Entwicklungshilfe 2.0: Per Mausklick zum Mikrokredit (Spiegel Online, 4.4.2007)
Entwicklungshilfe 2.0
Per Mausklick zum Mikrokredit
Kiva.org ist das MySpace der Entwicklungshilfe. Mit einem Mausklick kann jeder Nutzer Kleinunternehmern in Entwicklungsländern Geld leihen. Das Konzept wird gefeiert – aber Experten warnen: Die Billig-Kredite machen Banken vor Ort kaputt.
Spiegel Online, 4.4.2007
Die Schneiderin Fuentes Ramirez hat großes Glück: Ihr Geschäft wirft gerade genug zum Leben ab. Das ist viel in Ecuadors größter Stadt Guayaquil – 65 Prozent der Menschen hier leben unter der Armutsgrenze. Doch in diesem Jahr hat Ramirez, eine kleine, stämmige Mittfünfzigerin mit kurzen grauen Haaren, zum ersten Mal in 30 Jahren die Chance, mehr als den Lebensunterhalt zu verdienen: Ihre Geschichte steht auf der Internetseite Kiva.org. Dort hat sie einen Kredit über 600 Dollar bekommen, um beim besten Geschäft des Jahres mitzumischen – dem Schneidern von Schuluniformen.
itzumischen – dem Schneidern von Schuluniformen.
Dank Kiva.org kann Ramirez in diesem Jahr den Stoff auf Vorrat kaufen, weil ihr 15 Kreditgeber aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Vereinigten Staaten das nötige Geld geliehen haben – binnen weniger Tage, mit einem Mausklick per Paypal, rückzahlbar in den kommenden zwölf Monaten. Auf Kiva.org kann jeder in wenigen Minuten Mikrokredite an Kleinunternehmer in Entwicklungsländern vergeben. Seit eineinhalb Jahren ist die Seite online, jetzt hat sie die beachtliche Marke von vier Millionen Dollar Kreditvolumen erreicht. Das Erfolgsrezept: Kiva ist das MySpace der Entwicklungshilfe.
Auf Kiva.org präsentiert jeder Kreditnehmer sich und seine Geschäftsidee auf einer eigenen Seite mit Fotos, persönlichen Geschichten und Tagebüchern. Jedermann kann sehen, wie viel Kapital andere schon für das Projekt vergeben haben. Und vor allem, wer. Denn auch die Geber stellen sich auf eigenen Seiten dar, kommentieren die Tagebücher ihrer Kreditnehmer.
Kiva.org ist sehr persönlich. Und sehr schnell: Gefällt einem eine Geschäftsidee, kann man dem Kreditnehmer per Mausklick einen Paypal-Kredit über 25 bis 200 Dollar gewähren. Web 2.0 trifft Entwicklungshilfe. Kiva ist ein Produkt der kalifornischen Start-Up-Szene: Gründer und Geschäftsführer Matt Flannery (30) war zuvor Programmierer bei TiVo, andere Kiva-Führungkräfte kommen von Google, Paypal, MySpace und AOL. Alle lieben Kiva: Die New York Times feiert das Konzept, Firmen wie Paypal, Youtube, Microsoft und Google unterstützen die Firma. Und jetzt gibt es erste Nachahmer wie globefunder.com.
"Schlussendlich wirkt Kiva negativ"
Doch die Erfolgsgeschichte hat einen kleinen Haken: Es ist fraglich, ob das Kiva-Prinzip der Wirtschaft in Entwicklungsländern langfristig nützt. Einige Experten sind sogar überzeugt, dass Kiva mittelfristig mehr Schaden als Nutzen bringt. Klaus Tischhauser, Geschäftsführer der auf Mikrofinanz-Anlagen spezialisierten responsAbility Social Investment Services in Zürich sagt zum Beispiel: "Schlussendlich wirkt Kiva negativ, auch wenn die Intentionen der Organisatoren und Kreditgeber gewiss gut sind. Denn das Prinzip zementiert das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gebern und Empfängern, das effiziente Entwicklungshilfe aufheben soll und kann." Um das zu verstehen, muss man das Kiva-Prinzip genauer betrachten.
Eigentlich läuft alles vorbildlich: Vor Ort in Südamerika, Osteuropa und Afrika suchen 40 ausgewählte Mikrokredit-Organisationen erfolgversprechende Projekte aus, die sie mit Kiva-Krediten finanzieren wollen. Kiva gibt das auf der eigenen Seite eingesammelte Geld zinslos an diese Organisationen weiter. Hier beginnt das Problem: Zinslos bedeutet unschlagbar günstig. So billig ist das Geld auf den regulären Kapitalmärkten nicht zu bekommen. Hans Schimpf, Wirtschaftswissenschaftler in der Abteilung Wirtschaft und Beschäftigung bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ): "In der Regel ist Finanzsystementwicklung nur nachhaltig, wenn sie marktkonform ist. Sonst entstehen neue Abhängigkeiten. Unüblich niedrige Zinssätze verzerren lokale Kreditmärkte."
Konkret bedeutet das: So günstig wie Kivas Partnerorganisationen kann keine Bank vor Ort Mikrokredite vergeben. Kiva-Sprecherin Fiona Ramsey feiert das als etwas Positives: "Unsere Partner-Organisationen vor Ort nehmen bei ihren Mikrokrediten Zinsen von durchschnittlich nur 19 Prozent, bei anderen Organisationen sind im Durchschnitt 35 Prozent fällig."
Hans Schimpf beurteilt diesen Durchschnittszinssatz von 19 Prozent als "eher günstig". Ohne Hintergrundwissen erscheinen diese Zinssätze hoch, zu bedenken sind aber die oft zweistelligen Inflationsraten in Entwicklungsländern, die hohen Ausfallrisiken und Transaktionskosten. Es ist teuer, sehr viele sehr kleine Kredite zu prüfen und abzuwickeln und monatlich mit Motorrädern oder Jeeps die Kreditnehmer zu besuchen. Diese Kosten können Mikrofinanz-Organisationen kaum senken. Da ist das unschlagbar günstige Kiva-Kapital ein enormer Wettbewerbsvorteil. Die Folgen beschreibt Klaus Tischhauser drastisch: "Kivas Null-Prozent-Kredite machen die Banken vor Ort kaputt."
Kiva-Nutzer spenden statt zu investieren
Nun muss man wissen, dass Tischhauser ein Unternehmen führt, das mit Mikrokredit-Fonds Gewinn für Anleger machen will. Den Kreditgebern bei Kiva hingegen geht es um ein gutes Gefühl: Sie verzichten auf jede Gewinnchance und vergeben 90 Prozent des zurückgezahlten Kapitals sofort wieder als Kredit. De facto spenden Kiva-Nutzer.
So neu also die technische Umsetzung ist, so alt mutet das Bild der Entwicklungshilfe an, das Kiva propagiert: Man gibt den Armen ein wenig Geld. Das gute Gefühl steht im Vordergrund, nicht wirtschaftliches Denken. Statt einen Unternehmer zu finanzieren, gibt man ihm ein Almosen. Und so ist es auch auf Kiva.org zu lesen, da ist dann die Rede von "the poor they serve".