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Dokumentarfilm: Wie eBay Träume verramscht (Spiegel Online, 27.6.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Dokumentarfilm

Wie eBay Träume verramscht

Sächsisches Bier, schottische Schiffszeichnungen, mexikanische Vasen: Die Dokumentation "Trader’s Dreams" zeigt, wie eBay-Händler auf drei Kontinenten ihr Glück versuchen. Die Regisseure haben wunderbare Bilder und starke Geschichten – aber viel zu wenig Zeit.

Spiegel Online, 27.6.2007

Konrad Thurm war einmal Ingenieur. Jetzt ist das Überbrückungsgeld ausgelaufen und Thurm sucht eine neue Hoffnung für sich, seine Frau, seine zwei Söhne. Das ist nicht einfach im sächsischen Borna, der Ex-Braunkohle-Stadt. Der kleine rundliche Mann mit dem freundlichen Gesicht und den ängstlichen Augen sitzt also nachts vor seinem Computer , in dem kleinen Ladengeschäft seiner eBay-Agentur und wartet gespannt, dass endlich jemand bei eBay für seinen regionalen Präsentkorb aus Sachsen bietet. 14,99 Euro für Bier, Käse und Gurken. Die Weihnachtspyramide im Fenster dreht sich, sonst bewegt sich nichts. Thurm nicht, der starrt auf die Seite. Aber auch da Stillstand – niemand bietet.

Am nächsten Morgen sagt Thurm zu seinem Sohn: "Ich weiß, dass es manchmal sehr lang dauert, bis du dein erstes Erfolgserlebnis hast." Doch dabei klingt seine Stimme so, als sei er sich gerade ganz sicher: Ich erlebe so was nie mehr. Das sind die großen Momente im Dokumentarfilm "Trader’s Dreams", der morgen in den Kino anläuft. Der Untertitel verspricht "Eine Reise in die eBay-Welt" – aber das führt ein wenig die Irre.

Wer zu gewissenhaft ist, verliert

Denn die besten der 80 Minuten dieser Dokumentation erzählen nicht von ebay, sondern von den Träumen der Menschen, den großen und den ebenso anrührenden kleinen.

Da ist Konrad Thurm, der einen "ehrlichen" eBay-Handel mit Produkten aus seinem Heimatstädtchen Borna aufbauen will. Man sieht, wie der massige Mann mit seinen winzigen Auto vor Ort von Händler zu Händler fährt, die Gurken, das Sauerkraut, die Pappkartons selbst prüft. Er macht das alles sehr gewissenhaft, schneidet die Styropor-Polsterung der Präsentkörbe von Hand zurecht, brütet ewig über jeder Artikelbeschreibung. "Wir wollen anständig bleiben bei der Geschichte", sagt er seinem Sohn einmal. Der antwortet: "Ehrlich scheiterst du." Und das passiert. Leider.

Und leider reißt der Film diese Geschichten nur an. Er springt von Kontinent zu Kontinent, von den Mexikanern, die ihre handbemalten Vasen bei eBay verkaufen wollen, zur schottischen Isle of Skye, wo alle bei eBay einkaufen, weil es kein Kaufhaus gibt.

Dann sieht man immer wieder Bilder von der sektenähnlichen Geburtstagsfeier zum zehnjährigen eBay-Bestehen und auch noch Jack Ma, den Mann, der eBay mit seinem Konkurrenz-Portal in China geschlagen hat. Viele spannende Protagonisten und Schauplätze – zu viele für 80 Minuten.

Spekulieren und Akkumulieren

Wenn der Film dann einmal längere Zeit an einem Ort verweilt und genauer hinschaut, entwickeln sich verblüffende Geschichten. Da sieht man, dass mancher eBay-Verkäufer einfach nur von etwas Anerkennung träumt. Archie Campbell zum Beispiel, der mit einem "Bed & Breakfast" auf der schottischen Isle of Skye sein Geld verdient. Viel lieber arbeitet er aber 40 und mehr Stunden in der Woche an seinen riesigen, detailverliebten Zeichnungen von Schiffen. Und als sein Nachbar Spike – eBay-Powerseller mit Münzen – ihm von Online-Auktionen erzählt, hofft Campbell, dass es vielleicht jemand da draußen gibt, der seine Bilder mag, sie kaufen würde: "Man müsste schon jemanden finden, der sich für Seefahrt interessiert."

Aber Archie ist kein eBay-Händler. Das Problem: Er mag seine Bilder zu sehr. Als Profi Spike ihm erzählt, dass kleinere Formate sich besser verkaufen, dass Poster sehr erfolgreich sind, dass er die Bilder nicht mit Rahmen verschicken sollte, dass der Startpreis nicht zu hoch sein darf – da kommt Archie ins Grübeln.

Der Film kommt zur Ruhe, zeigt das Gespräch der beiden. Und so beobachtet man, wie Archie begreift, worum es bei eBay geht: Nicht um wunderschöne Schiffe, sondern ums Spekulieren und Akkumulieren. Wie es an einer anderen Stelle im Film heißt: Die bessere Kamera ist die, die mehr Gebote hat. Archie und Spike verabschieden sich und Spike erzählt ganz unvermittelt eine wohl Insel-typische Geschichte: "Ich habe ein Schaf verloren. Hat sich ein Bein abgebissen. Muss verrückt gewesen sein".

Mit Plüschapplikationen und Bommel

Solche Szenen brauchen Zeit. Und die hat der Film nicht, deshalb nutzt er ein paar Mal arg simple Tricks, um der Geschichte schnell eine Tendenz zu geben. Da schneiden die Regisseure zum Beispiel Szenen aus einem eBay-Anleitungs-Video für Verkäufer gegen die Bemühung von Familie Thurm in Borna, ein "komplettes Weihnachtsfrau-Kostüm, von Meisterhand gefertigt" zu fotografieren. Die lächelnden, entspannten eBay-Instruktoren im Wechsel mit Thurms, die nach Umschreibungen für "Plüschapplikationen und Bommel" suchen – das wirkt billig, hämisch sogar. Einer der wenigen Momente, bei denen die Dokumentation abgleitet.

Die Musik hingegen ist ständig nah am Klischee: In Mexiko jaulen die Gitarren, während die Geier kreisen. In China ist es Nacht und bedrohlich grummelt die Musik im Hintergrund (Achtung: Tigerstaat, Wirtschaftswunder, Raubtierkapitalismus!), während eBays Konkurrenz das Ende des Auktionshauses plant. Das muss nicht sein.

Trotzdem: "Trader’s Dreams" ist sehenswert, anrührend, anspruchsvoll gefilmt. Man sieht starke, neue Bilder außergewöhnlicher Menschen. Nach 80 Minuten will man eine ebenso lange Dokumentation über jeden der Protagonisten haben. Denn "Trader’s Dreams" erzählt keine seiner packenden Geschichten zu Ende. Nur die von Konrad Thurm liest man im Nachspann: Er hat seinen eBay-Traum aufgegeben und eine ABM-Stelle angenommen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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