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Drogen und Gomorrah (Zeitung zum Sonntag, 14.12.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Drogen und Gomorrah

„Sorted“ sieht hip aus, ist es aber nicht

Zeitung zum Sonntag, 14.12.2000

Es müsse doch auf dieser Welt ein Terrorist zu finden sein, um das Münchener Olympiastadion wegzusprengen. So witzelte Franz Beckenbauer, Präsident des FC Bayern und Vizepräsident der Deutschen Fußballbundes (DFB) Anfang dieses Jahres. Sein Verein will ein neues Luxus-Fußballstadion. Zahlen soll das vor allem die Stadt München. Renommierte Architekten haben Bedenken, 40000 Bürger, die ein Begehren gegen den geplanten Totalumbau unterschrieben auch. Doch den Kaiser ficht das nicht an. Für die Geschmacklosigkeit seines Terroristen-Gags angesichts des Anschlags während der Olympischen Spiele 1972 in München hat sich Beckenbauer bis heute nicht entschuldigt.

Die Arroganz überrascht nicht. Als die Diskussion um einen Umbau des Olympiastadions vor fünf Jahren begann, hätten sich die zwei dort spielenden Münchener Fußballvereine mit einer kleinen Lösung zufriedengegeben. Eine Dach über der Osttribüne, ein etwas tiefergelegtes Spielfeld – das hätte damals dem FC Bayern und dem TSV 1860 gereich. Das sagt heute Karl-Heinz Wildmoser, Präsident des TSV 1860. Der Süddeutschen Zeitung erklärte er, die entstandene „Dynamik“ sei dann vom FC ausgegangen.

„Dynamik“ ist eine Untertreibung. Das sogenannte Konsensmodell, auf das sich die Stadt München (SPD und CSU), der Freistaat Bayern und die zwei Vereine bei mehreren „Stadiongipfeln“ einigten, sieht einen Umbau des Stadions vor, der neben 5000 zusätzliche Plätze, darunter 600 Logensitze, 1600 „Business Seats“, Restaurant für Logen- und Businessgäste und natürlich eine Tiefgarage mit 1000 Stellplätzen für die VIPs bringen soll. 400 Millionen Mark kostet dieser Umbau nach eher knapp kalkulierten Schätzungen der Stadt München. Davon tragen die Stadt 200 Millionen, der Freistaat 100 und die beiden Vereine – immerhin Hauptnutznießer – lediglich 100 Millionen Mark. Eventuell notwendige weitere 40 Millionen Mark soll die Olympiapark GmbH, eine städtische Tochter, heranschaffen. Was die Stadt mit dem Geld der Steuerzahler anfängt wollen die Fußballvereine bestimmen: „Unter 250 Millionen darf die Stadt gar nicht erst nachdenken“, tönte Wildmoser etwa Anfang November.

Nun steht dieser gigantische Umbau-Plan seit der vergangenen Woche überraschend wieder in Frage. Bei einer Stadtratsanhörung hat sich das beauftragte Architektenbüro Behnisch und Partner aus Stuttgart überraschend vom eigenen „Konsensmodell“ distanziert und auf die Seite der Kritiker geschlagen. Da die Architekten 1972 das Olympiastadion entwarfen und für 99 Jahre das Urherberrecht haben, kann kein anderes Büro mit dem Umbau beauftragt werden.

Weshalb die plötzliche Kehrtwende? Die gelinde gesagt Sprunghaftigkeit des Stuttgarter Büros war zuvor schon bekannt. Lange hatte sich Günter Behnisch über jede Änderung an seinem Olympiastadion empört. 1987 etwa über „Verfremdungen und Verfälschungen“ wie Imbissbuden und Bierbänke. Doch 1997 dann ließ er wissen, er würde sich an einem Umbau beteiligen – wenn die Münchener ihn denn wollten. Man mag spekulieren, ob dabei Honorare eine Rolle spielen. Allein für die bisherige Machbarkeitsstudie hat die städtische Olympiapark GmbH 2,5 Millionen Mark ausgegeben.

Das Behnisch sich jetzt plötzlich vom eigenen Neuentwurf distanziert hängt vielleicht auch mit der massiven Kritik an diesem zusammen. „Niemandem steht zu, das mit Abstand beste Stück, das Deutschland zur Weltarchitektur des ausgehenden Jahrhunderts beigetragen hat, leichtfertig zu zerstören“, schrieb etwas Uwe Kiessler, Professor an der TU München. Eine „bierselige Dummheit“ nannte es der Hamburger Architekt Jörg Friedrich. Das Präsidium der Bundesarchitektenkammer verlangte schließlich Mitte November, diesen „architektonischen Unsinn“ zu stoppen.

Einen Tag vor der Stadtratsanhörung, bei der Behnisch so plötzlich einknickte, hatte schließlich das Münchener Bürgerbegehren gegen des Stadionumbau 40000 Unterschriften eingereicht. Damit ist ein Volksentscheid über den Umbau binnen vier Monaten zwingend geworden. Unterstützt hat das Begehren unter anderem der ehemaligen SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel.

Es ist also wieder alles offen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) will erst einmal den Ausgang des nun anstehenden Volksentscheides abwartend. Das ist gut so, schaut man sich die Gründe für den gigantischen Umbau an. Beckenbauer hat es klar gesagt: „ Die Einnahmen beim alten Stadion sind ohne Logen, ohne Business Seats limitiert.“ In Stadien wie Amsterdam und Mailand, wo große Länderspiele möglich seien, könne man höhere Eintrittspreise verlangen, höhere Umsätze erzielen.

Als im Juli Deutschland Austragungsort der Fußball-WM 2006 wurde, kam ein neues Argument für den Umbau hinzu. Der internationale Fußballverband Fifa stelle Anforderungen, die das Olympiastadion nicht erfülle. Ohne Umbau werde München gewiss nicht das Eröffnungsspiel bekommen. Und das internationale Pressezentrum auf dem Messegelände Riem sei dann auch gefährdet.

Was Beckenbauer, Stoiber und Ude dabei übersehen: Die Fifa verlangt für die Weltmeisterschaftsspiele keine VIP-Tiefgarage und auch keine Business Seats, sondern lediglich eine Überdachung der Osttribüne. Dafür existieren bereits Pläne aus dem Jahr 1972 von Frank Otto, der damals das weltbekannte Zeltdach entwarf.

Mit Fußball hat die Hörigkeit Udes gegenüber den Vereinen nur in einer Hinsicht etwas zu tun: Erpressung. Seit Herbst 1997 drohte der FC Bayern, ein eigenes Stadion im Münchener Umland zu bauen. Dann würden der Stadt Steuereinnahmen und den Hotels und Restaurants die Besucher fehlen. Bayern-Manager Uli Hoeneß nannte die Stadtspitze immer wieder „unfähig“ und lieferte so der CSU Munition für den Wahlkampf 1999 gegen den „fußballfeindlichen“ Ude.

Im Amt hat Ude sich behauptet, doch einen Eklat beim Stadiongipfel Anfang dieses Jahres konnte er doch nicht riskieren. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), der bei diesem Gipfel bereitwillig 100 Millionen Mark Steuermittel für Beckenbauers „unlimitierte Einnahmen“ durch „Business Seats“ zusagte, ist übrigens nebenbei Vorsitzender des Verwaltungsrates des FC Bayern. Ude betätigt sich als „Berater des TSV 1860. Das hat gewiss viel mit Image zu tun. Bei Meisterfeiern der FC Bayern auf dem Marienplatz etwa riefen Fans immer wieder mal im Sprechchor „Ude bau das Stadion um“. Herbert Riehl-Heyse spricht angesichts des Treibens in München von der Umkehr der „Parteipolitisierung der Gesellschaft“ in eine „Fußballerisierung der Politik“.

Die zwei Alternativen lauten jetzt: Kleine Umbaulösung allein nach den Vorgaben der Fifa für etwa 140 Millionen Mark oder ein kompletter Neubau etwa auf dem Gelände einer Radsportanlage im Olympiapark.

Die „Fußballerisierung“ ist weder durch das Volksbegehehren noch den Architektenprotest aufgehoben. Fran Beckenbauer droht schon wieder: „Wenn es in München nicht möglich ist, bis 2006 ein Stadion zu bauen, dann findet die Weltmeisterschaft halt ohne München statt. Es ist die Sache der Stadt, ob sie sich der Lächerlichkeit preisgeben will.“

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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