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Facebook-Debatte: Warum wir Datenschutz-Fundamentalisten brauchen (24.8.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Streit um Internet-Pseudonyme

Die Ignoranz der Mehrheit

Innenminister Friedrich fordert Klarnamenzwang für Internet-Nutzer und kritisiert die angebliche Anonymität im Netz. Doch dabei ignoriert er die Lebenswirklichkeit im Web. Würde sein Vorstoß umgesetzt, bekämen wir eine Gesellschaft, in der Minderheiten verstummen.

Spiegel Online, 9.8.2011

{jumi [*3]}

“Fundamentalist”, “Datenschutzhysteriker”, “Hausmeister des staatlichen Datenschutzes” – der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) in Schleswig-Holstein Thilo Weichert wird im Netz für seine Kritik an Facebook und Drohungen gegen Websites, die Facebooks “Like”-Button einbinden , beschimpft.

Viele Kritiker bemängeln gar nicht die Argumentation des schleswig-holsteinischen Datenschützers oder die Art, wie er Facebook unter Druck setzen will. Sie wenden sich prinzipiell gegen Versuche, Unternehmen im Netz zu regulieren. Die Regulierung sei Bevormundung”, “wirtschaftsfeindlich” und schlecht für den “Internetstandort Deutschland”. Der Blogger Christian Scholz formuliert die Extremposition der Regulierungsfeinde unter dem Kampfbegriff der “German Angst”: Allen Regulierungsideen liege “die Angst zu Grunde, dass man das Internet und die dadurch entstehenden Freiheiten irgendwann nicht mehr beherrschen kann”.
Freiheit gibt es nur dank Regulierung

Sinnvoll klingt dieser Satz nur, weil der Begriff Freiheit so vage gehalten ist. Ist nun die Freiheit von Unternehmen gemeint ist, neue Geschäftsmodelle zu erproben? Oder die Freiheit der Nutzer, in einem neuen Forum zu publizieren? Wenn beides gemeint ist, kommen beide Formen der Freiheit mit Sicherheit einmal in Konflikt. Zum Beispiel, wenn Nutzer in einem Forum von ihrer Freiheit Gebrauch machen, für die großartigen Angebote der Konkurrenz zu werben. Oder wenn ein Unternehmen seine Freiheit nutzt, auf eigene Rechnung Fotos weiterzuverkaufen, die Nutzer auf der Plattform veröffentlicht haben.

Die Fundamentalkritik an Thilo Weicherts Anti-Facebook-Kampagne nach dem Motto “Regulierung ist Bevormundung” ist also kaum haltbar, wenn man nicht prinzipiell ablehnt, dass Interessenkonflikte in einer Gesellschaft in irgendeiner Form geregelt ausgetragen werden.

Akzeptiert man diese Tatsache, dass es nicht darum geht, “ob reguliert werden soll oder nicht, sondern um das Wie”, wie Felix Schwenzel es formuliert, kann man Thilo Weicherts Vorstoß nur begrüßen.

Weichert wirft Facebook vor, gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht zu verstoßen: Der Online-Netzwerkdienst informiere Nutzer nicht hinreichend darüber, welche Verkehrs- und Inhaltsdaten in die USA übermittelt und wie sie dort genutzt werden. Wegen dieser Verstöße will das ULD gegen Website-Betreiber in Schleswig-Holstein vorgehen, die Facebook-Fanpages betreiben oder bestimmte Facebook-Angebote auf ihren Websites eingebunden haben. Bis Ende September sollen sie die Weitergabe von Nutzerdaten einstellen. Sonst drohen Bußgelder bis zu 50.000 Euro.

Das ULD spielt über Bande

Es ist nicht die feine Art, dass das ULD über Bande spielt, Firmen, Behörden und Privatleuten in Schleswig-Holstein droht, um Facebook unter Druck zu setzen. Das ist der einfache Weg für das Datenschutzzentrum. Großartig wäre es gewesen, wenn das ULD versucht hätte, Facebook direkt haftbar zu machen. Es ist bis heute rechtlich ungeklärt, wie die Firma überhaupt in Deutschland datenschutzrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Facebook verarbeitet die gesammelten Daten nicht in Deutschland, die damit betrauten Firmen sitzen in Irland und Kalifornien. Warum das ULD nicht diesen Weg wählt, ist klar: Es dürfte aufwendiger sein und deutsche Datenschützer wären bei einem Scheitern um ein wichtiges Drohmittel ärmer.

Das ULD handelt also machtpolitisch, wenn es deutsche Seitenbetreiber wegen Datenschutzproblemen bei Facebook angeht. Wenn Facebook auf diesen Druck reagiert, kann das Kunden nur nützen.

Warum anonymisiert Facebook nicht standardmäßig?

Konkret bemängelt das ULD zum Beispiel, dass von jedem Besucher, der eine Website aufruft, auf der Facebooks “Like”-Button eingebunden ist, standardmäßig die IP-Adresse an Facebook übermittelt wird, auch wenn man gar nicht bei Facebook eingeloggt ist. Auch auf SPIEGEL ONLINE ist der “Like”-Button eingebunden, allerdings werden laut Facebook die IP-Adressen der nicht eingeloggten Nutzer aus Deutschland generell so anonymisiert, dass keine Rückschlüsse auf den Rechner oder dessen Benutzer möglich sind.

Vielleicht entschließt sich Facebook ja auf Druck Weicherts, den Seitenbetreibern beim Einbinden des Facebooks-Codes in Zukunft mehr Wahlmöglichkeiten einzuräumen. Es ist technisch möglich, “Like”-Buttons derart einzubinden, dass der Code von Facebook erst nach einem bewussten Klick der Nutzer auf die Schaltfläche nachgeladen wird. So hat das zum Beispiel der Sender SWR3 auf seiner Website umgesetzt. Vielleicht bietet Facebook diese Lösung nicht standardmäßig an, weil noch niemand in Deutschland Druck gemacht hat.

Und sollte Facebook nicht auf die Drohungen des ULD reagieren und den Seitenbetreibern in Schleswig-Holstein helfen, müsste das ULD wohl tatsächlich damit beginnen, Bußgelder zu verhängen. Man kann nur hoffen, dass sich dann jemand in Schleswig-Holstein juristisch dagegen wehrt – so könnte es endlich mehr Rechtssicherheit in der Frage geben, was ein deutscher Seitenbetreiber beim Einbinden von Plug-ins beachten muss, was er tun darf und was nicht. Es stimmt schon: Die deutschen Rechtstexte zum Datenschutz wurden formuliert, bevor das Einbinden von Plug-ins und Videos zum Standard im Web wurde.

Gerichte müssen Gesetze interpretieren, das können sie aber nur, wenn es Verfahren gibt. Deshalb braucht es Datenschutz-Fundamentalisten wie Thilo Weichert: Seine Provokation treibt die Klärung offener Datenschutzfragen eher voran als ein allgemeines Durchwurschteln nach dem Motto: “Wir machen einfach mal und denken lieber nicht über Grundsätzliches nach.”

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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