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Digitale Bargeld-Konkurrenz: Chips statt Scheine (Spiegel Online, 3.7.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Digitale Bargeld-Konkurrenz

Chips statt Scheine

Der Geldautomat schuftet inzwischen als Bankkaufmann, sendet Werbung und nimmt Schalterbeamten mehr und mehr Arbeit ab. Denn als Bargeld-Spender allein hat der Geldautomat keine große Zukunft – neue Bezahlchips in Karten und Handys machen dem Bargeld Konkurrenz.

Spiegel Online 3.7.2007

Sie laden Handy-Guthaben auf, empfehlen aktuelle Kreditangebote und zahlen sogar Bargeld auf Girokonten ein – Geldautomaten werden erst heute ihrem Jahrzehnte alten, englischen Namen gerecht: automatischer Bankangestellter. "Automated Teller Machine" heißt die Erfindung in Großbritannien, wo vor 40 Jahren der erste Geldautomat aufgestellt wurde.

Seine Nachfahren laden heute nicht nur Handyguthaben auf, sondern befüllen sich auch selbst mit Bargeld. Das geht so: Kunden können an den neusten Modellen Bares einzahlen. Das ist zum Beispiel für kleine Händler interessant, die nicht groß genug für die Dienste eines Geldkuriers sind. Neu ist, dass die Automaten das eingezahlte Geld gemäß Zentralbank-Regeln auf Echtheit prüfen und dann wieder auszahlen. Cash Recycling heißt das. Vorteil: Der Automat muss nicht so oft befüllt werden, die Kosten sinken, die Bank profitiert.

Weniger Bankomaten in Österreich

Mit solchen Funktionen versuchen die Bankomaten-Hersteller neue Geräte zu verkaufen. Denn der deutsche Markt scheint gesättigt, die Zahl der Geldautomaten pendelt seit drei Jahren um 53.000 – das ist immerhin Platz drei in Europa. In Österreich, Belgien und Finnland gibt es 2007 sogar weniger Geldautomaten als 2006 – Rationalisierung nennt das das britische Markforschungs-Unternehmen "Retail Banking Research”.

Ein Ende des Bargelds und der Geldautomaten deutet das aber noch lange nicht an. Der Bargeld-Bedarf steigt nur nicht mehr so stark wie früher. Hierbei muss man aber bedenken, dass das rasante Wachstum der Bargeld-Abhebungen in den vergangenen Jahrzehnten auch eine Verschiebung gewesen ist: Weg vom Bankschalter, hin zum Automaten.

2005 nun haben die Deutschen zum ersten Mal seit vielen Jahren etwas seltener als im Vorjahr Geld am Automaten abgehoben. 2,2 Milliarden Mal, wie eine Statistik der Frankfurter Unternehmensberatung Paysys aufführt.

Bargeld bleibt

Vom Ende des Bargelds will der Paysys-Zahlungsverkehrsexperte Hugo Godschalk aber nicht sprechen. Er arbeitet seit einem Vierteljahrhundert in der Branche, promovierte 1982 über "die zukünftige Geldordnung im Computerzeitalter”, arbeitete dann Jahre lang als Berater bei der Gesellschaft für Zahlungssysteme und leitet heute die Unternehmensberatung Paysys. Er sagt: "Bargeld ist seit 2500 Jahren Marktführer. Und das wird lange so bleiben." Tatsächlich: Laut Statistiken von Paysys haben in Deutschland 2005 Kunden 81 Prozent aller Einkäufe bar bezahlt.

Und selbst wenn sich das einmal ändern sollte, gibt es noch immer einen Bereich, wo nur völlig neue Konzepte das Bargeld ersetzen können: Bargeldtransaktionen zwischen Privatpersonen. Laut Godschalk machen die etwa die Hälfte aller Bargeldtransaktionen aus. Godschalk sieht für diesen Zweck noch kein universelles digitales Gegenstück: "Soll ich meinem Sohn ein Guthaben auf sein Handy laden, damit er sich ein Micky-Maus-Heft kaufen kann?"

Handy als Bargeld-Konkurrenz

Einige Mobilfunk-Anbieter würden Godschalk antworten: selbstverständlich. In asiatischen Staaten gibt es schon heute einige leidlich funktionierende Handy-Bezahlsysteme. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little schätzt, dass 2008 gut 37 Milliarden US-Dollar mit Mobiltelefonen ausgegeben werden dürften – 2003 waren es nur 3,2 Milliarden. In Japan bezahlen Kunden heute schon Bahn-Tickets und Einkäufe mit einem Schwenk ihres Handys. Das könnte auch daran liegen, dass viele Geldautomaten in Japan heute noch immer Öffnungszeiten haben – zum Teil muss man für Abhebungen außerhalb der Geschäftsstunden auch Extra-Gebühren zahlen.

Oder doch Geldkarten?

In der Londoner U-Bahn hat sich ein anderes System bewährt: Dort können Kunden seit drei Jahren Fahrkarten mit im Voraus bezahlten Oyster-Karten (mit RFID-Chip), sogenannten Smart Cards ziehen. Inzwischen werden nur noch fünf Prozent der Fahrkarten mit Münzen bezahlt. Kein Wunder – bar bezahlte Tickets kosten mehr. Noch in diesem Jahr will in Großbritannien die Barclays-Bank eine Karte anbieten, die den Oyster-Chip mit einer regulären Kreditkarte und einer neuen kontaktlosen Version kombiniert: Bei Beträgen unter 10 Pfund muss sie nicht mehr durch ein Lesegerät gezogen, sondern nur an ihm vorbeigeschenkt werden.

Karte und Handy? Stephen Timewell, Chefredakteur des britischen Fachmagazins "The Banker" rechnet damit, dass man noch Jahre warten muss, bis sich ein ernsthafter Konkurrent fürs Bargeld abzeichnet: "2010 werden wir sehen, was erfolgreich ist."

Bargeld dominiert noch lange

Es könnte auch noch wesentlich länger dauern. Denn ganz neu sind die Visionen eines Bargeld-Ersatzes nicht. Als 1996 in Deutschland die Geldkarte eingeführt wurde, waren die Hoffnungen ähnlich groß. Heute kann man mit diesem Chip auf der Bankkarte Fahrkarten und Zigaretten kaufen, sich an den neuen Zigaretten-Automaten sogar ausweisen. Trotzdem: "Die Geldkarte ist ein Flop", rechnet Zahlungsverkehrsexperte Godschalk vor: "Die Transaktionszahl liegt heute, nach zehn Jahren bei der schlimmsten Annahme, die man 1996 für das Jahr 1999 getroffen hat".

Bargeld sei einfach praktischer, urteilt Godschalk: "Im Bereich der Kleingeldzahlungen, wo man Menschen Geld gibt, ist Bares oft effizienter, schneller, einfacher. An Automaten ist das anders."

Neue Aufgaben für Geldautomaten

Aber selbst wenn die Menschen an allen Fahrkarten-Automaten Deutschland ausschließlich bargeldlos zahlen, bleibt noch genug Cash-Bedarf, um die Geldautomaten auszulasten. Und sie dürften noch mehr zu tun bekommen. Stephen Timewell von "The Banker" sieht einen neuen Automatisierungs-Trend. Zu SPIEGEL ONLINE sagt er: "Geldautomaten übernehmen mehr und mehr Aufgaben der Bankfilialen." So werde das weitergehen – "bis Banken in ihren Filialen nur noch beraten und Produkte verkaufen".

Alles andere sollen Kunden online erledigen – oder am Geldautomaten. Beim automatischen Bankangestellten eben, von dem Erfinder schon vor 40 Jahren träumten.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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