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Facebook-Offensive: Werber spähen Surfverhalten aus (Spiegel Online, 7.11.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Facebook-Offensive

Werber spähen Surfverhalten aus

Individuelle Anzeigen für alle: Facebook und MySpace versprechen neue Werbeformen. Unternehmen sollen die Profilseiten der Mitglieder auswerten dürfen. Das ist neu – Vermarkter legen heute schon Surf-Profile an – anonym. Damit könnte es dank Facebook & Co. bald vorbei sein.

Spiegel Online, 7.11.2007

Der Brite Luke Mitchell verrät Firmen, wie sie bei Studenten am besten für ihre Produkte werben. Online-Anzeigen beim sozialen Netzwerk Facebook empfiehlt er nicht mehr: "Wir hatten entsetzliche Klickraten", schreibt er im Blog seiner Agentur "Reach Students." Seine Bilanz: Die vorletzte Werbekampagne brachte 1,4 Millionen Seitenaufrufe – aber nur 560 Studenten klickten das Werbebanner an – 0,04 Prozent. Mitchells Fazit: "Bis sich das ändert, bleiben wir bei PR-Kampagnen."

Jetzt könnte Facebook für Werber wie Mitchel wieder interessant werden. Das Unternehmen verspricht neue Werbeformen, Mitgliederseiten für Unternehmen zum Beispiel, auf die Facebook-Nutzer verweisen können. Jedes Mitglied wird somit zum potentiellen Propagandisten und jedes Mitgliederprofil zur potentiellen Reklametafel. Zu Facebooks Werbeoffensive gehört aber mehr als solche eher harmlosen Möglichkeiten für Mitglieder, sich bewusst zu Werbeträgern zu machen.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg versprach bei einer Präsentation in New York 250 Werbekunden auch ein "Interface, um Erkenntnisse über die Facebook-Aktivitäten von Mitgliedern zu sammeln, die fürs Marketing relevant sind", wie es in der Facebook-Pressemitteilung heißt.

Im Klartext: Unternehmen können sich aussuchen, wem sie ihre Werbung zeigen, zugeschnitten anhand von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Hobbys, Wohnort, politischer Überzeugung, Lieblings-Büchern und Filmen, Bildungsstand und Beziehungsstatus. Konkurrent MySpace bietet ähnliche Werkzeuge ausgewählten Anzeigenkunden schon länger an. Nun sollen auch kleine Firmen ihre Werbung derart extrem personalisieren können.

Unpersönliche Banner-Werbung ödet Nutzer an

Hintergrund: Werber gieren nach möglichst präzisen Informationen über ihr Publikum. Denn die Nutzer stumpfen immer mehr gegenüber einfach so auf Webseiten platzierten Bannern ab. Sie klicken Werbung seltener an. Das US-Wirtschaftsmagazin Businessweek zitiert eine Studie des Online-Vermarkters Eyeblaster, derzufolge auf Yahoo-Seiten die sogenannte Klick-Quote im Verlauf des Vorjahres um zwei Drittel gesunken sein soll – von 0,75 auf 0,27 Prozent.

Die Folge: Werber wollen Surfer bald nur noch Anzeigen zu Themen präsentieren, die sie ohnehin interessieren. Das schaffen einige Online-Werbedienste heute schon – ohne persönliche Informationen von Profil-Seiten. Sie werten einfach mittels Internet-Cookies anonym das Surfverhalten von Nutzern auf Webseiten aus. Jeder Computer, der eine dem Werbe-Netzwerk angeschlossenen Seite aufgerufen hat, bekommt eine eigene Kennung, kann so bei jedem Besuch erkennt werden. "Behavioral Targeting" heißt die Methode – derzeit ein Hype-Thema in der Online-Werbebranche.

Die US-Marktforschungsfirma eMarketer schätzt in einer Studie vom Juni, dass im nächsten Jahr mehr als ein Zehntel der in den US geschaltete Banner- und Videoanzeigen per "Behavioral Targeting" personalisiert sein wird. Bis 2011 sollen die mit solcher Online-Werbung erzielten Umsätze um jährlich 50 bis 70 Prozent wachsen.

Menschen werden selbst zum Werbeumfeld

Ein "Paradigmenwechsel" sei das, sagt Michael Kleindl, Präsident des Branchenverbands der europäischen Online-Vermarkter EIAA: "Unternehmen müssen nicht mehr das redaktionelle Umfeld als Notbehelf benutzen, um über das Publikum zu spekulieren. Dank anonymer Nutzerprofile sind die Menschen selbst das Werbeumfeld."

BEISPIEL-ZIELGRUPPEN: SO PERSONALISIEREN ONLINE-WERBER BANNER

Das zeichnen Online-Werbedienstleister auf
Anbieter wie Wunderloop und nugg.ad wissen, wer wo und wie lange surft, welche Suchanfragen er stellt und welche Artikel er aufruft – nur Namen und Wohnort kennen sie nicht. Aber mit den so gewonnenen Informationen lassen sich detailierte Interessenprofile erstellen, die per anonym gesetztem Cookie mit dem Rechner jedes Nutzer verknüpft sind.

Welchen Wein wollen sie haben?
Was mit der Technik heute möglich ist, beschreibt Michael Kleindl – unter anderem auch einer der Investoren des deutschen Online-Werbe-Dienstsleisters Wunderloop – so: Theoretisch könne man anonyme Profile für einzelne Surfer erstellen. Beispielsweise wisse Wunderloop, dass "jemand sich nicht nur für Weinseiten interessiert, sondern schon nach portugiesischem Muralhas de Moncão gesucht hat."

Junge Frauen, die Cabrios kaufen
In der Praxis sind solche detaillierten Einzelprofile für die Werbetreibenden eher uninteressant. Denn Banner-Werbung soll exakt definierte Zielgruppen erreichen, nicht einzelne Menschen direkt ansprechen wie das umstrittene Direktmarketing. Gebucht würden, so Keindl, Werbeplätze bei Mikrozielgruppen, zum Beispiel: "Frauen zwischen 20 und 40, die sich für Autos interessieren und eher von Cabrios als von Familienwagen begeistert sind."

So zugeschnittene Banner fixen das Publikum offenbar eher an: Von "dramatisch höheren" Klickzahlen spricht EIAA-Präsident Kleindl, was einige Fallstudien zur Wirkung auch belegen. Facebook und MySpace können der Werbeindustrie weitergehende Angebote machen. Dienstleister wie Wunderloop analysieren nur das anonymisierte Surfverhalten.

Facebook kann diese Informationen um persönliche Profildaten ergänzen, die fürs Direktmarketing interessant sind. Und: Seiten wie Facebook haben einen direkten Kontakt zu den Mitgliedern. Keindl: "Der enorme Vorteil dabei ist, dass sie sich von ihren Mitgliedern explizit per AGB erlauben lassen können, selbst private Informationen für personalisierte Werbung zu nutzen."

Werber-Probleme: Datenschutz und Phantasie-Profile

Facebook und MySpace dürften bei personalisierter Werbung mit zwei Probleme zu kämpfen haben: Fehlinformationen auf Profilseiten und Datenschutzbedenken. Der US-Marketingfachdienst "iMedia Connection" warnte im September auf Basis nicht-repräsentativer Studien, dass ein Drittel der bei MySpace eingestellten Profile Phantasieangaben enthalten könne. Und bei Facebook ist ja auch Irans Präsident mit Adolf Hitler befreundet (siehe Fotostrecke unten) und das Mitglied Josef Stalin hat einen Schnurrbart-Fanclub. Welche Anzeigen die Besitzer dieser Profile wohl zu sehen bekommen?

"Von Nutzern selbst erstellte Profile sind hinsichtlich Inhalt als auch Qualität nur sehr schwer kontrollierbar", urteilt Stephan Noller, Mitgründer und Vorstand des Online-Werbe-Dienstsleisters nugg.ad. Diese Berliner Firma analysiert das Surfverhalten auf Webseiten, bildet anonyme Profile und rechnet die Daten dann mit statistischen Methoden zu Zielgruppen hoch. Der Vorteil gegenüber anderen Verfahren laut Noller: "Unternehmen können sich darauf verlassen, dass die hochgerechneten Segmente für Ihre Werbeplanung tauglich und valide sind."

Ein weiterer Vorteil solcher Verfahren ist, dass die Zielgruppen-Profile anonym sind. Noller: "Wir schnüffeln nicht einzelne Personen aus, sondern schätzen statistisch. Denn unsere Kunden machen kein Direktmarketing, sondern wollen zuverlässig bestimmte Zielgruppen erreichen." Er rechnet damit, dass seine Methode eine bessere Chance hat, von den Nutzern akzeptiert zu werden als Profilanalysen auf Facebook.

Noller glaubt, dass allzu perfekt und persönlich personalisierte Werbung nicht erfolgreich sein kann. Sie müsse einen Mittelweg finden: "Online-Werbung muss exakt genug personalisiert sein, um spezielle Zielgruppen ansprechen zu können und ungenau genug personalisiert sein, um Nutzern nicht das Gefühl zu vermitteln, sie würden ausgespäht."

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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