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Erstes Online-Rollenspiel MUD: Der Opa von "World of Warcraft" wird 30 (Spiegel Online, 24.10.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Erstes Online-Rollenspiel MUD

Der Opa von "World of Warcraft" wird 30

Zwei Studenten, ein Großrechner und viel Freizeit: Roy Trubshaw und Richard Bartle programmierten 1978 MUD, das erste Online-Rollenspiel. Nachts loggten sich US-Studenten ein – und spielten mit. Es war die Geburtsstunde einer Milliardenbranche.

Spiegel Online, 24.10.2008

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Wenn Computerspieler heute die glorreichen Abenteuer ihrer Figuren
dokumentieren, schneiden sie Videos mit. Vor 30 Jahren sahen
Spiel-Mitschnitte anders aus: grün-weiß-gestreiftes Endlos-Papier, auf
das ein Nadeldrucker blasse Textzeilen gehämmert hat. Zeilen wie diese:
"Du stehst in einer merkwürdig geformten Halle. Im Süden ist eine Tür.
Im Osten ist ein Torbogen, in dem im Dunkeln Treppenstufen nach oben in
Richtung Südwesten führen."

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So beschrieb MUD, das wohl erste Online-Rollenspiel, seinen Spielern
eine Fantasy-Welt mit Wäldern, Geheimgängen, Monstern und Magiern. Im
Oktober 1978 begann an der University of Essex der Student Roy
Trubshaw, das textbasierte Spiel zu programmieren – und legte, ohne es
zu wissen, den Grundstein für eine ganze Industrie.

Eine Welt für viele Spieler

Es war ein Spiel, das sich grundlegend von den wenigen
Text-Adventuren wie "Adventure" und "Zork" unterschied, die etwa um die
gleiche Zeit auf Großrechnern an US-Universitäten auftauchten: In der
Spielwelt von MUD konnten sich mehrere Spieler zugleich von verschieden
Rechnern aus bewegen und miteinander statt nur mit der Software spielen
– ein "Multi User Dungeon" (MUD) eben, die erste Form des Spielprinzips
heutiger Bestseller-Spiele wie "World of Warcraft".

Trubshaw hat MUD dann mit seinem Mitstudenten Richard Bartle
verfeinert und fertig geschrieben. Wann die allererste Version des
Spiels fertig war, wissen Bartle und Trubshaw nicht mehr so genau. Sie
haben sich auf den 20. Oktober 1978 geeinigt – "das ist unsere beste
Schätzung", so Bartle in seinem Blog.

Bartle, heute Professor für Computerspiel-Design an der University
of Essex, hat schon sehr früh erkannt, dass Online-Spiele Menschen
fesseln, sich als neues Genre etablieren werden. 1984 schrieb er in
einem Artikel für das Computerspiel-Magazin "Micro Adventurer": "In den kommenden Jahren werden Mehr-Spieler-Games wie MUD einen dominierenden Anteil bei den Adventure-Spielen haben."

Es hat dann ein paar Jahre länger gedauert, als Bartle damals
schätze. Aber seit 1997 das Online-Rollespiel "Ultima Online" erschien,
bei dem Tausende von Spielern ein Welt bevölkern, wurde das Gerne
"Massively Multiplayer Online Role Playing Games" (MMORPG) –
Online-Rollenspiele, bei denen ein Haufen Leute mitspielt – zu einer
festen Größe im Spielgeschäft.

Nachts durften auch Amis mitspielen

Und ähnlich wie heute "World of Warcraft" brachte das textbasierte
MUD Spieler zusammen, die ein paar hundert Kilometer voneinander
entfernt waren. Das Online-Adventure aus Großbritannien spielten Anfang
der 80er Jahre nicht nur Studenten der University of Essex, sondern
auch Studenten an US-Universitäten. MUD lief an der Uni Essex auf einem
DEC PDP-10 Großrechner.

Nachts durften auch "Externe" mitspielen, wie Bartle in "Micro
Adventurer" schrieb: "Tagsüber bedient der Rechner den gesamten Campus,
nur nachts hat er genug freie Kapazität, welche die Universität
großzügig externen MUD-Spieler draußen zur Verfügung stellt." Im
Frühjahr 1980 wurde die Universität über ein neues Netzwerk der
britischen Post, das sogenannte "Experimental packet-switching system"
(EPSS) mit Großrechnern an anderen Universitäten in Großbritannien und
den Vereinigten Staaten vernetzt.

US-Studenten loggten sich ein, spielten mit, und im Dezember 1980
erwähnte das US-Computermagazin "Byte" MUD sogar in einem Artikel über
Adventure-Spiele.

Inspiration: Tolkien und Dungeons & Dragons

Bartle, der Trubshaws erste Version des Spiels zu einer Fantasy-Welt
ausgebaut hatte, war wie viele der frühen Spiel-Entwickler ( Richard Garriot zum Beispiel) von J.R.R. Tolkiens Fantasy-Werken und dem mit Würfeln, Papier und viel Fantasie gespielten Rollenspielsystem "
Dungeons & Dragons"
inspiriert. Roy Trubshaw begeisterte sich eher für die Herausforderung,
die eine Mehr-Spieler-Software für Programmierer darstellt. Trubshaw
hat, so erzählt er SPIEGEL ONLINE, seine letzte D&D-Partie vor
knapp 30 Jahren gespielt: "Das war an der Uni, Ende 1979, Anfang 1980
mit Richard als Spielleiter."

Auf Großrechnern an der Uni Essex lief MUD bis 1987, Bartle und
Trubshaw hatten Lizenzen der Software auch an die Onlinedienste
Compuserve in den Vereinigten Staaten und Compunet in Großbritannien
verkauft, Mitte der achtziger Jahre bot auch die British Telecom den
Kunden ihres eigenen Onlinedienstes eine MUD-Version zum Spielen an.

Heute kann man kostenlos über das Internet in per Telnet- oder Java-Client erreichbare MUDs spielen. Eine
kleine Übersicht
englischsprachiger Angebote hat Richard Bartle zusammengestellt, eine
Übersicht deutschsprachiger Muds findet man zum Beispiel im Mudder-Wiki.

Eine Kiste voller Computerspielgeschichte

Bartle beschäftigt sich heute noch immer mit Online-Spielen –
meistens als Wissenschaftler, häufiger als Designer und manchmal auch
als Spieler. "World of Warcraft" spielt Bartle seit drei Jahren,
genießt es aber, wie er sagt, eher "aus der Designer-Perspektive".
Anders als seine jüngere Tochter, die fast jeden Tag als Hexenmeister
in WoW unterwegs ist. Mit seinen beiden Töchtern spielt Bartle manchmal
auch "Dungeons & Dragons", beziehungsweise den aktuellsten
Nachfolger des papierbasierten Ur-Rollenspiels.

Wenn Bartle einfach nur aus Spaß am Computer spielt, dann derzeit
meistens "Gangsters", ein vor zehn Jahren erschienenes Strategiespiel.
Bartle: "Es macht Spaß, es läuft auf meinen Laptop, es braucht nur ein
paar Stunden Zeit und hat viele interessante Elemente."

Sein Studienfreund und MUD-Erfinder Trubshaw programmiert als
freier IT-Berater
noch immer viel lieber als zu spielen. "Doom" und "Hocus Pocus" hat er
als letzte Titel durchgespielt – vor ein paar Jahren, weil seine Kinder
"das damals ständig gespielt haben."

Auf Dachboden liegen in einer großen MUD-Kiste die alten Ausdrucke
der Codezeilen und Protokolle einiger MUD-Spiele. Blasse Druckzeilen
auf grün-weiß-gestreiftem Endlos-Papier – Computerspielgeschichte.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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