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E-Book-Markt: Der Lese-Wettbewerb (Spiegel Online, 7.10.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

E-Book-Markt

Der Lese-Wettbewerb

Bis zu 50 Prozent für Händler, gerade mal zehn für Autoren, der Rest und hohes Risiko für die Verlage – der Markt mit gedruckten Büchern wirft für Schöpfer wenig ab. E-Books könnten das ändern, wenn Amazon, Apple und Google Wettbewerb ins Buchgeschäft bringen.

Spiegel Online, 7.10.2010

{jumi [*3]}

Verteilungskampf – das klingt bedrohlich, wenn es um das Kulturgut Buch geht und dann noch Begriffe wie die “amerikanischen Riesenkraken” (gemeint sind Amazon, Apple, Google) fallen. “Enorme Verteilungskämpfe”, so beschreibt Ronald Schild, Geschäftsführer der Marketing-Tochter des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, der “Süddeutschen Zeitung” die Lage auf dem eben erst entstehenden Markt für E-Books.

Wenn von diesem Markt die Rede ist, fallen schnell Begriffe wie “Dumping”, und man liest von der Angst der Verlage, ihre sorgsam lektorierten Werke “unter Wert” an die “Riesenkraken” verkaufen zu müssen. Mit solchen Begriffen garniert der SZ-Artikel die Aussagen von Ronald Schild. Von dem Börsenverein-Mann stammen diese Kampfbegriffe nicht. Das könnte daran liegen, dass der Börsenverein gerade recht schlau daran arbeitet, Verlage und Autoren von diesem Verteilungskampf profitieren zu lassen. Der Börsenverein liefert zum Beispiel ab sofort die 31.000 beim Buchhandelsportal Libreka verfügbaren Kauf-E-Books auch an Apples iBookstore.

Neue Verkäufer umgarnen die Verlage – und Autoren

Denn warum sollten Verlage und Autoren leiden, wenn plötzlich neue Händler auf den Markt drängen, die ihre Produkte gerne zu besseren Konditionen verkaufen würden? Wie der E-Book-Markt aussehen wird, weiß heute niemand. Im Moment sieht es aber gar nicht so schlecht aus für die Verlage und Urheber.

Man muss sich nur mal zum Vergleich anschauen, wie das Buchgeschäft heute funktioniert: Zieht man die Mehrwertsteuer ab, behält der Buchhändler ungefähr die Hälfte des Verkaufspreises, der Verlag bekommt den Rest, bezahlt davon seine Angestellten, die Vertreter, und der Autor kriegt auch noch ein Zehntel des Nettopreises.

Beispielrechnung: Wer bekommt wie viel vom Ladenpreis?
Anteil Anteil (%) absolut (€)
Ladenpreis 100 19,90
Händlerrabatt 44,6 8,84
Gemeinkosten 12,1 2,39
Honorare 11,1 2,19
Herstellkosten 10,5 2,08
Mehrwertsteuer 7,0 1,39
Auslieferung 5,6 1,10
Werbung 5,6 1,10
Gewinn 2,8 0,55
Beispielrechnung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Beispieltitel: originalsprachliche Belletristik, Hardcover 416 Seiten, Auflage 10.000, Garantiehonorar 20.000 Euro, Autorenhonorar 10 %, Ladenpreis 19,80, Nettoladenpreis 18,414 Euro.
* Gemeinkosten sind der Anteil an den Gesamtausgaben des Verlags für die Verwaltung, die nicht direkt dem Einzeltitel zugerechnet werden können

Bis zu 50 Prozent der Einnahmen für den Händler – das ist eine heftige Marge, verglichen mit anderen Branchen. Kleiner Händler verdienen weniger, es hängt von den jeweiligen Verträgen und auch von den Titeln ab, laut dem Jahresbetriebsvergleich für den Sortimentsbuchhandel des Instituts für Handelsforschung kommt ein Buchhändler im Durchschnitt auf 31,7 Cent Verdienst je Euro Umsatz.

Zum Vergleich: Bei CDs behält der Musikladen etwa ein Viertel der Verkaufseinnahmen. Und dann haben die Verlage bei gedruckten Büchern noch das Warenrisiko: Wenn die Bücher sich nicht so gut verkaufen wie erwartet, darf der Buchhändler sie meistens zurückgeben, und der Verlag muss sehen, was er damit anstellt. Wenn sich weniger Exemplare verkaufen als produziert wurden, bleibt der Verlag auf den angefallenen Kosten für Vorschuss, Herstellung und Werbung sitzen. Das Warenrisiko ist bei E-Books kleiner – man muss nicht vorab eine fixe Menge drucken, es bleiben aber die Fixkosten für mögliche Vorschüsse und die Lektoratsarbeit.

Volles Risiko für den Verlag, ein Zehntel des Umsatzes für den Autor

Nach diesem alten Modell funktioniert heute das Buchgeschäft in Deutschland: Die klassischen Sortimentsbuchhandlungen haben 2009 gut fünf Milliarden Euro beim Buchverkauf umgesetzt – das sind 52,3 Prozent des Buchmarktes. Fast ein Fünftel davon dürfte auf die größte deutsche Buchhandelskette Thalia (Jahresumsatz zuletzt 910 Millionen Euro) entfallen – so viel zu Kraken.

Natürlich zahlt sich bei vielen Buchhändlern die hohe Händlermarge dennoch für die Verlage aus. Die Vielfalt vieler unabhängiger Buchhandlungen, deren Besitzer eigenständig darüber entscheiden, welche Titel sie wie präsentieren und empfehlen, erhöht die Chancen kleiner Verlage erheblich, mit außergewöhnlichen Büchern auch ohne riesiges Werbebudget Käufer und Leser zu finden. Wenn ein Buch den unabhängigen Händler überzeugt, macht er es bekannt. Wenn es nur noch eine Handvoll nationaler Verkäufer gäbe, würde diese Chance für viele Verlage sinken.

Außerdem legen engagierte Buchhändler in ihrem Laden vielleicht auch die älteren Titel ihrer liebsten Autoren aus – die sogenannte Backlist – und empfehlen Käufern auch Titel abseits der aktuellen Bestseller. Das kann Verlagen schon die Hälfte der Marge wert sein. Denn wenn auch nur ein paar Dutzend Buchhändler in Deutschland den dritten, großartigen Roman eines unbekannten Autors mögen und anpreisen, kann es sich für den Verlag rechnen. Solche Buchhändler mit eigenem Profil werden es etwas einfacher haben als das Mainstream-Mittelmaß, trotz E-Books zu bestehen. Denn sie bieten Kunden und Verlagen mehr als eine Plattform für jedermann.

Verlage spielen Apple, Amazon und Google gegeneinander aus

Nun drängen neue Anbieter auf den Markt, die gerne digitale Bücher verkaufen würden – die deutschen Händler Thalia, Weltbild und Libri starten alle eigene E-Book-Shops mit passenden Lesegeräten, Amazon arbeitet noch am Angebot des deutschen Kindle-Vertriebs, und Google kündigt an, im ersten Halbjahr 2011 auch in Deutschland E-Books übers Web zu verkaufen.

Dass Verlage diese neue Konkurrenz nutzen können, um für sich bessere Konditionen rauszuschlagen, zeigen einige Beispiel aus der noch recht kurzen Geschichte des E-Book-Markts: Im Januar legte sich Amazon mit dem US-Verlag Macmillan an. Der Verlag wollte einzelne Bücher teurer verkaufen als zum Amazon-Kindle-Einheitspreis von 9,99 Dollar. Er stellte sich Amazon quer und nahm alle Titel des Verlags aus dem Verkaufsprogramm, dann einigte man sich doch. Macmillan kann Kindle-Titel nun auch für 12,99 oder 14,99 Dollar verkaufen, Amazon erhält nur 30 Prozent der Einnahmen.

Apples Konkurrenz-Angebot zu Amazons Kindle-Laden dürfte die Verhandlungsposition von Macmillan verbessert haben – beim konkurrierenden iBookstore nimmt Apple auch nur 30 Prozent der Einnahmen und lässt die Verlage die Preise freier gestalten. Google hat schon angekündigt, bei seinem E-Book-Vertrieb Google Editions ebenfalls 70 Prozent der Erlöse an die Verlage auszuschütten.

Solange mindestens drei große und viele kleine Anbieter konkurrierende E-Book-Plattformen betreiben und der Markt mit gedruckten Büchern auch noch groß genug ist, dürfte die Verhandlungsposition der Verlage gar nicht schlecht sein.

Warum Ian McEwan direkt bei Amazon verkauft

Allerdings könnte das Digitalbuch auch die Verhandlungsposition einiger Autoren stärken. Warum bekommt der Autor eines Werks in der Regel gerade mal zehn Prozent der Einnahmen? Nun leisten viele Verlage für ihren Anteil einiges: Lektorat, Marktforschung, Vertrieb, Öffentlichkeitsarbeit und Abrechnung – Dinge, die nur wenige Autoren alle gleich gut können. Außerdem arbeitet ein Verlag im Grunde genommen wie eine Bank: Er finanziert Ideen und Geschichten, investiert in riskante Debüts, übernimmt das Warenrisiko und schafft es durch eine gute Mischung im Programm, dass ein paar kommerziellen Misserfolge tragbar sind, weil es eben auch Bestseller gibt.

Allerdings ist bei E-Books das Risiko der Verlage nicht ganz so hoch: Ein Warenrisiko gibt es nicht, und durch den Verzicht auf Druck und Transport lassen sich zehn bis 20 Prozent der Produktionskosten sparen.

Einige Autoren setzen bei Verhandlungen deshalb schon bessere E-Book-Konditionen durch – die Rechte für Digitalausgaben kosten extra, und die Tantiemen sind höher. Bei solchen Verhandlungen dürfte die Konkurrenz durch neue Marktteilnehmer einigen Autoren helfen: Amazon bietet Autoren, die ohne Verlagsumweg ihre Werke digital direkt als Kindle-Ausgabe veröffentlichen, 70 Prozent der Einnahmen. Der Autor Ian McEwan zum Beispiel lässt die Digitalausgaben von fünf seiner älteren Romane in den Vereinigten Staaten direkt von Amazon als Kindle-Ausgaben vertreiben – er soll mehr als die Hälfte der Einnahmen erhalten.

Das ist Wettbewerb.

Umsatzrenditen deutschsprachiger Belletristik-Titel
Umsatzrendite Anteil (%)
Verlust 26,3
0% bis unter 1% 17,3
1% bis unter 3% 16,8
3% bis unter 5% 16,8
5% bis unter 7% 11,7
7% bis unter 9% 5,6
9% und mehr 5,6
Quelle: Auftragsgutachten des Wirtschaftswissenschaflters Christian Homburg für den Börsenverein 2003, basierend auf einer Befragung von 65 Verlagen

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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