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Es lebe der Videorekorder (Süddeutsche Zeitung, 6.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Es lebe der Videorekorder

Gesetze müssen her – zum Schutz vor dem Urheberrecht

Süddeutsche Zeitung, 6.3.2001

Das Bild ist Wirklichkeit geworden. Seit die Internet-Tauschbörse Napster die Sperrung einer Million urheberrechtlich geschützter Musiktitel vorbereitet, kritisiert kaum jemand mehr das Bild von Teenagern, die hier geschützt von der anarchischen Struktur des Netzes die gesamte Struktur der Kulturindustrie zerstören. Allerdings kann es wohl kaum illegal sein, wenn jemand seine 200 CDs nicht jeden Tag ins Büro schleppen will. Also macht er sie zu Hause über Napster verfügbar und stöpselt dann in der Arbeit einen Kopfhörer in den Computer. Auch das wird die jetzige Sperrung wohl unmöglich machen. 

Überhaupt scheint die Dämonisierung Napsters nicht deckungsgleich mit der Wirklichkeit. Ansonsten müssten die Manager der Medienkonzerne dieser Welt wahnsinnig sein. Denn alle wollen sie Musik im Internet verkaufen. In den USA formen sich zudem Allianzen für den Vertrieb digitaler Bücher übers Netz. Allein Hollywood beschränkt seine Inhalte im Netz auf Trailer – noch.

Denn mit Inhalten kann auch im Internet viel Geld verdient werden. Das zeigt seit langem die Porno-Industrie. In den USA stand sie schon immer an der Spitze der technologischen Entwicklung. Als Sony 1975 Videorekorder auf den Markt brachte, folgten die ersten Videos mit Erwachsenen-Unterhaltung sehr schnell. Während die Fernseh- und Filmbranche sich lange die Köpfe über die Gefahren der nun für jedermann möglichen Raubkopien zerbrachen, brachte der erfolgreichste Porno-Film aller Zeiten auf Video 100 Millionen Dollar in die Kassen. Die Entwicklung wiederholt sich heute im Internet. Zehn Milliarden Dollar Umsatz macht die US-Porno-Industrie laut Schätzungen des angesehenen Technologie-Beratungsunternehmen Forrester Research im Jahr. Davon stammt heute schon etwa eine Milliarde aus dem Internetgeschäft.

Im Netz kann also Geld verdient werden. Menschen zahlen bereitwillig für Inhalte, da es ungleich schwieriger ist, an einen Hacker zu kommen, der kostenlosen Zugriff verschafft. Das funktioniert nicht nur mit Pornographie – auch fürs digitale Wall Street Journal wird gezahlt. Der angebliche Grundsatz des Internets „Information will frei sein“ stimmt nicht.

Denn die Struktur des Netzes beruht nicht auf einem Naturgesetz. Gewiss waren im Anfang Inhalte ohne Einschränkungen von jedem Ort der Welt abrufbar, kopierbar, zitierbar und nutzbar. Aber nur, weil das Netz für Wissenschaftler geschaffen war. Denn Forschung lebt letztlich von der freien Verfügbarkeit ihrer Ergebnisse, die so geprüft, ergänzt und korrigiert werden können. Doch diese freie Verfügbarkeit ist der Alptraum aller Unternehmen, die mit Inhalten Geld verdienen.

Experten wie der US-Rechtswissenschaftler Lawrence Lessing weisen seit längerem darauf hin, dass das Internet durch eine Änderung der Technologie schnell zum beängstigend perfekten Distributionsmittel werden könne. Wie schnell das geht, zeigt nun Napster: Vor einem Jahr noch Anarchistenhort, heute Bertelsmannpartner mit einer Software, die unerwünschte Musiktitel sperrt.

Was Lessing so beängstigt, ist jedoch etwas anderes. Denn die Digitalisierung schafft nie gekannte Kontrollmöglichkeiten bei der Nutzung von Inhalten. Diese mögliche Kontrolle wird heute bei DVDs sichtbar. Die Silberscheiben sind die digitalen Nachfolger der analogen Videokassette. Sie werden mit dem Content Scrambling System der Motion Picture Association of America (MPAA) verschlüsselt. CSS verhindert das Abspielen von DVDs auf Geräten, deren Hersteller nicht am DVD-Kodierungssystem beteiligt sind. So kann etwa ein legal erworbener Film nicht mit dem DVD-Laufwerk eines Linux-Computers betrachtet werden. Meist sind bei DVDs nicht einmal die Werbebotschaften zu überspulen. Hier wird deutlich, dass mit einem recht simplen Programmcode die Kontrolle über Inhalte enorm ausgeweitet werden kann. Dabei gibt es in den USA wie auch in Europa die so genannten Schranken des Urheberrechts. Man kann Romane eines Thomas Pynchon nicht zu denselben Kondition vermarkten wie einen Mietwagen. Das Urheberrechtsgesetz der Vereinigten Staaten ist nur wegen zwei Einschränkungen mit der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit konform: Zum einen gilt Urheberrecht nicht für Ideen und Fakten, zum anderen ist der sogenannte faire Gebrauch erlaubt. Das bedeutet zum Beispiel, dass in der Bibliothek Bücher fotokopiert werden dürfen, dass man von Computersoftware Sicherheitskopien erstellen kann, dass eine CD für den Walkman auf Kassette überspielt werden darf.

Einige Experten glauben, die Digitalisierung von Inhalten mache diesen „fairen Gebrauch“ technisch unmöglich. Rechtsprofessor Lessing warnt in seinem Buch „Code“, die neue Technik ermögliche eine absolute Kontrolle der Nutzung von Inhalten an bestehenden Gesetzen vorbei. Eben dies leistet CSS bei DVDs: Inhalte sind zum Beispiel nur auf gewissen Geräten verfügbar. Gemäß dem Digital Millenium Copyright Act von 1998 ist die Umgehung von CSS strafbar. Das hält Eric Schreier, Analyst des Beratungsunternehmen Forrester Research, für gefährlich: „Jeder Produzent von Medien-Inhalten kann so durch DCMA sein Eigentum an Inhalten auf eine Kontrolle über die Abspielgeräte ausweiten.“

Auch das Internet besteht letzten Endes aus Code. Napster zeigt, wie leicht der zu ändern ist. Über die eigentliche Idee von Napster wird nicht mehr geredet. Natürlich ermöglicht das Programm den Tausch urheberrechtlich geschützter Musik. Aber das muss nicht zwangsläufig illegal sein. Eine bestimmte Verwendung solcher Inhalte in Kunstwerken könnte unter „fairen Gebrauch“ fallen. Sampling, eine der zentralen Techniken von DJs, beruht hierauf. Napster bietet nicht nur die Möglichkeit kriminellen Kopierens, sondern auch den Ausgangspunkt für eine neue, extrem kommunikative Musikkultur, die dem Wissenstausch der Forscher im ursprünglichen Netz gleicht.

In den vergangenen Jahren hat sich der Code des Internets geändert. Technologien zur eindeutigen Identifizierung von Nutzern und für sichere Geldtransfers boomen. Während im Anfang die Nutzer den Code bestimmten, macht sich heute der Code daran, die Nutzung zu bestimmen. Wie erfolgreich dies als Geschäftsmodell sein kann, beschreibt die Redakteurin des Wall Street Journal Kara Swisher in ihrem 1998 erschienen Buch „aol.com“: Ein enormer Vorteil der Struktur des Online-Dienstes AOL sei die Möglichkeit, eindeutig zu erfassen, wer welche Inhalte wie verwendet. Lawrence Lessing hat das Erfolgsmodell überspitzt so beschrieben: „Es ist für AOL einfacher, die Nutzer zu identifizieren, als für andere Nutzer. Es ist für sie einfacher, zu allen Mitgliedern zu sprechen, als für die Mitglieder, sich gegen AOLs Sichtweise und Regulierung zur Wehr zu setzen. Es ist für AOL einfacher, Produkte zu vermarkten, als für den einzelnen, sich zu verstecken.“

Natürlich ist es das gute Recht eines Medienunternehmens, Geld mit Inhalten zu verdienen. Aber die Urteile im Verfahren gegen Napster und Technologien wie CSS weiten die Rechte der Inhaltsproduzenten auf ein nie zuvor bestehendes Maß aus. Deshalb muss das Internet reguliert werden: um die Nutzer vor einer Potenzierung des Urheberrechts zu bewahren.

Ansonsten droht die Prophezeiung des britischen Soziologen Richard Barbrooks Wirklichkeit zu werden: „Redefreiheit soll nur als Medienware existieren“. Damit es nicht so weit kommt, hatten Hacker ein Programm geschrieben, um CSS zu umgehen. Ein New Yorker Richter verbot die Verbreitung. Seine Lösung: „Fast alle Filme sind sowohl auf DVD als auch auf Videokassette verfügbar. Wer also einen Film gesetzesgemäß nutzen will, kann eine Videokassette kaufen oder leihen, sie abspielen und sogar kopieren.“ Nach einem Vierteljahrhundert gehört die Zukunft also wieder dem Videorekorder.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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