Digital lesen: So wird das E-Buch sexy (Spiegel Online, 16.10.2009, mit Frank Patalong)
Digital lesen
So wird das E-Buch sexy
Alle reden von E-Books, nur eines gibt es in Deutschland nicht: ein gutes, einfaches, preiswertes Angebot. SPIEGEL ONLINE zeigt, woran das System krankt – und was Leser wollen, damit digitales Lesen endlich Spaß macht.
Spiegel Online, 16.10.2009, mit Frank Patalong
Der digitale Handel war mal eine große Verheißung für die Hersteller. Er versprach allen Beteiligten nur Vorteile – die Produzenten sollten mehr verdienen, weil sie physisch nichts mehr produzieren müssten. Die Kosten für Herstellung, Lagerung und Transport sollten entfallen; Kosten, für die normalerweise der Hersteller in Vorlage geht, und ob er sein Geld je wiederbekommt, weiß er nicht.
Dieses Geschäft ist eine teure Lotterie, in der die Chancen sehr ungleich verteilt sind. Denn natürlich gelingt es dem finanzkräftigen Großverlag, Major Label oder Filmverleih besser als dem Kleinverleger, Indie-Label oder Direktvertrieb, seine Waren mit großer Aufmerksamkeit in den Handel zu bringen.
Im Netz hingegen sind alle gleich und haben alle die gleichen Chancen – jubelten zumindest Euphoriker Mitte der neunziger Jahre in unzähligen Artikeln und Marketing-Büchern. Einen Teil des gewonnenen Vorteils könne man sogar an die Kunden weitergeben: Sonderangebote machen, generelle Preisnachlässe einräumen. Seit eineinhalb Jahrzehnten fordern diverse Theoretiker des E-Commerce, man müsse die Käufer dafür belohnen, dass sie anstelle des Herstellers nun Kosten von Herstellung, Lagerung und Vertrieb übernehmen. Denn ist es nicht der Kunde, der sich die Ware brennt oder ausdruckt? Der in Vorlage geht und Hunderte Euro ausgibt, bevor er ein E-Book überhaupt lesen kann?
So ist das wohl – aber die Realität sah lange anders aus. Musik- und Filmindustrie haben mit aberwitzigen Preisvorstellungen, unzureichender Technik und unzumutbarem Rechtemanagement verhindert, dass ein Markt entstehen konnte. Sie überließen stattdessen den Illegalen das Feld. Erst jetzt, nachdem eine Krise gut jeden dritten Beschäftigten in der Musikbranche den Job gekostet hat, beginnt ein Umdenken.
Endlich werden vernünftige Preise verlangt, der Kopierschutz über digitales Rechtemanagement (DRM) ist passé, und Kunden werden für Online-Käufe mit Vorteilen belohnt. Selbst Flatrates für den kostenpflichtigen Vollzugang zur Musik dieser Welt sind inzwischen möglich und werden zunehmend genutzt.
2009 wird sich nach dem Musikbusiness und der Filmindustrie wahrscheinlich die nächste Branche auf das digitale Abenteuer einlassen: der Buchhandel und die Verlage. Sie hatten zehn Jahre Gelegenheit, die Fehler der anderen Kreativindustrien zu beobachten und daraus zu lernen. Genutzt haben sie diese allerdings nur spärlich – was die Branche in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse stolz vorführt, ist kein digitales Angebot, sondern ein Placebo.
Wieso hakt es bisher mit E-Büchern in Deutschland? Minimale Auswahl, inkompatible Angebote, Kopierschutz-Gängelung – SPIEGEL ONLINE zeigt, wie Verlage Fehler der Musikindustrie wiederholen:
Unsinnige Preismodelle
Das offensichtlichste Manko ist die deutsche Buchpreisbindung, an die sich die Branche auch bei E-Books sklavisch hält. Eine Datei, die man nur lesen kann, wenn man vorher 300 Euro für ein Lesegerät ausgegeben hat, soll genauso viel kosten wie ein gedrucktes Hardcover-Buch. Das freut die Lobby der Buchhändler. In Deutschland herrscht – außer beim Kunden – Konsens, dass diese Regelung eine gute Sache ist. Das konstatierte in ihrer Eröffnungsadresse zur Buchmesse auch Kanzlerin Angela Merkel.
Stefan Michalk vom Bundesverband Musikindustrie dagegen zweifelt nach seinen Erfahrungen, ob die Buchpreisbindung “in der digitalen Welt bestehen bleiben wird” – neue Preismodelle haben zumindest den elektronischen Plattenläden zum Durchbruch verholfen. Wieso nicht auch den elektronischen Buchhandlungen?
Und wieso gibt es zum Beispiel kein kostenloses E-Book zur Papierausgabe – das eine zum Lesen auf der Couch, das andere für unterwegs? Als MP3-Player auf den Markt kamen, war die digitale Kopie ein wichtiger Zusatznutzen: Man kopierte sich die eigenen alten CDs, und schon das rechtfertigte den Kauf des Apparats.
Bei E-Book-Readern dagegen sind noch nicht mal die Dateiformate für alle Geräte gleich. Wer den Reader wechselt, weil ein neuer, schönerer auf den Markt kommt, kann seine elektronischen Bücher nicht einfach mitnehmen. Oder sie zumindest archiviert retten für den Fall, dass der Reader kaputtgeht. Im Klartext: Jeder simple Hardwareschaden wäre dadurch wie ein Wohnungsbrand, der die komplette Bibliothek vernichtet.
Fehlanzeige auch bei internationalen Angeboten. Gerade Early Adopter, die sich als erste auf neue Technik einlassen, lesen Literatur gern im Original. Doch die E-Book-Plattformen sind an Geo-IP-Filter gekoppelt, also wie DVDs Länderbegrenzungen unterworfen. Bei DVDs umgehen findige Nutzer das Problem durch illegale Downloads und Software-Tricks. E-Büchern droht Ähnliches.
Kleine Auswahl
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels spricht immer wieder davon, dass in Deutschland gut eine Million Bücher lieferbar ist.
Gemeint ist: auf herkömmliche Weise, mit einem Lkw, der Bücher aus dem Lager zum Händler und so zum Kunden bringt.
Nicht gemeint ist, dass man die Million Bücher digital abrufen kann.
Die Buch-Suchmaschine Libreka des Börsenvereins wirbt damit, dass man bei ihr “mehr als 100.000 Bücher” findet. Kaufen und lesen lassen sich aber nur 15.000. Also 1,5 Prozent der in Deutschland lieferbaren Bücher. Aberwitzig wenig, wenn man den Kostenvorteil bedenkt – gerade bei selten gekauften Titeln, bei denen Druck und Transport im Verhältnis besonders teuer kommen.
Der Börsenverein des Buchhandels verspricht dem Leser auf Libreka “die Chance, das für ihn passende Buch zu finden, im Buch zu stöbern und immer mehr Bücher auch direkt als E-Book zu kaufen”. Tatsächlich hat der Leser diese Chance nur selten. Ein Test mit der aktuellen Hardcover-Bestsellerliste des SPIEGEL:
- Volker Klüpfel und Michael Kobr: “Rauhnacht” – bei Libreka nicht erhältlich
- Stephenie Meyer: “Bis(s) zum Abendrot” – DRM-geschützter Download, kostet bei Libreka so viel wie das Hardcover
- Stephenie Meyer: “Bis(s) zum Ende der Nacht” – DRM-geschützter Download, kostet bei Libreka so viel wie das Hardcover
- Cecelia Ahern: “Zeit deines Lebens” – bei Libreka nicht erhältlich
- Dan Brown: “The Lost Symbol” – bei Libreka nicht erhältlich
Nur zwei der bestverkauften fünf Romane sind also als Download erhältlich – und zwar zum selben Preis wie das gedruckte Buch. Bei den Sachbüchern sieht es ähnlich aus:
- Eckart von Hirschhausen: “Glück kommt selten allein…” – bei Libreka nicht zu finden
- Richard David Precht: “Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?” – DRM-geschützter Download, kostet bei Libreka 12,99, das Hardcover 14,95 Euro
- Manfred Lütz: “Irre – Wir behandeln die Falschen” – bei Libreka nicht zu finden
- Michael Jürgs: “Seichtgebiete” – bei Libreka nicht erhältlich
- Eduard Augustin, Phillip von Keisenberg und Christian Zaschke: “Ein Mann – Ein Buch” – bei Libreka nicht zu finden
Hier ist die Quote also noch schlechter. Dass das ein Problem ist, hat auch Libreka-Chef Ronald Schild erkannt, der Geschäftsführer der Marketingtochter des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Er schreibt in seinem Blog ziemlich offensiv: “Jedes Buch, das nicht auch als E-Book veröffentlicht wird, stellt eine erhebliche Gefahr für das zukünftige Umsatzpotential des Verlages dar.” Und als “Hausmittel” gegen Raubkopien rät Schild den Verlagen: “Das gesamte Programm – Bestseller wie Backlist – möglichst schnell und komplett als E-Books anbieten. Und zu vernünftigen Preisen.”
Dem Libreka-Angebot nach zu urteilen, sieht das die Mehrheit der Verleger in Deutschland anders.
Zersplittertes Angebot
Es hat lange gedauert, aber bei iTunes findet man mittlerweile fast alle kleinen und großen Bands – entsprechend unattraktiv sind Raubkopien geworden. Denn je einfacher es ist, das zu kaufen, was man haben will, desto weniger Fans werden auf illegale und mühsamere Alternativen ausweichen.
Was dagegen passiert, wenn ein Online-Angebot unvollständig und zersplittert ist, konnte man am Niedergang der Musikindustrie in den Jahren vor iTunes studieren. Die Buchverlage allerdings haben daraus wenig Schlüsse gezogen. Der Markt für E-Books sieht für deutsche Kunden – grob vereinfacht – so aus:
- 1,5 Prozent der gedruckt lieferbaren deutschen Bücher kann man bei Libreka kaufen. Viele lassen sich aber nur auf Sony-Geräten lesen.
- Englischsprachige Titel gibt es bei Amazon – allerdings nur für Amazons eigenes Lesegerät Kindle. Deutsche Werke sind bei Amazon noch nicht erhältlich.
- Klassiker, bei denen der Urheberrechtsschutz abgelaufen ist, sind bei spezialisierten Anbietern im ePub-Format erhältlich. Dieses können viele Lesegeräte darstellen – aber nicht alle. Amazons Kindle zum Beispiel braucht erst eine Konvertierung. Bei Google Book lassen sich viele englischsprachige Titel mit abgelaufenem Copyright kostenlos im ePub-Format herunterladen.
Die Folge: Der Kunde weiß nicht, welche E-Books er wo kaufen kann – und welche Klassiker oder vergriffenen Werke er überhaupt lesen kann.
Komplexer Kopierschutz
Als Libreka an den Start ging, sagte Geschäftsführer Ronald Schild einen klugen Satz: “Dateien per DRM zu schützen, empfehlen wir nicht.” Ärger über den Kopierschutz (digitales Rechtemanagement, DRM) hat in der Musikindustrie jahrelang viele legale Angebote unattraktiv gemacht. DRM bedeutete für die Nutzer: Gekaufte Stücke liefen auf manchen Computern und vielen MP3-Playern nicht, oder man hatte plötzlich bei einer Neuinstallation des Betriebssystems keinen Zugriff mehr darauf.
Trotzdem – wer heute bei Libreka Herta Müllers “Atemschaukel” als E-Book kauft oder einen der vier aktuellen Bestseller-Titel, bekommt eine DRM-verschlüsselte Version. Die Verlage entscheiden darüber, ob ein Buch geschützt wird, und sie wollen es so.
Wie nervig das ist, merkt gleich man beim ersten Einkauf. Nach viel Geklicke kann der Kunde endlich auf einen grünen Knopf “E-Book Download” klicken. Danach liegt auf dem Computer aber kein E-Book, sondern eine Datei mit dem kryptischen Namen “URLLink.acsm”. Die meisten Menschen müssen daraufhin erst mal googeln, was ACSM heißt – nämlich “Adobe Content Server Message”. Der Software-Konzern Adobe klärt auf seinen Web-Seiten auf, was es mit der Datei auf sich hat: Man hat gar nicht das E-Book geladen. Sondern eine Art Einkaufsgutschein. Man muss “URLLink.acsm” mit einer speziellen Adobe-Software öffnen, die dann das verschlüsselte Buch von einem Adobe-Server lädt.
Wer auf den Libreka-Hilfeseiten mehr Antworten sucht, wird über unangenehme Begleiterscheinungen dieses Verfahrens aufgeklärt. Die Technik baue auf der Software “Adobe Digital Editions” (ADE) auf. “Diese Software muss auf Ihrem PC oder mobilen Lesegerät installiert und mit einer Adobe-ID registriert sein, damit Sie die DRM-geschützten E-Books lesen können. Neben Windows und Macintosh unterstützen derzeit auch die Sony-E-Book-Lesegeräte ADE.”
Im Klartext: Die Bücher mit DRM-Kopierschutz werden von den meisten Lesegeräten nicht verstanden.
Auf der Buchmesse zeigt Libreka im Forum Zukunft nach eigenen Angaben “eine Auswahl der innovativsten Lesegeräte”. Aber mit keiner dieser “neuesten Reader-Technologien” von Bookeen, iRex, Havon, Endless Ideas kann man die DRM-gegängelten Libreka-Digitalbücher lesen. Auf Apples iPhone schon gar nicht. Dabei dürfte das Handy aktuell der weitestverbreitete E-Reader in Deutschland sein.
Ein Blick in Adobes Forum zu “Digital Editions” legt außerdem den Schluss nahe, dass viele Nutzer Probleme mit dem DRM-System haben. Einige der Hilferufe von Anwendern:
- “Ich kann mein E-Book nicht auf einen anderen Computer übertragen.”
- “Bisher war es möglich, Text aus den E-Books zu kopieren, was die Verwendung von Zitaten sehr erleichterte. In Adobe Digital Editions kann ich Text zwar markieren, allerdings gibt es weder Schaltflächen noch einen Eintrag im Kontextmenü, um diesen dann zu kopieren.”
- “Eine Seite zu drucken, dauert zwischen 90 und 340 Sekunden. Das sind beinahe sechs (!) Minuten pro Seite auf einem aktuellen Laserdrucker (HP LaserJet 1320).”
Benutzerfreundlich ist diese Art von E-Book offensichtlich nicht. Zusammengefasst: Das Libreka-DRM-Angebot stützt sich auf einige wenige Lesegeräte, man muss die Software eines US-Konzerns herunterladen und bei diesem einen Account anlegen und Textpassagen zum Zitieren schlimmstenfalls abtippen. Die aktuelle Angst der Buchindustrie vor Raubkopien ist zwar verständlich, so verständlich wie die Angst der Musikindustrie vor einem Jahrzehnt – aber ob Erschwernisse für ehrliche Käufer die richtige Strategie sind, ist eine andere Frage.
Heute verzichten die Online-Musikhändler auf den Kopierschutz – denn bei ihnen führt weniger DRM offenbar zu mehr Verkäufen.