Entspann' dich (Tagesspiegel 13.09.1999)
Entspann' dich
Meditation, vegetarische Paprikapaste und ein Laden mit aufblasbaren Maikäfern – in Essen leben und arbeiten Buddhisten in einer Kooperative. Für einige der Weg zur Erleuchtung, für andere Zwischenschritt zur Aufnahme in den Orden.
Tagesspiegel 13.09.1999
Wo Essen noch nicht so recht aufgehört, Bochum aber auch kaum angefangen hat, ist die Welt noch in Ordnung. Steele Horst – ein suburbaner Traum zwischen Ruhrauen und S-Bahn. Fein säuberlich aufgereiht stehen die Häuschen da, mit sauber gestutzten Hecken davor, braven Bürgern drin, Einmachgläsern im Keller und Bratenduft, der morgens aus den Küchenfenstern quillt. Ein Haus ist anders. Kein Braten, denn hier leben fünf Vegetarier. Statt Einmachgläsern ein Meditationsraum mit Buddhaschrein.. Statt Kleinbürgern eine buddhistische WG.
Am Briefkasten prangt "Wohngemeinschaft Akashadhatu". "Element der Raumes", versucht sich Bewohner Thomas an der Übersetzung. Noch etwas verschlafen steht er mit brauner Stoffhose und Birkenstocks in der Haustür. Hinter ihm schaut Buddha von der Wand überm Schuhschrank in die Gegend. Drunter liegen gelbe Seiten und Telefonliste. Thomas erzählt: Ein Mönch der Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens (FWBO) war zu Besuch und taufte zurück in England die Steeler WG Akashadhatu. Per E-Mail.
Fast 50000 konvertierte Buddhisten gibt es heute nach Schätzungen der Deutsche Buddhistische Union (DBU) in Deutschland – doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Der Dachverband buddhistischer Gemeinschaften zählt 400 offene Meditationsgruppen und 47 feste Gemeinschaften wie die FWBO. Religionswissenschaftler und Autor des Standardwerks "Deutsche Buddhisten" Martin Baumann von der Universität Bremen sieht mehrere Gründe für den Boom: "Viele Anhänger des Buddhismus sind vom Christentum enttäuscht. Zum einen, weil hier Religion fast nur mit dem Kopf, nichts mit dem Körper zu tun hat. In der Meditation fühlt man Religion. Aber auch die Dogmenlosigkeit des Buddhismus fasziniert. Nur wird hier zu viel projiziert." Einen westlichen Buddhismus sieht Baumann noch nicht. Hier existieren -anders als in Asien – viele aus Korea oder Japan übernommene Traditionen gleichberechtigt nebeneinander. Die erste Generation im Westen ausgebildeter Lehrer wächst gerade heran. Wohngemeinschaften und vollzeit-praktizierende Buddhisten sind noch eine Minderheit.
Thomas reibt sich die Augen. Die einstündige Morgenmeditation haben die vier momentan anwesenden Wgler gerade beendet. Der mit Teppich flauschig gemachte Kellerraum duftet noch würzig nach Räucherstäbchen. Die liegen einer Glasschüssel vorm Schrein an der Stirnseite des Raumes. Eine Stufe darüber, auf rotem Samt sind sieben Opferschüsseln mit Wasser drapiert. Ganz oben hockt ein Buddha zwischen Holztulpen und Kerzen. Jeden morgen meditiert hier ab halb acht der willige Teil der WG – meist sind das alle.
Halb neun gehen die Adepten zum Frühstück über. Thomas räumt die Spülmaschine leer, Heiko greift sich die Butter, Peter den Schwarztee und Harald die Vegi-Paprikapaste. Seit April 1996 leben sie hier zusammen. Seit 1997 arbeiten sie auch gemeinsam, in ihrem Geschenkartikelladen "evolution" in der City. Alle fünf sind um die 30 Jahre alt und folgen dem edlen achtfaltigen Pfad zur Erleuchtung: rechte Anschauung, rechtes Wollen, rechtes Reden, rechtes Tun, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Denken, rechtes Sichversenken. Einer, Shantipada, als Ordensmitglied des Westlichen Buddhistischen Ordens. Zur Zeit weilt er in England.
Gefrühstückt wird mit herrlichen Panoramablick durchs Esszimmerfenster auf die Sonnenschirme und Wäscheleinen der Nachbarschaft. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein auf Baumwolle gemalter, hockender Buddha. Eine Frau bringt ihm Reisbrei. "Buddha aß einmal als Asket nur ein Reiskorn am Tag, später praßte er hemmungslos. Dann stellte er fest, dass beides gleich falsch und der richtige Weg zur Erleuchtung Mäßigung ist", erzählt Thomas und träufelt Honig auf sein Vollkornbrot.
Mäßigung. Beim gemeinsamen Wirtschaften bedeutet das "Gib was du kannst, nimm was du brauchst." Meint Harald. Er reibt sich die Stoppeln am hageren Kinn, zieht die rote Jogginghose zurecht und nimmt sich erst mal einen Haufen Paprika-Nuss-Paste. Konkreter wird er nicht. Was an Geld aus dem Laden nach Schuldendienst übrigbleibt, wird nach Arbeitszeit verteilt, der Rest dem buddhistischen Zentrum Essen gespendet. Einen gemeinsamen Geldtopf gibt es noch nicht.
Im Hintergrund brummt Thomas Rasierer. Im Vordergrund Peter. Die Ananas-Curry-Paste schimmelt am Rand ein wenig. Kommt auch in Buddhisten- WGs vor. Da fällt Peter ein: "Die höchste spirituelle Entität im Buddhismus ist ein Mensch, der für sich und andere gut sorgt." Somit spricht auch wenig gegen eigene Konten und viel für leckeren Brotaufstrich – obwohl ein Individuum im Buddhismus sich nicht durch Äußerlichkeiten definiert. Denn: Die Welt ist leidvoll, Leiden entsteht durch Anhaften an Äußerlichem, das Leiden kann überwunden werden – eben durch den edlen achtfältigen Pfad. So die vier Wahrheiten des Buddhismus im Schnelldurchlauf zwischen Paprika-Nuss und Schwarztee hindurch aus Haralds Mund.
Mäßigung gilt auch für Beziehungen. Freundinnen dürfen zwar in der WG übernachten, aber bisher hat das noch keine. "Wir sind eine Männer-WG, eben um gewisse Ablenkungen zu vermeiden. Und die Räume sind wirklich hellhörig", gluckst Harald. Dann hören seine blauen Augen auf, schelmisch zu leuchten und er schält bedächtig eine Banane: "Man sollte ohnehin sexuelle Bedürfnisse hinterfragen." Muss nicht, aber sollte.
Halb zehn. Frischt rasiert bricht Thomas mit Heiko zum Laden auf. Harald bleibt daheim, klettert auf den Dachboden. Zwischen Sofa, Sessel und Computer steht die Plattensammlung von Santana über Bowie bis zu Tschaikowsky. Einen Fernseher gibt's hier nicht, wie nirgends in der WG. Harald setzt sich auf seinen weißen Flausenteppich, blickt hoch zum Spitzdach, beginnt zu erzählen. 1992 ging er einfach mal so zu einem offenen Abend im Essener buddhistischen Zentrum. "Weil ich unzufrieden war mit meinem Leben, meiner Umwelt, den Antworten auf Leben und Tod." Er meditierte. Am ersten Abend taten die Beine weh, am zweiten nicht mehr und irgendwann fühlte er sich "total gut", trank weniger, konnte genießen, statt an Problemen zu haften. "Die Gesellschaft kann man nicht auf der Basis von Hass verändern, wie ich das früher bei Robin Wood erlebt habe. Vielleicht ist unsere Form des Lebens da effektiver." Die spontan im Zentrum geborene WG war für ihn 1996 logische Konsequenz. Die Arbeit im Laden auch – einen Job als Diplom-Raumplaner wollte er nicht wirklich finden. Und so trieb er den evolution-Laden als Kooperative rechten Lebenserwerbs voran. Das Sortiment liefert eine buddhistische Kooperative aus England. Sie betreibt dort 15 evolution-Läden. Am Ende soll für Harald die Ordination stehen: "Ich will diese Selbstverpflichtung, mein Leben an buddhistischen Maßstäben auszurichten."
Nachmittag. Durchs Einkaufszentrum marodieren Konsumhungrige, ergießen sich in Müllers Bonbonladen, den bagstore oder zwischen beide zu evolution und Thomas. Zwischen Buddhas aus Speckstein, aufblasbaren Marienkäfern, Brieföffnern mit Pandakopf, Totempfählen von Bali und gerade der Schule entflohenen Mädchen, die all das interessiert betrachten und betasten, steht er. Und lächelt mit einer Tasse Yogitee in der Hand, froh, dass Heiko ihn ablöst. Denn der Garten im buddhistischen Zentrum wartet auf seine Pflege.
Im Hinterhof eines orange- gelb gestrichenen Altbaus am Rand der Innenstadt steht Thomas, rupft vor der Glasfront des Zentrums Grün, harkt und ächzt von Zeit zu Zeit ein wenig. Landschaftsarchitektur hat er studiert. Die eher kunden- als naturfreundliche Gutachterarbeit im Planungsbüro nervte ihn. Beim Meditieren im Zentrum wurde er ausgeglichen.
"Vielleicht helfe ich irgendwo auf der Welt, ein Zentrum zu gründen", plant Thomas an seiner Zukunft herum. Um Ordination hat er 1996 gebeten. Seitdem war er bei einigen Vorbereitungsseminaren in England. Die sollen Klarheit bei der Entscheidung verschaffen. Ein Mönchsleben zwingt nicht zu Enthaltsamkeit und Askese, ist allein eine Selbstverpflichtung. Bis das Team den Kandidaten für reif genug hält, können einige Jahre ins Land ziehen. Zwischen einer Unkrautwurzel und der nächsten sagt Thomas ganz schlicht, ruhig und selbstverständlich: "Familie, Karriere, Beziehungen sind mir nicht wichtig. Ich will den buddhistischen Pfad gehen."