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Es war Ort (Süddeutsche Zeitung, 14.2.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Es war Ort

Wer will sich eine ganze Stadt samt Einwählern kaufen? Vor sieben Jahren wurde im Netz die erste digitale Stadt der Welt gegründet – nun droht der urbanen Revolution der Absturz

Süddeutsche Zeitung, 14.2.2001

Schon vor den falsch durchlochten Stimmzetteln wurde ein Zusammenwachsen von Politik und digitaler Revolution herbeigesehnt. Die Visionen waren allerdings ein wenig visionärer als die Vorstellung vom elektronischen Zettel-Stanzen. Zum Beispiel träumte man auch im Netz von einem echten „Forum“, von einem Platz also, den man aus der antiken Polis kennt. Der erste Versuch lief in Amsterdam unter dem Namen „De Digitale Stad“ (DDS). Wobei deren Entwicklung die Geschichte des Internets recht anschaulich pointiert – eine Geschichte, die hauptsächlich vom Ringen um die Definitionsmacht von Politik, Wirtschaft und Nutzern erzählt. Jetzt steht die digitale Stadt vor dem Aus – am heutigen Donnerstag wollen die Bürger in einer Generalversammlung über die Zukunft des inzwischen privatwirtschaftlich organisierten, nach ökonomischen Kriterien aber erfolglosen Projekts entscheiden.

Damals, im Januar 1994, schien es unmöglich, dass die Zukunft in nur sieben Jahren zu Ende sein könnte: Stadtverwaltung und niederländisches Wirtschaftsministerium gaben das Geld, Graswurzel-Aktivisten lieferten die Ideen; in der digitalen Stadt sollten in den zehn Wochen vor der Stadtratswahl Politiker und Bürger zusammenkommen und in virtuellen Räumen diskutieren. Es funktionierte. 10  000 aktive Bürger hatte die digitale Stadt nach der Wahl, das Projekt wurde fortgesetzt. Mit den Nutzerzahlen wuchsen auch die Visionen. Die erste Bürgermeisterin der digitalen Stadt, Marleen Stikker, hoffte: „Jeder ist gleich im Netz. Man trifft Menschen, die man sonst nie sehen würde.“ Die Stadt als politischer Raum ubiquitärer Öffentlichkeit: Endlich schien eine antike Idee Wirklichkeit zu werden. Stikker beschrieb aber leider nur den virtuellen Traum – nicht den Raum der Realität.

Die digitale Stadt sollte allen sozialen Schichten offenstehen. Internetzugang und E-Mail-Adresse waren (und sind) kostenlos. Man wollte eine Strukturierung des neuen medialen Raumes nach wirtschaftlichen Kriterien verhindern, auch mit staatlicher Hilfe. Rückblickend sprechen Geert Lovink und Patrice Riemens von einem „Nachfolge-Modell des öffentlichen Sendesystems“, welches das Ziel der Digitalen Stadt hätte sein sollen. Hätte. Nach der Stadtratswahl in Amsterdam erhielt die DDS nämlich keine staatliche Unterstützung mehr. Die Diskussion über den öffentlichen Netz-Raum wurde zwar in den Foren der digitalen Stadt geführt – jedoch allein von Gleichgesinnten, die Politik hatte sich aus dieser Debatte zurückgezogen. Parteien und Landesregierungen investieren zwar in eigene Internet-Seiten, dort ist aber kein Platz für Informationen anderer Gruppen.

Auch der optimistische Futurismus des virtuellen Polit-Raumes wurde von Gegenwart und Vergangenheit eingeholt: von der Zeit, von ihren Spuren und Moden. 1994, das war auch die Zeit der libertären Ideologie im Internet. Freiheit galt als Freiheit vom Staat – und damals gab es nur einen Ort, wo man sicher sein konnte, dem Staat garantiert nicht zu begegnen: das Netz. Deshalb sah man hier die New Economy jenseits bekannter Gesetzmäßigkeiten blühen. So wurde die Digitale Stadt im März 2000 dann auch in ein privatwirtschaftliches Unternehmen umgewandelt. Die neuen Eigentümer Joost Flint und Chris Göbel hatten schon zuvor die Digitale Stadt geleitet. Patrice Riemens beschreibt die damalige Aufbruchsstimmung : „Die beiden schauten sich die Anzahl ihrer registrierten Nutzer an und verglichen die mit den Beträgen, die bei Übernahmen von Mobilfunkunternehmen pro Kunde gezahlt wurden. Heraus kam eine konservative Rechnung von 1000 Gulden multipliziert mit 140  000. Wow, sind wir reich, dachten sie.“ Flint und Göbel verteilten die Geschäftsbereiche der digitalen Stadt auf vier Tochterfirmen: DDS City für die verlustbringende digitale Stadt, DDS Ventures für Bildungsangebote, DDS Services für die Technik und DDS Projects für das Gestalten von kommerziellen Seiten im Internet. DDS Ventures verkauften Flint und Göbel im Oktober an den niederländischen Verlag Malmberg, im November wurde das britische Unternehmen Energis Eigentümer von DDS Services. Übrig blieben DDS Projects mit schmalen Gewinnen und die Digitale Stadt mit hohen Kosten. Das Finanzierungsmodell funktioniert nicht. Anfang Januar sagte Joost Flint: „Die digitale Stadt zu schließen, ist eine Option.“ Nach ökonomischen Kriterien und Handlungsmustern ist kein öffentlicher Raum zu erhalten. Patrice Riemens: „Die Idee, wonach die digitale Stadt durch den dotcom-Wahn subventioniert werden sollte, war wirklich nicht schlecht – sie hat bloß nicht funktioniert.“ Seit einem Beitrag von Reinder Rustemas in einem Internet-Forum am 19. Dezember gibt es aber neue Hoffnung für die digitale Stadt. Rustemas fragte, warum nicht die Bewohner ihre Stadt übernehmen sollten. Inzwischen hat die Viodds (Vereniging in oprichting de Digitale Stad) immerhin 400 Mitglieder: Heute werden auf der Generalversammlung in Amsterdam vermutlich neue Organisationsstrukturen beschlossen und Verantwortliche gewählt. Diese sollen dann offizielle Verhandlungen mit den jetzigen Eigentümern der Stadt aufnehmen.

Nachdem die Politik und Wirtschaft versagt haben, ist die Frage nach dem öffentlichen Raum im Netz so unbeantwortet wie 1994. Rustema denkt an eine Finanzierung durch Sponsoren. Riemens zieht ein anderes Fazit: „Es gibt heute genug kostenlose Anbieter von Internet-Dienstleistungen. Und doch muss man sie bezahlen – mit seiner Privatsphäre etwa. Man wird mit Werbung überschüttet, die Internet-Nutzung protokolliert, und persönliche Daten werden möglicherweise weiterverkauft. Wenige, aber bewusste und aktive Mitglieder täten der digitalen Stadt gut.“ Die Geschichte wiederholt sich – oder eben nicht.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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