anfang Inhalte ohne Einschränkungen von jedem Ort der Welt abrufbar, kopierbar, zitierbar, nutzbar. Für die Wissenschaftler, die als erste das Netz nutzten, machte das Sinn – lebt doch Forschung letztlich von der freien Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, die so geprüft, ergänzt und korrigiert werden können.

Diese freie Verfügbarkeit ist der Alptraum aller Unternehmen, die mit Inhalten ihr Geld verdienen. Aber sie ist kein unabänderlicher Bestandteil des Internets. Experten wie der Rechtswissenschaftler Lawrence Lessing und der Koordinator des Hypermedia Research Centres Richard Barbrook weisen schon seit längerem darauf hin, das Netz könne durch eine Änderung der Technologie schnell zum beängstigend perfekten Distributionsmittel aller Inhalte werden.

Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen Jahren Technologien zur eindeutigen Identifizierung von Nutzern und für sichere Geldtransfers im Netz boomen. Man mag das für benutzerfreundlich halten. Doch die Gefahr der Digitalisierung und Distribution von Inhalten übers Netz zeigen bereits einige Beispiele.

Eines ist der Aufstieg von AOL, den die Redakteurin des Wall Street Journals Kara Swisher in ihrem 1998 erschienen Buch aol.com sehr klarsichtig beschreibt. Ein enormer Vorteil der Struktur des online- Dienstes ist die Möglichkeit, eindeutig zu erfassen, wer welche Inhalte wie verwenden. Lawrence Lessing hat das Erfolgmodell überspitzt so beschrieben: „Es ist für AOL einfach, die Nutzer zu identifizieren als für andere Nutzer. Es ist für sie einfacher zu allen Mitgliedern zu sprechen, als für die Mitglieder, sich gegen AOLs Sichtweise und Regulierung zur Wehr zu setzen. Es ist für AOL einfacher, Produkte zu vermarkten als für den einzelnen, sich zu verstecken.“

Im Juni sorgte ein Bericht (http://www.salon.com/tech/col/garf/2000/06/15/brodcast/index.html) des amerikanischen Onlinemagazins Salon.com über ein so tituliertes Spionageprogramm für Aufregung. Auf den Rechner eines Redakteurs wurde die Anwendung DSSAgent ungefragt, undokumentiert und nicht erkennbar bei der Installation einer Leselern-Software für seine Tochter übertragen. Das Programm stellte unerwartet eine Internetverbindung her und versuchte, verschlüsselte Daten zu übertragen. Des Rätsels Lösung lieferte der Hersteller Mattel auf Anfrage: Das Programm übertrage Informationen über die gekaufte Software an Mattel, um gezielte Update-Angebote zu ermöglichen. Inzwischen können Benutzer bei der Installation selbst über diese Funktion entscheiden.

Bürgerrechtsgruppen zeigten sich in ähnlichen Fällen alarmiert. So änderte Amazon.com Anfang September die Datenschutzbestimmungenberichtet, hat jedes der Geräte eine eigene ID-Nummer, die das Erstellen persönlicher Profile der Nutzung von Internet-, Print- und Fernsehangeboten ermöglicht. 50 Millionen dieser Geräte sollen im Herbst auf den US-Markt kommen. seines US-Angebots. Protokolliert werden von nun an IP-Adresse, e-Mailadresse, Passwort, Browsertyp, Betriebssystem, Einkäufe Auktionen und Telefonnummern der Benutzer. Beim Verkauf von Tochterfirmen können diese Daten durchaus an Dritte weitergegeben werden. Ein anderes Beispiel möglicher Profilbildung ist die gerade in den USA vorgestellte CueCat Technik: Mit einem Barcodelesegerät können Internetlinks in Zeitschriften eingescannt werden, die der Browser dann sogleich auf den Bildschirm holt. Wie die Privacy Foundation

Aber es nicht nur die Möglichkeiten einer nie gekannten Kontrolle der Inhaltsproduzenten über ihre Nutzer sind bedenklich. Gerade Digitalisierung und Vertrieb über das Internet machen eine ungeahnte Kontrolle der Inhalte selbst möglich. Noch gefährden Netz und Digitalisierung das Urheberecht, doch langfristig werden sie einen zu perfekten Schutz ermöglichen.

Einen Ausblick auf diese Zukunft gab der Prozess um die Entschlüsselung des DVD-Codes Content Scrambling System (CSS). CSS verhindert nicht das Kopieren von DVDs, wie oft falsch behauptet wird. Vielmehr macht es das Abspielen auf Geräten, deren Hersteller nicht am DVD-Kodierungssystem beteiligt sind unmöglich. So kann Hollywood bestimmen, wann, wo, wie und auf welchem System ein Film zu sehen ist. Deswegen war es bis vor ungefähr einem Jahr auch unmöglich, einen legal erworbenen Film auf dem DVD-Laufwerk eines mit dem System Unix beriebenen Computers zu betrachten. Dann programmierten norwegische Hacker DeCSS, das den Inhalt einer DVD liest und unverschlüsselt speichert. DeCSS ermöglicht so nicht nur das Abspielen unter Unix, sondern auch das Vorspulen bei Werbebotschaften und das Umgehen der Ländercodes. Vor einem Monat nun verbot ein New Yorker Bezirksrichter dem Hackermagazin 2600.com die Veröffentlichung von Links zu Internetseiten, von denen das kleine Programm DeCSS heruntergeladen werden kann.

Er berief sich dabei vor allem auf den 1998 verabschiedeten „Digital Millenium Copyright Act“ (DCMA). Dieser verbietet das Umgehen eines Kopierschutzes für „geistiges Eigentum“.

Eine solche Interpretation des Gesetzes sieht Eric Schreier, Analyst des Technologie-Beratungsunternehmen Forrester Research als gefährlich an: „Jeder Produzent von Medieninhalten kann so durch DCMA sein Eigentum an Inhalten auf eine Kontrolle über die Abspielgeräte ausweiten.“ Mark Lemley, Rechtsprofessor der Berkley-Universität hält den DCMA nun sogar für verfassungswidrig: „Das Gericht hat entschieden, dass DCMA den fairen Gebrauch umgeht. Wenn das in dieser Vielzahl von Fällen möglich ist, ist fraglich, ob das Gesetz die Prüfung durch den obersten Gerichtshof besteht.“

Hier ist der Begriff „fair use“ entscheidend. Denn in den USA gibt es wie auch in Europa die sogenannten Schranken des Urheberrechts. Das Urheberrechtsgesetz der Vereinigten Staaten ist nur wegen zwei Einschränkungen mit der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit konform: Zum einen gilt Urheberrecht nicht für Ideen und Fakten, zum anderen ist der sogenannte „faire Gebrauch“ erlaubt. Dass bedeutet zum Beispiel, dass in der Bibliothek Bücher fotokopiert werden dürfen, dass man von Computersoftware Sicherheitskopien erstellen kann, dass eine CD für den Walkman auf Kassette überspielt werden darf, dass Aufnahmen von Fernsehsendungen auf dem heimischen Videorekorder legal sind.

Verhindert CSS nicht „fair use“, wenn es die Nutzung der Inhalte auf bestimmten Systemen wie Unix unmöglich macht? Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bereits auf dem Markt für Lesesoftware für elektronische Bücher ab. Microsofts Programm wurde vom Konkurrenten Adobe kritisiert: „Der offene Standard ist nur bei einem Microsoft-Betriebssystem offen.“ Sprich: Vielleicht werden Unix-Benutzer auf elektronische Bücher verzichten müssen, wie vor DeCSS schon auf DVD-Filme.

Der Prozess gegen Napster, eine Software, die den Tausch von Musikdateien im Netz ermöglicht, ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt „fair use“ zu betrachten. Natürlich ermöglicht Napster das Tauschen urheberrechtlich geschützter Musik. Aber das muss nicht zwangsläufig illegal sein. Die Verwendung uhreberrechtlich geschützter Inhalte in Kunstwerken ist „fair use“. Sampling, eine der zentralen Techniken von DJs, beruht darauf. Napster bietet nicht nur die Möglichkeit kriminellen Kopierens, sondern auch den Ausgangspunkt für eine neue, extrem kommunikative Musikkultur. Eine Möglichkeit, die dem Wissenstausch von Forschern im ursprünglichen Netz gleicht.

Ein ebenso großes Problem könnte entstehen, wenn von DVDs tatsächlich keine Sicherheitskopien auf anderen Medien zu erstellen sind. So werden die Inhalte bei Einführung der nächsten Generation von Speichermedien für den Verbraucher wohlmöglich verloren sein. Stellt man sich vor, dass Literatur einmal digital vermarktet werden wird, sind die Ausmaße des kulturellen Problems erkennbar.

Legislative und Judikative haben diese Probleme des Urheberrechts im Netz noch nicht erkannt. Bedenklich stimmt hierbei die wachsende Lobby der neuen Medienunternehmen bei der Politik. Marc Andreessen, 29jähriger Gründer von Netscape spendete der demokratischen Wahlkampfplattform unlängst eine Viertel Million Dollar, die New York Times schreibt, er treibe sich des öfteren mit Al Gore herum. In Deutschland bot die Bertelsmannstiftung unlängst dem Verfassungsschutz die Zusammenarbeit bei Filtern für Internet an. Richard Barbrook beschreibt diese Einflussnahme zynisch unter dem Stichwort: „Redefreiheit soll nur als Medienware existieren“.

Egal ob der Digital Millenium Copyright Act eine Frucht von Lobbyistenmühen ist – er verdeutlicht fehlendes Problembewusstsein. Ebenso die vermeintliche Lösung des New Yorker Richters für das Problem der Sicherheitskopien beim DeCSS Prozess: „Fast alle Filme sind sowohl auf DVD als auch auf Videokassette verfügbar. Wer also einen Film gesetzesgemäß nutzen will, kann eine Videokassette kaufen oder leihen, sie abspielen und sogar kopieren.“ Videokassetten sind aber nun mal keine Antwort auf die Probleme der Zukunft.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert