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Eine Ausstellung ist eine Ausstellung ist eine Ausstellung (Süddeutsche Zeitung, 17.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
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Eine Ausstellung ist eine Ausstellung ist eine Ausstellung

Christoph Vitali, Leiter des Münchner Hauses der Kunst, über Schuld und Sühne der Familie Flick und die Kunst-Sammlung des Erben Friedrich-Christian

Süddeutsche Zeitung, 17.3.2001

Nach Berichten in der SZ über die Ausbeutung von Zwangsarbeitern durch Friedrich Flick und die Weigerung seiner Nachfahren, eine Entschädigung zu leisten, entbrannte in Zürich eine Diskussion um das dort für 2004 geplante private Kunstmuseum Friedrich-Christian Flicks. Ein Teil seiner Sammlung soll im Sommer 2002 im Münchner Haus der Kunst gezeigt werden. Wir befragten dessen Leiter Christoph Vitali.

SZ: Über den Kulturförderer und Embargobrecher Marc Rich hat Zürichs Stadtpräsident gesagt, er habe sich in der Schweiz nichts zu Schulden kommen lassen. Gilt das auch für den Kunstsponsor Friedrich-Christian Flick?

Vitali: Er ist der Enkel eines Menschen, der sich in der NS-Zeit viel hat zu Schulden kommen lassen. Aber Friedrich-Christian Flick ist 1945 geboren. Sicher hat er irgendwann über irgendwelche Kanäle ein stattliches Vermögen geerbt. Doch anstatt sich ein angenehmes Leben zu machen, hat er sich die Aufgabe gestellt, es so sinnvoll und so vernünftig wie möglich zu verwenden.

SZ: Ein Teil des Vermögens von rund einer Milliarde Mark ist den Zwangsarbeitern seines Großvaters zu verdanken.

Vitali: Mein eigener Großvater war auch kein feiner Mensch. Ein Züricher Handwerker, der für Mussolini schwärmte. Dafür kann ich aber nicht geradestehen müssen – genauso wenig wie Friedrich-Christian Flick für die Taten seines Großvaters.

SZ: Aber für seine Haltung zu ihnen.

Vitali: Vielleicht muss er die noch einmal deutlich machen. Das hat er doch eigentlich schon getan, soweit ich das beurteilen kann.

SZ: Mit Worten vielleicht.

Vitali: Er hat mit großen Taten die Kultur gefördert. Flick plant in Zürich ein Gratis-Museum, um seine außergewöhnliche Sammlung für die Öffentlichkeit zu öffnen. Das scheint mir eine sinnvolle Entscheidung, um die Art zu tilgen, wie das Vermögen zusammengekommen ist. Die großzügigen Engagements Reemtsmas sind doch etwas ganz ähnliches. Hier wird das Friedensinstitut mit einem Vermögen finanziert, das durch den Verkauf von Tabak – einem menschenverachtenden, tödlichen Stoff – entstanden ist.

SZ: Es gibt wohl einen Unterschied zwischen Zigaretten-Verkauf und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.

Vitali: Ich weiß nicht, ob man sich das so einfach machen sollte. Friedrich-Christian Flick hat ja auch nie Zwangsarbeiter ausgebeutet.

SZ: Sie haben gesagt, in dieser Sache sei von Friedrich-Christian Flick noch etwas zu erwarten. Was meinten Sie?

Vitali: Ich kann mir vorstellen, dass er sich angesichts dieser Aufregung jetzt noch einmal mit seinem Bruder und Onkel zusammensetzt und darüber redet, ob man noch mehr für die ehemaligen Zwangsarbeiter tun könnte.

SZ: Mehr?

Vitali: Mir hat Friedrich-Christian Flick gesagt, die Familie hätte bereits einige Millionen zur Entschädigung von Zwangsarbeitern gezahlt.

SZ: Damit meinte er wohl fünf Millionen Mark für ungarische Jüdinnen. Seit Anfang der 60er wurde zwei Jahrzehnte lang darüber verhandelt, weil Friedrich Flick eine Ehrenerklärung verlangte. Warum nur, wenn nicht, um sich von einer Schuld reinzuwaschen?

Vitali: Das weiß ich nicht. 1960 war Friedrich-Christian Flick 15 Jahre alt.

SZ: Was wohl damit zu tun hat, dass auch er nun den Namen Flick reinwaschen will. Ähnliches hat ja Marc Rich schon geschafft. Nach Jahren großzügigen Kultursponsorings schrieb der Züricher Stadtpräsident über ihn in einem Begnadigungsgesuch an Clinton, durch diese Wohltaten seien die alten Verfehlungen gebüßt. Sehen Sie sich nicht als Teil solch einer Strategie?

Vitali: Ich kann über Friedrich-Christian Flick mit Sicherheit sagen, dass er die Ausstellung nicht als Teil so einer Strategie plant.

SZ: Aber in einem Brief an seinen Onkel schrieb er doch selbst, die Sammlung könne den Familiennamen auf eine neue, positive Ebene stellen.

Vitali: Den Brief kenne ich nicht. Aber es ist für uns eine noble Pflicht, diese Ausstellung zu zeigen. Ich spreche nur von den Werken, von nichts anderem.

SZ: Fühlen Sie sich nicht instrumentalisiert?

Vitali: Nein, nein.

SZ: Aber Flick ist doch mit der Idee zur Ausstellung auf Sie zugekommen?

Vitali: Ja, vor eineinhalb Jahren war das. Und wir haben mit großer Freude zugestimmt. Das ist keine Strategie. Ich kenne Flick als Freund der Kunst.

SZ: Ist ein auf Hitlers Geheiß hin erbautes Haus der Kunst nicht ein unpassender Ort für eine Sammlung, die ohne sein Regime wohl nicht so leicht finanziert worden wäre?

Vitali: Das sind doch Kunstwerke, die in keiner Tradition hierzu stehen. Nein, hier sehe ich überhaupt kein Problem.

SZ: Hier geht es doch um einen historischen Hintergrund.

Vitali: Eine Ausstellung kann nur kulturell gesehen werden. Es sind Werke. Wollten wir diese Maßstäbe überall anlegen, kämen wir nicht mehr zum Betrachten von Kunst. Kunst wirkt aus sich allein politisch. Die Fragen des Entstehens und Wechsels von Eigentum kann man im einzelnen nicht so wichtig nehmen. Viele absolutistische Fürsten haben ihr Volk ausgebeutet – und herrliche Kunstsammlungen angelegt, die heute weltweit in Museen hängen. Die Medici zum Beispiel waren eine Familie, die auf menschenverachtende Art ihr Vermögen zusammengebracht hat. Aber wer stellt sich diese moralischen Fragen beim Betrachten von Raffael?

SZ: Die Zeit der Medici ist 500 Jahre her. Einige Zwangsarbeiter Flicks leben noch – ohne Entschädigung.

Vitali: Ob man jetzt 500 Jahre zurückgeht, 100, 80 oder 50 – das ist relativ egal. Eins muss man sich klar machen: Friedrich-Christian Flick ist hier eine Nebenfigur. Die Hauptfigur ist der Onkel, Friedrich Karl, der den größten Teil des Vermögens erbte. An ihn muss sich die Frage der Moral vor allem richten. Ich finde, Friedrich-Christian Flick tut etwas sehr Sinnvolles mit dem Geld.

SZ: Sinnvoller als die Entschädigung der Zwangsarbeiter?

Vitali: Die Frage muss man dem Onkel stellen. Er besitzt das Zehnfache des Vermögens.

SZ: Verantwortung sinkt mit der Höhe des Vermögens?

Vitali: Nein, natürlich nicht. Ich habe nichts dagegen, dass anlässlich der Ausstellung hier eine Diskussion geführt wird. Aber mit dem Gedankengang Nationalsozialismus, Zwangsarbeit, Vermögen, Sammlung, Haus der Kunst macht man es sich doch zu einfach.

SZ: Zeigen die „Flick Collection“ und das geplante private Museum nicht, wie potente Sammler mehr und mehr die Funktion von Museen übernehmen?

Vitali: So einfach kann man das nicht sagen. Allein die Museen in München kaufen im Jahr für 20 oder 30 Millionen Mark. Das könnte sich Friedrich-Christian Flick kaum leisten. Aber es stimmt, dass Museen heute nicht mehr die gleiche Potenz haben wie noch vor wenigen Jahren. Das ist überall so. Da werden sie von privaten Sammlern zum Teil schon übertroffen.

SZ: Denken Sie, dass deshalb die Zukunft Kooperationen zwischen Sponsoren und Museen gehört?

Vitali: Nein, im Gegenteil. Museen müssen sich sehr in Acht nehmen, dass sie nicht von Sammlern instrumentalisiert werden, die ihre Objekte gut platzieren, sich den Kranz des Wohltäters aufsetzen und in Wirklichkeit noch eine Menge Geld durch solche Ausstellungen in öffentlichen Museen sparen.

SZ: Kranz und Instrumentalisierung sind wohl nicht auf Friedrich-Christian Flick bezogen.

Vitali: Nein, natürlich nicht.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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