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E-Reader Amazon Kindle & Hanvon N511: Schmökern ja, scannen nein (Spiegel Online, 24.11.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

E-Reader Amazon Kindle & Hanvon N518

Schmökern ja, scannen nein

Ein Monat, fünf Romane, viele Zeitungsausgaben: Amazons Lesegerät Kindle überzeugt im Praxistest als Gerät zum Geradeauslesen. Ein Vergleich mit der besser ausgestatteten Konkurrenz zeigt: E-Books sind für Romane, Kurzgeschichten und Reportagen wunderbar – fürs Querlesen aber kaum geeignet.

Spiegel Online, 24.11.2009

Kaum eine Behauptung über Digitalbücher liest man so oft wie diese: Für Fachbücher und Magazine sind sie sicher ganz wunderbar, aber für Romane, nein, da ist das gedruckte Buch unschlagbar. Vielleicht muss man erst einen guten Teil von Stephen Kings Dark-Tower-Zyklus mit Amazons E-Reader Kindle lesen und es nebenbei mit ein paar Digital-Ausgaben der “F.A.Z.” und von “The Atlantic” versuchen, um festzustellen: Das ist Quatsch. Die heute verfügbaren Lesegeräte eignen sich am besten zum linearen Lesen. Querlesen, drei Titel parallel durchpflügen, springen, exzerpieren, wie man es bei fachlichen Recherchen täte – alles viel zu umständlich.


Das spricht gar nicht gegen die Digitalbücher. Im Gegenteil: Gerade Amazons Kindle, in Deutschland seit Oktober erhältlich, ist als Lesegerät für Romane, Kurzgeschichte und lange Reportagen richtig gut. So gut, dass ich in den vergangenen vier Wochen keinen gedruckten Roman mehr in der Hand hatte – stattdessen drei Bände King, zwei Krimis von James Sallis, einige Kurzgeschichten von H.P. Lovecraft in elektronischer Form.

Bedienung, Extras, Titelangebot – SPIEGEL ONLINE vergleicht aktuelle E-Reader.

Leseerlebnis – Lineares liest sich wunderbar

Wie gut das Leseerlebnis ist, lässt sich mit einem schlichten Vergleich zusammenfassen: Beim Lesen fallen nur die Vorteile zum gedruckten Buch auf, keine Nachteile. Das liegt sicher auch am Display des Kindle: Auflösung und Kontrast sind erstaunlich – wie gedruckt. Bei direkter Sonneneinstrahlung reflektiert das Display allerdings leicht – da muss man den Winkel manchmal etwas anpassen.

Das aber war im Laufe des Tests und in keiner Lesesituation ein wirklich störendes Problem. Anders als zum Beispiel bei Sonys E-Reader PRS-600, der unangenehm reflektiert. Und anders als bei sämtlichen ausprobierten E-Readern von Sony ist der Seitenaufbau beim Kindle so schnell, dass man nicht das Gefühl hat, bei jedem Umblättern zu warten.

21 Tasten gegen 7

Dass die Technik sich beim Lesen mit dem Kindle so angenehm zurückhält, ist aber auch vielen profanen Gestaltungsdetails zu verdanken. Vergleicht man den Amazon-Reader mit dem Hanvon N518, der ein ebenfalls großartiges Display hat, fällt der chinesische Reader unangenehm auf. Dass das Display kleiner ist, stört natürlich. Außerdem sind die Blättertasten recht klein unten links am Gehäuserand angebracht – man kann also nur mit dem linken Daumen weiter blättern und muss dafür wegen der merkwürdigen Position des Schalters jedes Mal die Haltung ändern.

Beim Kindle ist die Taste, die man am häufigsten drückt (eine Seite vorblättern), größer als alle anderen und gleich doppelt angebracht – links und rechts am Gehäuserand. Da haben die Hanvon-Gestalter wohl einfach nicht darüber nachgedacht, wie man ein E-Book eigentlich liest. Das merkt man auch an Details wie der lustigen Beschriftung der Weiterblätterknöpfe (“Up” und “Down”).

Amazons Kindle ist das bislang am leichtesten zu bedienende Lesegerät – für Texte, die man linear von vorne nach hinten liest. Dafür ist der Kindle offenkundig gestaltet worden, und weil er darauf reduziert ist, funktioniert das auch richtig gut.

Digitale Extras – Passagen markieren, Wikipedia aufrufen

Der Hanvon-Reader leidet unter Überfrachtung: Der Hersteller fürchtet wohl, das ein bloßes Lesegerät nicht genügt, also hat der N518 auch noch eine Schrifterkennung integriert. Mit einem Spezialstift kann man wie einst auf den Palm-PDAs Notizen eintragen, die die Schrifterkennung dann langsam und bei Eingaben von ungeübten Schreibern gar nicht treffsicher in Text umwandelt. Eine gute Idee ist es, dass man im Text mit dem Stift Passagen unterstreichen kann. Allerdings ist auch diese Funktion nicht sauber genug ausgearbeitet – das Ganze funktioniert nicht bei Dokumenten, die im PDF- oder Epub-Format (die gängigsten E-Book-Formate) gespeichert sind.

Der Kindle versteckt seine Firlefanz-Extras zurecht unter der Option “Experimental”: Man kann in Deutschland Wikipedia-Einträge abrufen – die Navigation innerhalb der Artikel zu einzelnen Links ist allerdings so mühsam, dass man es nach einem Versuch wohl nie wieder nutzt.

Daten per Mobilfunk versenden kostet extra

Hilfreich ist bei beiden Geräten die Option, eigene Dateien auf dem Lesegerät anzeigen zu lassen. Der Hanvon-Reader zeigt PDFs ohne Konvertierung an – da die Seiten allerdings so gut wie nie ans Anzeigeformat des N518 angepasst sind, muss man viel zoomen und herumscrollen. Amazon bietet eine kostenlose Konvertierung per E-Mail an, gegen Gebühr (knapp ein Euro pro Megabyte) kann man sich die umgewandelten Dokumente auch direkt per Mobilfunk auf den Kindle senden lassen.

Die Umwandlung komplexer PDF-Dateien mit Tabellen und Fotos funktioniert allerdings nicht fehlerfrei. Wer komfortabel aus vielen Formaten Dokumente für den Kindle konvertieren will, ist allerdings mit kostenlosen Anwendungen wie Stanza oder Calibre besser bedient. Dieses Programm wandelt auch ePub-Dokumente um (allerdings nicht die kopiergeschützten Varianten). Da der Kindle an einem Mac oder PC gestöpselt als Datenträger auftaucht, kann man die konvertieren Werke einfach von Hand kopieren.

Der Kindle als Ausschnittsmappe

So toll der Kindle als Lesegerät für Lineares ist, so wenig taugt das Gerät als Werkzeug zum Querlesen, Redigieren und Exzerpieren von Texten. Dazu fehlt ein Touchscreen. Allerdings ließe sich auch ohne diese Steuerung ein wirklich vernünftiges Werkzeug fürs Kindle basteln: Eine Software wie das Notizwerkzeug Evernote würde die Brauchbarkeit des Kindle als Arbeitswerkzeug enorm steigern. Die Idee: Man markiert mit einem Tastendruck die aktuell gelesene Seite, das Kindle synchronisiert den Text per Mobilfunk mit der persönlichen Notizendatenbank des Nutzers im Web, wo die mit der exakten Literaturangabe gespeichert wird. Verschlagworten, kürzen und ergänzen könnte man diese Zitatdatenbank dann im Web, von jedem Rechner aus.

So etwas fehlt dem Kindle. Dabei zeigt Amazons Kindle-Anwendung fürs iPhone, dass es durchaus anders geht: Alle bei Amazon fürs Kindle gekauften Bücher kann man auf dem iPhone auch lesen. Ruft man eins der Bücher auf, landet man an der Stelle, die man auf dem Kindle zuletzt gelesen hat. Leider gibt es diese Anwendung derzeit nur im US-iTunes-Angebot.

Magazine und Zeitungen auf dem Kindle

Der Kindle hat gegenüber allen heute in Deutschland verfügbaren Lesegeräten einen großen Vorteil: Man kann sich unterwegs neue Bücher und Digitalausgaben ausgewählter Zeitungen kaufen. Das funktionierte im Test sehr gut: Im ICE die aktuelle Ausgabe der “International Herald Tribune” und der “F.A.Z.” zu kaufen und zu laden klappte mehrmals mühelos.

Allerdings ist die Lektüre dieser Blätter auf dem Kindle nicht sehr komfortabel: Dass Fotos und Infografiken fehlen, kann man verschmerzen. Aber sich mit einem Gerät, das fürs Geradeauslesen gebaut wurde, durch einen Wust kleiner und größerer Texte zu hangeln, ist mühsam. Es funktioniert leidlich. Das kann man natürlich der Kindle-Technik anlasten, aber mindestens ebenso den Machern dieser Digitalausgaben: Die Navigation ist nicht durchdacht.

Ich würde auf den Meldungswust zum Beispiel verzichten und mir die langen, klugen Analyse- und Reportagestücke auf dem Kindle durchlesen. Wer braucht schon die Nachrichten vom Vortag?

Buchangebot – Verlage pflegen sorgsam das Digitalchaos

Mit dem Kindle kann man bei Amazon nur Titel aus dem US-Angebot kaufen. Der Kindle ist derzeit also vor allem ein Angebot für Menschen, die britische und US-Autoren gern im Original lesen. Das englischsprachige Angebot ist groß, aber nicht unerschöpflich: Von James Sallis kann man viel als Kindle-Ausgabe kaufen, aus David Peaces Red-Riding-Quartett aber keinen einzigen Band. Von J.G. Ballard gibt es viele der großen Romane zu kaufen, von Philip K. Dick vor allem Kurzgeschichten und Erzählungen.

Aktuelle deutschsprachige Titel kann man derzeit mit dem Kindle nicht lesen. Denn die meisten Verlagen bestehen hier – wenn sie überhaupt Digitalausgaben erlauben – auf einem Kopierschutz mit Adobe Digital Editions. So umständlich diese Software zu bedienen ist: Hat man nach viel Hin und Her diese Anwendung einmal gebändigt, lassen sich zum Beispiel auch auf dem Hanvon N518 aktuelle deutschsprachige Titel mit Kopierschutz aus dem Libreka-Download-Angebot lesen.

Klassiker, bei denen der Urheberrechtsschutz abgelaufen ist, sind bei spezialisierten Anbietern im ePub-Format erhältlich. Dieses können viele Lesegeräte darstellen – aber nicht alle. Amazons Kindle zum Beispiel braucht erst eine Konvertierung, die mit Gratis-Programmen wie Stanza oder Calibre sehr einfach ist. Bei Google Book lassen sich viele englischsprachige Titel mit abgelaufenem Copyright kostenlos im ePub-Format herunterladen.

Nach einem Monat Digitalbuchkauf scheint das Amazon-Angebot an englischsprachigen Titeln vielfältiger zu sein als die Libreka-Auswahl an deutschsprachigen Titeln – 1,5 Prozent der gedruckt lieferbaren deutschen Bücher kann man bei Libreka kaufen.

Bei beiden Angeboten müssen die Kunden einen Kopierschutzmechanismus hinnehmen – bei Amazon bleibt der allerdings deutlicher im Hintergrund als die nervige Libreka-Lösung. Trotzdem, ein Blick in die Amazon-Geschäftsbedingungen genügt, um sich daran zu erinnern, dass man mit einem Digitalbuch nicht ein Produkt kauft, sondern lediglich das Recht erwirbt, eine Kopie so zu nutzen, wie Amazon es will.

Fazit

Als Lesegerät für lineare Texte ist der Kindle ideal, der Hanvon N518 brauchbar. Wer mit einem Reader Texte querlesen, vergleichen, markieren, verschlagworten und exzerpieren will, wird mit keinem der Geräte glücklich. Hanvon versucht hier zwar mit allerlei Extras das Lesegerät aufzupeppen, doch die E-Ink-Display-Technik scheint sich für so etwas wohl einfach nicht zu eignen. Dafür – und für Digital-Magazine – muss man auf ein Lesegerät mit anderer Technik warten.

Wer gern englischsprachige Belletristik im Original liest, wird am Kindle viel Freude haben. Wer deutschsprachige Romane oder Übersetzungen kaufen will, könnte das mit einem Lesegerät wie dem Hanvon versuchen. Angesicht des lückenhaften Libreka-Angebots, der hohen Preise und der miesen Benutzbarkeit dort ist das aber kein Spaß.

E-Reader: Lesegeräte von Hanvon, Amazon und Sony im Vergleich
Kindle Hanvon N518 Sony PRS 600 Touch
Maße 13,5 x 19 x 0,6 cm 15,3 x 11,2 x 1,2 cm 17,53 x 12,19 x 1,2
Gewicht 289 Gramm 190 Gramm 280 Gramm
Auflösung 800 x 600 Pixel 800 x 600 Pixel 800 x 600 Pixel
Bildschirmdiagonale 15,2 cm 12,7 cm 15,2 cm
Anzeige 16 Graustufen mit E-Ink-Technik 8 Graustufen mit E-Ink-Technik 8 Graustufen mit E-Ink-Technik
Speicher 2 Gigabyte 4 GB (SD-Karte) 512 Megabyte
Schnittstellen 3G Mobilfunk, Mini-USB USB 2.0, SD-Karte USB 2.0, Memory Stick Pro Duo, SD-Steckplatz
Preis ca. 231 Euro 265 298
* inkl. Versand und Zollgebühren, Preis wird in US-Dollar erhoben)
** Preis beim günstigsten deutschen Online-Versender laut geizhals.at am 23.11.2009 – ohne Versand

 


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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