E-Sports: Computerspiel-Bundesliga streitet über Software-Doping (Spiegel Online, 21.1.2008)
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Computerspiel-Bundesliga streitet über Software-Doping
Sechsstellige Preisgelder und Sponsoring-Millionen – wenn "Counterstrike"-Spieler in die Profiliga kommen, haben sie erstmal ausgesorgt. Ein Zocker soll mit Helfer-Programmen betrogen haben und wurde vom Ligabetreiber gesperrt. Ein Fall für das Amtsgericht Köln.
Spiegel Online, 21.1.2008
"Counterstrike"-Spieler Thomas K. schleicht als XektoR um eine Ecke, schießt auf die schwarz maskierten Gegner – fünf Kopfschüsse in wenigen Sekunden, so schnell und effektiv wie XektoR in dem Videomitschnitt töten nur wenige Spieler virtuell. Dieses Geschick hätte die deutsche "Counterstrike"-Mannschaft Coldgame bei einem Wettkampf im vorigen November beinahe auf einen Aufstiegsplatz in die lukrative Profiliga gebracht – dorthin, wo Sponsoren wie Intel oder Ati die Teams großzügig unterstützen und die Preisgelder sechsstellig sind.
Aus dem Aufstieg ist nichts geworden – denn nun muss das Amtsgericht Köln ab morgen beim ersten derartigen Prozess in Deutschland entscheiden: Hat der 17-jährige Thomas K. (Name auf Wunsch der Eltern geändert) wirklich so gut gezielt oder hat er mit Software-Doping betrogen? Das wirft dem Spieler der Betreiber der deutschen eSport-Liga "Electronic Sports League" (ESL) vor.
Die Kölner Firma Turtle Entertainment hat Thomas K. für zwei Jahre aus der Liga ausgeschlossen. Begründung: "Aimbot-Einsatz" und Nutzung eines "Walllhacks/ESP". Auf Deutsch: Der Spieler soll verbotene Helfer-Programme genutzt haben, die beim Zielen helfen und ihn durch die Wände sehen lassen. Das Team des Spielers wehrt sich per einstweiliger Verfügung gegen die Sperre.
Anwalt: "Sperr-Entscheidungen sind Willkür"
Juan Beltran-Fernandez, Anwalt des Teams Coldgame, will das laufende Verfahren nicht detailliert kommentieren. Grundsätzlich schätzt er denn Fall so ein: "Die Sperr-Entscheidung des Ligenbetreibers ist willkürlich." Dieses harsche Urteil begründet der Anwalt so:
- Es gibt bei derartigen Sperren wegen Cheating vorab keine Abmahnung, stattdessen wird sofort gesperrt.
- Dem Gesperrten wurde das Urteil eines zweiten, unabhängigen Gutachters nicht zugestanden.
- Und, so Beltran-Fernandez: "Die ESL begründet ihre Entscheidung nicht einmal. Den betroffenen Spielern werden weder Indizien noch Beweise zugänglich gemacht."
In der Tat ist die Beweislage schwierig: Für Software-Doping im eSport gibt es kaum mit Bluttests vergleichbare harte Beweise. Die Sperr-Entscheidung beruht vor allem auf der Einschätzung der als Video dokumentierten Spielszenen durch Experten der Liga. ESL-Pressesprecher Ibrahim Mazari erklärt: "Wir sind uns sicher, dass unsere Vorgehensweise in solchen Fällen korrekt ist und keine Willkür vorliegt." Die Spezialisten im Bereich Cheating hätten nach mehrfacher Prüfung "unrechtmäßige Hilfsmittel" erkannt.
Menschliche Beobachter müssen entscheiden
An welchen Beobachtungen verdächtiger Verhaltensweisen im Spiel sie das festmachen, führt die Entscheidung nicht auf. Wegen dieser undurchsichtigen Begründung wittern viele Spieler Willkürentscheidungen. Allerdings gibt es für die mangelnde Transparenz auch andere Gründe.
Alexander Müller-Rodic, Sprecher des unabhängigen Verbandes G7, einer internationalen Vereinigung von zehn professionellen eSport-Clans, erklärt SPIEGEL ONLINE: "Ich kann beide Positionen in diesem Fall nachvollziehen." Das Coldgame-Team hatte Müller-Rodic als unabhängigen schlichter im Konflikt mit der ESL vorgeschlagen, obwohl die "Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich" (KEK) ihn als einen der Anteilseigner des Ligabetreibers Turtle Entertainment ausweist ( PDF-Dokument).
Müller-Rodic erklärt, man könne gewiss ESL-Entscheidungen als intransparent kritisieren. Aber man müsse bedenken: "Wenn die ESL öffentlich im Detail aufzählen würde, an welchen Indizien sie Cheating festmacht, wäre das eine Anleitung für alle Cheater, wie sie demnächst besser, verdeckter betrügen können."
Objektive Anti-Cheat-Tools zur Beweissicherung wie das Programm Aequitas können die menschlichen Beobachter nicht ersetzen. Sie sind ein gutes Werkzeug zur Beweissicherung, aber sie können nur bereits bekannte Ansatzpunkte für Cheating-Tools beobachten. Experte Müller-Rodic: "Es liegt aber in der Natur der Sache, dass immer wieder neue Cheating-Werkzeuge programmiert werden, deren Funktionsprinzip nicht allgemein bekannt ist. Das ist ein dynamisches Problem, deshalb sind menschliche Beobachter notwendig."
Deutscher Computerspiel-Liga droht Prozess-Lawine
Müller-Rodic sieht vor diesem Hintergrund wenig Alternativen: "Spieler müssen den ESL-Gremien einfach mehr vertrauen, auch ohne totale Transparenz. Eine andere Lösung sehe ich derzeit nicht."
Doch das Vertrauen in die Betreiber der Computerliga scheint bei einigen Zockern zerrüttet zu sein. Anwalt Beltran-Fernandez vertritt in ähnlichen Fällen wie dem aktuell in Köln verhandelten drei von der ESL gesperrte Spieler. Außerdem habe man Kontakt zu vielen weiteren Betroffenen: "Je nachdem, wie sich die derzeit laufenden Verfahren entwickeln, wird es weitere Prozesse geben."
Denn so schnell wie das Sponsoring haben sich die Strukturen im eSport offensichtlich nicht professionalisiert. Alexander Müller-Rodic vom internationalen Clan-Verband G7 sieht darin ein "grundsätzliches Problem, mit dem jeder junge Sport" kämpfe: Der eSport sei so schnell gewachsen, dass die Institutionen "zur Klärung solcher Konflikte vielleicht noch nicht weit genug entwickelt" seien.
Wer soll über Betrugsvorwürfe im eSport entscheiden? Da gehen die Meinungen weit auseinander:
- Die Firma Turtle Entertainment als Ligabetreiber, argumentiert deren
Pressesprecher Ibrahim Mazari: "Wie im klassischen Sport besitzen wir
ein Regelwerk mit klar formulierten Kontroll- und
Beurteilungskriterien, das wir durchsetzen." - Ein Sportverband, findet Frank Sliwka, Geschäftsführer des Deutschen eSport-Bundes. Er erwartet vom Kölner Urteil ein "deutliches Signal, dass Schiedsgerichte nicht bei privatwirtschaftlichen Unternehmen, die dazu noch diese Ligen betreiben, liegen können."
- Bloß nicht deutsche Richter, warnt Alexander Müller-Rodic vom internationalen Clan-Verband G7: "Es ist schlecht für den Sport, dass dieser Konflikt nicht von den eSport-Institutionen geklärt werden konnte. Nach diesem Fall kann es sein, dass andere Mitspieler vor Gericht gehen."
Eine Horrorvorstellung für den Profi-Spieler Müller-Rodic: "Ich glaube nicht, dass deutsche Richter sachgerecht über Aimbots, Wallhacks und so weiter urteilen können." Er hofft darauf, dass sich Ligabetreiber, Spieler und Verbände noch zusammenraufen. Dass das noch klappt, da ist Müller-Rodic "verhalten optimistisch".
Schließlich gebe es bei der ESL heute schon vielversprechende Ansätze, die Spieler einzubeziehen. Zum Beispiel die Möglichkeit, dass wegen Cheatings gesperrte Spieler ihre Strafe mildern, wenn sie einen Aufsatz darüber schreiben, warum Cheating schlecht für den Sport ist, und diesen veröffentlichen. Müller-Rodic: "Gibt es so etwas in anderen Sportarten? Ich glaube kaum, dass wir so einen Essay je von einem Doping-Sünder lesen werden."
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