Digitalvertrieb Finetunes: "Das Musikgeschäft war noch nie besser" (Spiegel Online, 17.8.2010)
Digitalvertrieb Finetunes
“Das Musikgeschäft war noch nie besser”
Indie-Labels können ihre Musik kaum direkt bei iTunes und Co. vertreiben: Sie sind zu klein, um gute Konditionen und Platzierungen zu erstreiten. Da hilft der Digitalvertrieb Finetunes. Mitgründer Oke Göttlich (34) erzählt, wie er 20 Millionen Euro an deutsche Independent-Labels ausgeschüttet hat..
Spiegel Online, 17.8.2010
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Zum Special auf Spiegel Online (Interaktive Grafik, Statistiken, Hörproben, O-Ton-Protokolle):
Finetunes sollte eigentlich ein Downloadshop werden. Ist es immer noch, aber vor sechs Jahren war das unser einziges Geschäftsmodell – der erste europäische Downloadshop für Independents. Ich war da Sportreporter bei der “taz” und hatte das Label Nonplace für Neo-Folk und habe gemerkt, dass man digital etwas tun muss. Mein Partner Henning Thieß hatte sein Wirtschaftsinformatikstudium abgebrochen.
Wir haben dann auch ein paar Downloads verkauft und monatliche Abrechnungen von 23 Cents an die Labels geschickt. Die sagten, sie hätten lieber 23 Euro. Glücklicherweise ist es für die meisten inzwischen wesentlich mehr. Wir sind zum Digitalmusik-Auswerter geworden, wir vertreiben die Musik unserer Kunden über digitale Plattformen. Wir waren einer der ersten europäischen Independents, der Musik direkt an iTunes liefern konnte.
Finetunes vertritt heute ein Drittel der unabhängigen Plattenfirmen in Deutschland. Wir verkaufen auf dem Finetunes-Shop etwa eine Millionen Titel und wir vertreiben mehr als 300.000 Titel im Auftrag über andere Plattformen. Jede Woche kommen etwa 100 Veröffentlichungen dazu, die dann auch auf die jeweiligen Server geladen werden müssen. Wir lizenzieren die Musik dorthin, wo gekauft wird. Wir benutzen aber auch freie Dienste wie Soundcloud oder Fairtilizer, um eine gewisse Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Labels laden die neuen Stücke in unser System, tragen die Metadaten ein, dann wird besprochen, was man damit wo machen kann.
Digitalvertrieb braucht gut geplante Verkaufsbooster
Manchmal kann es ein Wunsch sein, dass man Musik frei verfügbar macht, ohne zu verdienen. Das entscheidet der Urheber: Möchte ich, dass mich fünf Millionen Leute wahrnehmen? Oder möchte ich, dass 5000 Leute ein digitales Album von mir kaufen? Jede Veröffentlichung ist anders. Das gilt auch für die Plattformen, wo die verkauft werden. Für die Metalplatte ist der schwedische Markt sehr wichtig. Da würde ich sagen: CDon und TDC und iTunes Schweden. Wenn wir ein deutsches Schlagerthema haben, dann Amazon und Musicload. Es gibt nicht die Formel, wir können nicht für jeden Song einen Soundcloud-Remix-Wettbewerb machen. Man muss genau gucken, wohin was passt.
Für manche Veröffentlichungen ist ein Frei-Download ein Verkaufsbooster, für andere nicht. Zum Beispiel eine Jazz-Veröffentlichung, die wird eher langfristig verkauft, durch lange Werthaltigkeit, eine iTunes LP mit aufwendigen Booklet zum Beispiel. Ein trashiger Elektro-Remix wird eher in die Welt gepumpt. Da gibt es ganz merkwürdige Effekte. Bei iTunes US gibt es zum Beispiel eine Single der Woche, die eine Woche lang als Download verschenkt. Man kann ziemlich sicher sein, dass dieser Track in der Woche darauf einer der bestverkauften ist.
Im Idealfall wird acht Wochen vor Veröffentlichung zu den Plattformen hochgeladen. Dann besprechen wir mit denen, wie wo was platziert werden kann, was sich für besondere Präsentationen eignet, wo man vielleicht besondere Angebote bündelt.
20 Prozent vom Online-Umsatz für den Vertrieb
Wir teilen uns den Erfolg und das Risiko einer Veröffentlichung. Wir verdienen eine Marge an dem Betrag, den wir von den Plattformen an die Labels weitergeben. Wir stellen die Musik nicht nur in die Shops ein und rechnen ab – wir verhandeln Konditionen, Platzierung, wir vermarkten.
Ein kleines Label wie Audiolith als Beispiel könnte mit Amazon schlechter bis gar nicht verhandeln und würde in jedem Fall schlechtere Konditionen bekommen als Finetunes. Dadurch, dass wir die Rechte kollektiv wahrnehmen, sind wir relativ wichtig und man gibt uns relativ anständige Konditionen.
Wir haben regelmäßig Gespräche mit den Plattformen, sagen: Das ist interessant, hört euch das mal an. Die Redakteure, die die Seiten bestücken, können sich das bei uns vorab anhören, jeder hat eine individualisierte Startseite, weil wir deren Musikgeschmack schon etwas kennen. Wir bemustern auch Musikblogs. Dort wird über Musik gesprochen, also bekommen sie die Musik über das Promo-Tool zur Verfügung gestellt.
Seit 2004 hat Finetunes etwa 20 Millionen Euro an Label ausgeschüttet
Wir haben die Firma ohne Wagniskapital hochgezogen. Wir haben 150.000 Euro von Freunden und Familien zusammengeklaubt.
80 Prozent unseres Umsatzes kommen aus dem Vertriebsgeschäft, davon reichen wir 80 Prozent an die Label weiter. Wir haben in den sechs Jahren knapp 20 Millionen Euro an die unabhängige Labellandschaft in Deutschland ausgeschüttet.
Musikindustrie hat online mehr ausprobiert als Verlage und Studios
Wir geben nur Geld aus, das wir einnehmen. Die Mitarbeiter kosten am meisten Kohle, 60 bis 70 Prozent. Der Rest der Ausgaben sind Miete, Server, Netz. Ohne 150 Gigabit-Anbindung kannst du nicht anfangen, bei den Datenmengen, die wir zu den Plattformen hochladen, kosten allein die Uploads so um die 3000 Euro im Monat.
Es gibt keine Industrie, die im Digitalen so viel ausprobiert hat wie die Musikindustrie – jetzt lassen wir mal dahingestellt, ob freiwillig oder nicht. Die drei großen Refinanzierungsmodelle abonnierte, werbefinanzierte und à la carte- Downloads gibt es schon seit zwei, drei Jahren, die haben sämtliche Bezahlmethoden erprobt, wo die Hörbuch-, Verlags- und Filmwelten noch ihre Berührungsängste haben.
Digitialwachstum kann Verluste nicht ausgleichen
Die Einnahmen aus dem Digitalgeschäft fangen den Niedergang bei Tonträgern nicht auf – jetzt noch nicht zumindest. Aber wir sind da noch am Anfang, glaube ich. À la Carte war immer der Umsatzbringer, aber die Streaming-Angebote holen sehr schnell auf. Man sieht heute interessante Entwicklungen, bei Special-Interest-Portalen zum Beispiel. Weil wir bei elektronischer Musik sehr stark sind, haben wir natürlich Verträge mit allen da relevanten Special-Interest-Läden wie Beatport, Boomkat oder Juno. Da wird ein Stück ohne weiteres für 1,49 oder 1,99 Euro verkauft, weil DJs schnell und bequem an das Stück kommen wollen.
Einigen gefällt die Digitalisierung nicht, andere profitieren davon. Für eine Firma wie Finetunes mit rein digitalem Auswertungsansatz ist die Entwicklung natürlich gut. Wir können gar nicht klagen, weil wir die Zeiten aus der physikalischen Welt gar nicht kennen.
Wer verkaufen will, soll das tun können
Ich bin vielleicht ein grenzenloser Optimist. Aber ich mache das jetzt seit sechs Jahren und ich finde: Es war noch nie besser als heute. Es hat sich gesellschaftlich wahnsinnig viel getan. Es entsteht ein Bewusstsein, dass zumindest kreative Schöpfung nicht immer einfach frei verfügbar sein kann im Sinne von ohne Refinanzierung.
Diese Variante ist sinnvoll, wenn es um aus öffentlichen Mitteln finanzierte Forschung geht. Das ist auch der Gründungskern der Piratenpartei: Da geht es um die weltweite Verteilung von Wissen – darum, dass ein Wissenschaftler in Afrika genauso schnell an publizierte Erkenntnisse anderer kommt wie die Kollegen in Europa oder den Vereinigten Staaten. Das ist sinnvoll, um globales Wissen zu verbreiten.
Ob es ein Musiker, ein Wissenschaftler oder ein Journalist ist, die Möglichkeiten Werke frei zu verteilen, global, waren noch nie so groß wie heute. Aber das geht nur, wenn der Urheber das möchte – das ist mir wichtig. Wer so überzeugt ist von seinem Werk, dass er es verkaufen möchte, der soll das tun können.
SPIEGEL ONLINE hat die Kleinen und Mittelgroßen der Branche gefragt, was sie aus der Krise machen und protokolliert, wie man heute von Musik lebt.
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