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Ellis im Wunderland (Bücher Magazin, 6/2005)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Ellis im Wunderland

Er war schon mit 20 ein Star. Dann kam »American Psycho«. Das Buch wurde verboten, ein Killer nahm es als Vorlage, er erhielt Morddrohungen. Jetzt erzählt Bret Easton Ellis, der umstrittenste und vielleicht beste Autor der Welt, die Geschichte eines Autors namens Bret Easton Ellis. Ist es seine?

Bücher Magazin , 6/2005

buecher_2005-06_ellisBret Easton Ellis lag sieben Tage lang in einem New Yorker Hotel, schaute Pornos mit abgedrehtem Ton, schnupfte 40 Tütchen Heroin, übergab sich in einen blauen Plastikeimer und wartete auf das kitschige Ende seiner Karriere. Da war »Glamorama «, sein voriges Buch, bei Lesern und Kritikern durchgefallen. So beschreibt zumindest der Autor Ellis die Krise der Hauptfigur seines neuen Romans »Lunar Park« (jetzt auf Englisch erschienen, im Januar auf Deutsch bei KiWi). Und die heißt auch Bret Easton Ellis. Diese Figur blickt auf eine ähnliche Karriere zurück wie ihr Schöpfer: Mit 22 Jahren wurde Ellis ein Star.

Die Leser hörten 1985 in seinem Debütroman »Unter Null« die Stimme der kalten, gleichgültigen US-Oberschichtsjugend: Jeder schläft mit jedem – es ist egal, mit wem, denn alle sind braungebrannt und mehr wissen sie auch nicht voneinander. Mit diesem entlarvenden Porträt traf Ellis den Zeitgeist. Dann, mit 27, machte ihn »American Psycho« zum skandalträchtigsten Autor der Welt: Tagsüber scheffelt der Wallstreet-Broker Patrick Bateman Millionen, nachts zerstückelt er Frauen. Diese Geschichte über Gier und Leere der 1980er stand in Deutschland auf dem Index. Die Fiktion verselbstständigte sich, wurde real, suchte Ellis heim: Er bekam Morddrohungen, ein Serienkiller benutzte den Roman als Vorlage – damit wurde Ellis nur mithilfe eines Psychotherapeuten fertig. So weit die offensichtlichen Parallelen von Figur und Autor. Jetzt rätseln Leser und Journalisten über »Lunar Park«: Stimmt noch mehr? Hat Ellis Heroin geschnupft? Raste er nackt in einem Ferrari durch die schicken Hamptons südlich von New York? Und vor allem: Hat er einen Sohn wie sein Protagonist?

Ellis lächelt bei solchen Fragen. Nicht überheblich, nicht genervt – trotz einer stressigen, immer überlaufenen Lesereise (in New York standen im gedrängten Publikum sogar Stars wie Candace Bushnell) durch die Vereinigten Staaten, auf der er Tag für Tag dieselben persönliche Fragen beantworten muss. Darauf sagt Ellis nur freundlich: »Ich glaube, das Buch sollte für sich selbst stehen.« Und selbst, wenn es zu viel wird, wenn Fans Autor und Figur ganz selbstverständlich gleichsetzen, verliert Ellis nicht die Beherrschung. Ob er sich nicht sorge, so viel Privates preiszugeben, will ein Fan wissen. Ellis, der nie verheiratet war wie sein Held Ellis, sagt schlicht: »Nein.« Das Publikum lacht. Und Ellis grinst. Er wirkt entspannt, das hellgraue Hemd trägt er lässig über der Hose, die Manschetten offen, die Ärmel einmal umgeschlagen, den Kragen weit geöffnet. Die 41 Jahre sieht man ihm an: Das Gesicht ist leicht rundlich, rosig.

Dieser gütige, freundliche, entspannte Mann hat wenig mit dem selbstbezogenen, fiktiven Ellis aus »Lunar Park« zu tun: Der flieht nach den Heroinexzessen, der Schaffens- und Lebenskrise in die Arme seiner alten Liebe, der Schauspielerin Jayne Dennis. Sie heiraten, er steht zum ersten Mal seit elf Jahren zu ihrem gemeinsamen Sohn Robert. Der fiktive Ellis will diese Familie in einer namenlosen Vorstadt neu gründen, endlich ein richtiger Vater sein, seinem elfjährigen Sohn die Liebe geben, die er selbst nie bekam. Doch dort draußen im neuen Familienheim wird aus »Lunar Park« eine andere Vatergeschichte: die des Schöpfers Ellis, der die Kontrolle über seine Fiktionen verliert.

Die Figuren seiner Romane suchen ihn heim: Auf einer Party in seinem Haus glaubt er, den jungen, teilnahmslosen Clayton aus »Unter Null« zu sehen. Dann ruft ihn Patrick Bateman, der Serienkiller aus »American Psycho«, an. Und ein Monster zerfetzt das Kopfkissen seiner Tochter. Ein Monster, das der fiktive Ellis als Kind in einem unveröffentlichten Text beschrieb. »Lunar Park« ist die Geschichte eines Autors, der in seinen Fiktionen versinkt und seine Familie mit sich zieht. Er scheitert als Vater, er scheitert als Autor, kopiert seine eigenen Werke und das auch noch schlecht.

Welch ein Gegensatz zum Autoren Ellis! Der hat mit dem furios geschriebenen »Lunar Park« eine vielschichtige Vater-Sohn-Geschichte geschaffen, seinen großen, intelligentenRoman über ein Thema, an dem sich schon Platon und E.T.A. Hoffmann abgearbeitet haben: Erfinden wir Geschichten oder erfinden sie uns? Ellis schreibt über die Macht der Literatur, nicht die halbautobiografischen Bekenntnisse eines Stars. »Lunar Park« so zu deuten ist eine Beleidigung. Doch die meisten Kritiker haben es getan und übersehen, dass der Autor Ellis in »Lunar Park« ein jahrhundertealtes Motiv fortschreibt: das Haus der Fiktionen, in dem der Autor seine Figuren trifft. So erzählt der Barockdichter Johann Beer im 1677 veröffentlichten Schelmenroman »Der Simplicianische Welt- Kucker«, wie der Dichter und Sänger Jan Rebhu durch die verwinkelten Gänge im Haus der Fiktionen stolpert, wo eine alte Frau als »Buchhalterin über Todt und Leben« das Weltenbuch bewacht, wo »Liebs-Geschichts-Schreiber« dichten, wo Rebhu zuletzt in einem großen Saal sich selbst schreiben sieht.

Der Dichter erschrickt: Was schreibt dieser Doppelgänger? Ist er Erfindung oder Erfinder? Ein Thema, an dem immer schon jeder Dichter arbeitete: Mit jedem Buch definiert er sich als Autor neu, jedes Wort schreibt seine Lebensgeschichte weiter. Wie leicht sich die Fiktionen verselbstständigen, hat Ellis erlebt, als Mörder »American Psycho« weiterschrieben und diese Fortsetzung seines Romans ihn zum Therapeuten trieb. Seine Figuren suchen auch Ellis’ Helden in »Lunar Park« heim. Einmal telefoniert er nachts mit Patrick Bateman, seinem Protagonisten in »American Psycho«, fragt ihn: »Warst du Sonntagnacht in unserem Haus?« Bateman antwortet: »Unserem Haus? Das ist ein interessanter Ausdruck. Einer, der höchst offen für Interpretationen ist.« In der Tat. Denn wie Rebhu stellt der Protagonist in »Lunar Park« in seinem ganz persönlichen Haus der Fiktionen, in der Vorstadt fest, dass er zur Figur im Roman seines Lebens geworden ist. Er hat das Haus der Fiktionen als Autor und Leser betreten. Er hat sich verirrt. Und irgendwann merkt er, dass er zur Figur geworden ist, dass die Fiktion sogar mehr Macht als ein Autor hat. »Sie sind kein fiktiver Charakter, oder, Mister Ellis?«, fragt ein Polizist in »Lunar Park« den Protagonisten. Ja, wer weiß das schon?

Wie Geschichten unser Leben schreiben, wie Fiktionen Wirklichkeit werden, erzählt Ellis in »Lunar Park«. Der Protagonist inszeniert seine Version der eigenen Lebensgeschichte mit seinem Sohn als Hauptfigur neu. Er entwickelt sich zu einer herrischen, beängstigenden Vaterfigur, wie er sie selbst als Kind fürchtete. Eine Erfahrung, vor der er seinen Sohn bewahren wollte. Irgendwann, nachdem der fiktive Ellis mit einer gezogenen Pistole durch das Haus gelaufen ist, seine Dämonen, Bateman, ein Monster aus dem Wald gesucht hat, ruft sein Sohn: »Du bist verrückt.« und weint: »Ich hasse dich.« Und der Vater denkt: »Wie oft hatte ich das zu meinem Vater gesagt? Nie. Wie oft wollte ich es? Tausende Mal.«

In den wenigen Wochen, die er mit seinem Sohn lebt, vollbringt er, wofür sein Vater Jahre brauchte: Er pflanzt seinem Sohn eine grundlegende Angst vor der Welt ein. Geschichten nähren sie. Die Figuren in »Lunar Park« saugen gierig »schreckliche Statistiken zu fast allem« auf, kitzeln ihre Angstlust, die zur kollektiven Paranoia wächst. Sie leben in ständiger Angst vor »dem wachsenden Horror des urbanen Lebens«, vor der »Gefahr der Pädophilen, Bakterien, SUVs, Waffen, Terroristen, uns selbst«. Er erzählt von diesen besonders mächtigen Fiktionen – was wäre passender? – mit klassischen Horrormotiven. Nebel rollt in »Lunar Park« aus den Wäldern auf das Haus zu, Mondlicht liegt über den Feldern, Stofftiere werden lebendig, Wandleuchter flackern, wenn der Protagonist sie passiert. Es ist erstaunlich, wie mühelos sich diese Elemente an die Vater-Sohn-Geschichte schmiegen, wie stimmig und fesselnd dieser Wahnsinn ist.

»Lunar Park« liest sich bitterer, aber auch berührender, menschlicher als Ellis’ frühere Romane. Er hat immer schon – vor allem in dem angeblich so nihilistischen »American Psycho« – über die Sehnsucht nach Liebe, nach einem Innenleben, nach Menschlichkeit geschrieben. Und über den Mangel all dessen in der Gegenwart. Seinen Ich- Erzählern fehlte die Sprache, um dieses Verlangen zu artikulieren. Der Protagonist in »Lunar Park« kann es. Hier ist »Lunar Park« autobiografisch, wenn man so will: Der fiktive Ellis erzählt mit der warmen, wahren Stimme seines Erfinders, des leidenden Moralisten Bret Easton Ellis. Vielleicht ist das auch so, weil Ellis das Buch seinem 1992 gestorbenen Vater gewidmet hat, dessen bedrohliche Präsenz er immer eine Inspiration für viele seiner Figuren nannte. Seine Jugend bei Los Angeles beschreibt er so: »Mutter, Vater, zwei Schwestern, Hund, Pool, Scheidung, Valiumabhängigkeit, Cabrios, Wochenenden in Palm Springs.« Der Vater trank, verließ die Familie, als Ellis 16 war.

Das ist verbürgt. Aber es ist nicht sonderlich wichtig für »Lunar Park«. Wichtiger ist, dass Bret Easton Ellis sein Leben immer schon als Geschichte erzählt, sich zur Figur gemacht und inszeniert hat – als leidenden Sohn, als bösen Jungen, als Mann, der durch die Hölle ging. Ob er nun aus seinem Leben Romane macht oder sein Leben als Geschichte inszeniert? Kein oder, antwortet Ellis. Denn der Autor Ellis »existiert in Magazinen und Zeitungen. Was man sieht, ist nur das Image«. Er ist längst zur Figur geworden. Weil das so ist, sollte man nicht viel auf Ellis’ Lebensumstände und umso mehr auf seinen Roman geben: »Lunar Park« erzählt, wie Lebensgeschichten, die man oft genug erzählt, irgendwann nicht mehr nur Geschehenes erklären, sondern das Leben fortschreiben. Wer sich einmal auf Geschichten eingelassen hat, kommt nie mehr raus. Und das ist gut so.

Das ist der überraschende Schluss von »Lunar Park«: Das Jenseits, die Welt hinter den Oberflächen, nach der sich die Helden in allen Romanen Ellis’ sehnen – es ist die Literatur. Wenn Geschichten das Leben verändern können, muss man die richtigen finden, lesen, weiterschreiben, um aus der Welt der Oberflächen zu fliehen. Der Protagonist von »Lunar Park« breitet am Ende des Buchs seine Arme aus, um seinen Sohn zu umarmen. Er erkennt, dass er die Figur einer Lebensgeschichte ist, er begreift, dass er seinen Sohn nur hier, im Haus der Fiktionen, »auf den Seiten, hinter den Buchdeckeln, am Ende von Lunar Park« umarmen kann. Ob er es je tun wird? Das bleibt offen. Doch hier ist es möglich, in der Fiktion. Ihre Macht spürt auch der Autor Ellis. Seit Monaten sucht er ein Haus in Los Angeles, der Stadt, in der sein erstes Buch »Unter Null« spielte. Er denkt über eine Fortsetzung nach. »Ich wünschte, ich hätte eine andere Geschichte zu erzählen. Aber sie sucht mich heim. Und ein Buch zu schreiben ist der einzige Weg, das los zu werden.« Wie gut, dass Bret Easton Ellis besessen ist.

ENGLISCH: BRET EASTON ELLIS: LUNAR PARK, PICADOR, 307 S., CA. 17 € DEUTSCH (JANUAR 2006): LUNAR PARK, KIEPENHEUER & WITSCH, 380 SEITEN, 19,90 €


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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