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Ego-Shooting im Tarnanzug (Sonntagszeitung, 9.6.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Ego-Shooting im Tarnanzug

Die US-Armee wirbt mit Kriegsspielen um neue Rekruten. Auch für die Ausbildung setzt das Militär immer öfter Computersimulationen ein

Sonntagszeitung, 9.6.2002

Die US-Armee wirbt seit kurzem mit Computerspielen um neue Rekruten. An der grossen Spielemesse E3 in Los Angeles hat das amerikanische Militär im Mai das Rollenspiel «Soldiers» und den Ego- Shooter «Operations» vorgestellt. Das Innenleben der Spiele basiert auf einer Technologie, die in zahlreichen kommerziellen Ego-Shootern, wie zum Beispiel «Unreal Tournament», verwendet wird.

Das enge Verhältnis zwischen Computerspielindustrie und Militär hat Tradition. Die US-Armee hat die Entwicklung der Computerspiele finanziell und inhaltlich seit ihren Anfängen beeinflusst. Heute findet man beispielsweise in kommerziellen Strategiespielen wie «Starcraft» oder «MechCommander 2» die Konzepte militärischer Kriegsspiele. Gleichzeitig profitiert die Armee von den Fortschritten, welche die Computerspielindustrie in der Entwicklung von Simulationen macht. Zwischen beiden Bereichen bestehen auch personelle Verflechtungen.
Entwickelt wurden die beiden Rekruten-Spiele «Soldiers» und «Operations» vom Forschungsinstitut «Modeling, Virtual Environments and Simulation» («Moves») der US-Marine. Das Institut bringt Konzepte der virtuellen Realität in die militärische Ausbildung ein und ergänzt das Training mit vernetzten Spielen. Am «Moves» arbeiten nicht nur Armeeangehörige. Momentan sind dort 25 zivile Designer aus der Computerspielbranche damit beschäftigt, exklusiv fürs Verteidigungsministerium eine Simulation zur Terrorbekämpfung zu entwerfen. 
Umgekehrt finanziert die US-Armee einen Sonderforschungsbereich an der University of Southern California mit dem gar nicht militärisch klingenden Namen «Institute for Creative Technologies». Dort werden zusammen mit Firmen wie Sony oder Electronic Arts sowohl militärische als auch kommerzielle Kriegsspiele entwickelt. «Combat Systems XII» soll beispielsweise die Bedeutung von Strategie, Kommunikation und Ressourcenmanagement beim Führen einer Kompanie vermitteln.

Kriegsspiele gab es schon, bevor der erste Computer gebaut wurde. Topografische Karten simulierten bis in die Fünfzigerjahre das Terrain, Holzklötze und Metallfiguren die Einheiten. Ein Regelbuch und bald auch Schiedsrichter waren die eigentliche Spielsoftware. Das Problem bei dieser alten Form des Kriegsspiels war die Geschwindigkeit: Da die Konsequenzen der Spielerhandlungen von Menschen berechnet werden mussten, waren meist nur ein oder zwei Spielzüge jeder Partei pro Tag möglich.

Dies war mit ein Grund, dass das Militär die Entwicklung der Computertechnologie kräftig unterstützte. Infolge des Sputnik-Schocks stockte die US- Regierung den Rüstungshaushalt massiv auf. Die Sowjetunion hatte am 4. Oktober 1957 als erster Staat einen Satelliten, nämlich Sputnik I, in die Erdumlaufbahn geschossen. Eine der Reaktionen des amerikanischen Verteidigungsministeriums war 1958 die Gründung der Forschungsbehörde «Advanced Research Projects Agency» (ARPA) zur Sicherung des technologischen Vorsprungs. Anstatt eigene Einrichtungen zu unterhalten, förderte die ARPA Projekte an Universitäten und in der Wirtschaft. Relevanz für die Verteidigung wurde dabei sehr weit gefasst.
Die kräftigen Finanzspritzen zahlten sich fürs Militär schon ein Jahr später aus. 1958 konnte die US-Marine den «Navy Electronic Warfare Simulator» in Betrieb nehmen. Dieser Simulator übernahm in den Kriegsspielen die Berechnung der Bewegungsradien, Waffenreichweiten und Schäden der einzelnen Einheiten.

Heute spielen Soldaten überall auf der Welt am Computer, und das Kriegsspiel heisst meist Simulation. In der Schweiz trainieren Kommandanten und Stabsangehörige der Armee im Taktischen Trainingszentrum in Kriens am «Army Unit and Battle Group Simulator». 
Jeder Kommandant sieht auf seinem Computerschirm eine Karte des gesamten Sektors. Er überblickt alle Elemente seiner Einheit, liest – ganz ähnlich wie bei kommerziellen Strategiespielen – an Symbolen ihre Grösse, Tätigkeiten und Zustände ab und kann zudem alle sichtbaren gegnerischen Truppen mit den jeweils verfügbaren Informationen beobachten.

Bei den Simulationen profitierte das Militär von den Fortschritten der Computerspielbranche. Noch Mitte der Neunzigerjahre beschwerte sich Informatikprofessor Michael Zyda, Leiter des «Moves»- Institut, in einem Interview: «Das Verteidigungsministerium hat Millionen ausgegeben und reicht immer noch nicht an Sim City heran.» Dabei hatte die US-Marine bereits 1931 den ersten Flugsimulator erworben. Der amerikanische Entwickler Edward Link hatte das rein mechanische Gerät bereits 1929 entworfen. Doch bevor ihm mit seiner Erfindung der Durchbruch beim Militär gelang, standen die meisten «Link Trainer» in Vergnügungsparks.

Nach Zydas Beschwerde begann das Militär vermehrt auf kommerzielle Spiele zurückzugreifen. US-Marineinfanteristen trainierten 1997 die Kooperation in einem Viermannteam mit modifizierten Versionen des kommerziellen Egoshooters «Doom II». Das Bestseller-Spiel «Rainbow Six Rouge Spear» der Firma Ubi Soft wird derzeit für das Training von Soldaten angepasst. Und bei der US- Marine erhalten Reserveoffiziere in bestimmten Kursen kostenlose Versionen des Microsoft «Flight Simulator» für das Training zu Hause. Denn eine Studie hat ergeben, dass 54 Prozent der spielenden Studenten überdurchschnittliche Ergebnisse beim Flugtraining erzielten.

Die Annäherung an kommerzielle Simulationen zeigt sich auch in anderen Bereichen. Die Beschreibung des «Elektronischen Taktik-Simulators für Mechanisierte Verbände» (ELTAM), der am Mechanisierten Ausbildungszentrum Thun steht, klingt vertraut: In «originalgetreuen Kampfraumnachbildungen mit 360-Grad-Aussenansicht und Quadrophoniesound» sollen ab Juli Bataillonskommandanten, Bataillonsstab und Kompaniekommandanten trainieren. Mit ähnlichen Versprechen auf überwältigende Sinneseindrücke wurden schon Anfang der Neunzigerjahre kommerzielle Spiele wie «Strike Commander» beworben.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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