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Falsche Fährten (Frankfurter Rundschau, 6.8.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Falsche Fährten

In Verzeichnisse und Suchmaschinenlisten mischen sich Reklame und untergeschobene Seiten – nicht nur der CDU 

Frankfurter Rundschau, 6.8.2002

So wollte der CDU-Ortsverband Fuldatal wohl kaum bekannt werden: Die Nordhessen gerieten in die Schlagzeilen, weil sie mit falschen und fragwürdigen Schlüsselwörtern Nutzer von Suchmaschinen auf ihre Webseiten locken wollten. Solche erschlichenen Einträge bei Google und Co. sind nur ein Grund, warum die Ergebnislisten selten objektiv ausfallen. Manche Einträge sind auch schlicht gekauft – und andere fehlen, weil sie gefiltert wurden.

Algorithmen wie bei der Suchmaschine Google und redaktionell ausgewählte Kataloge wie Yahoo vermitteln den Eindruck von Allwissenheit und Neutralität. Doch der täuscht. Manche Anbieter lassen sich für attraktive Platzierungen in den Ergebnislisten bezahlen. Beispielsweise die deutschsprachige Suchmaschine Acoon. Ganz gleich, ob Surfer eine "Marion Müller" oder einen "Karl Kaninchen" finden wollen: Als viertes Ergebnis taucht immer ein Internet-Reiseservice auf, mit einer angeblichen Relevanz von 87 Prozent.

So krass werden Nutzer nur selten getäuscht. Doch auch die Resultate einer Recherche beim deutschsprachigen Angebot des Microsoft Network (MSN) machen stutzig: Wer "Buch" oder "Auto" eintippt, wird als Erstes auf so genannte ausgewählte Websites verwiesen. Und das sind gewiss nicht die wichtigsten. Denn die Ergebnisse ähneln sich erstaunlich: "Bücher bei MSN Shopping" oder "MSN- Carview".

Das verdeutlicht: Abgesehen davon, dass Suchmaschinen höchstens ein Viertel der Webdokumente kennen, muss die Auswahl der Algorithmen oder Redakteure keineswegs objektiv oder den Nutzerinteressen angepasst sein. Der Inhalt hängt vielmehr von einem komplexen Interessengeflecht ab. Beteiligt dabei: die Verantwortlichen für Internetangebote, die Betreiber der Suchmaschinen, der regulierende Staat und die Surfer. Manche Formen ihres Zusammenwirkens sind heikel.

Zunächst kann das Gewinnstreben der Suchmaschinenbetreiber und das Interesse der Inhalteanbieter an Seitenaufrufen die Suchresultate verzerren. Den schmalen Grat beschrieb Ganon Giguiere, Marketingchef bei Altavista, einmal so: "Man muss die feine Balance zwischen einem optimalen Produkt und einem Produkt, das Umsätze bringt, finden." Dass die Suchmaschinenanbieter die Herkunft gekaufter Ergebnisse nicht immer transparent machen, zeigt ein Brief der US- amerikanischen Federal Trade Commission an einige Betreiber. Die Behörde mahnt, bezahlte Ergebnisse deutlicher zu kennzeichnen und den Nutzern das Zustandekommen zu erklären. In Deutschland kündigte die Wettbewerbszentrale an, gegen unzureichend kennzeichnende Suchmaschinenbetreiber wegen sittenwidrigen Verhaltens im Wettbewerb vorzugehen.

Verwirrende Begriffe verwenden gar seriöse Anbieter: Unter "Empfohlene Links" und "Weitere Listings" zeigt Altavista Werbung, Web.de nutzt den Begriff "Partnerlinks". Pikant: Einträge in das redaktionelle Verzeichnis von Web.de sind nur noch gegen Geld möglich. Wenigstens 27,84 Euro verlangen die Karlsruher jährlich. Ob langfristig die Chancengleichheit etwa zwischen finanzstarken Unternehmen und eher minderbemittelten Nicht-Regierungs-Organisationen gewahrt bleibt ? Web.de-Sprecherin Eva Vennemann sieht kein Problem: "Wir konnten seit der Umstellung keine Unterschiede bezüglich der Struktur und Themenvielfalt feststellen. Auch Institutionen und Privatpersonen melden weiter ihre Seiten bei uns an."

Bisher verlangen nur wenige Kataloge zwingend Anmeldegebühren. Meist werden gegen Bezahlung die Seiten schneller aufgenommen, sonst kann es schon einmal sechs Monate dauern. Die Zwei-Klassen-Aufmerksamkeitsgesellschaft erklärt den Erfolg von Projekten wie dem Open Directory Dmoz.org: Dort begutachten Freiwillige Seiten für einen redaktionellen Katalog, den andere Anbieter in Teilen oder komplett übernehmen – so auch das Google-Verzeichnis. Alleine der deutschsprachige Teil zählt etwa 200 000 Einträge.

Nicht nur Betreiber der Suchseiten streben nach Gewinnen und nehmen zumindest missverständliche Ergebnisse in Kauf. Auch Programmierer von Webseiten schummeln zu ihren eigenen Gunsten, etwa indem sie beim Anmelden ihrer Angebote falsche Katalogrubriken nennen – oder Suchmaschinen mit falschen Begriffen füttern. Genau das versuchte die CDU Fuldatal. In den für Surfer unsichtbaren Html-Metatags trug sie gefragte Begriffe wie "Sex" ein, aber auch Termini wie "Führer" und "Deportation". Die Schlagwörter wurden zwischenzeitlich gelöscht.

Die Tricks mancher Webmaster gehen inzwischen darüber hinaus. So gibt das Magazin Internet Professionell Tipps wie diesen: "Man manipuliert die Suchmaschinen mit Tricks wie begriffsoptimierten Cloaking-Pages und Domain- Namen oder speziellen Einträgen zur Steigerung der Link-Popularity." Das bedeutet: Seiten, die auf das Bewertungsschema bestimmter Suchmaschinen ausgerichtet sind, werden dem eigentlichen Angebot vorgeschaltet. Die Surfer bemerken davon wegen automatischer Weiterleitungen kaum etwas. So erhöht man die Zahl der auf das eigene Angebot verweisenden Seiten – ein wichtiges Gütekriterium beispielsweise für den Algorithmus von Google. Wegen solcher Praktiken sah sich der Deutsche Multimedia Verband jüngst gezwungen, eine Empfehlung für korrektes Suchmaschinenmarketing abzugeben.

Besonders kritisch werden solche Methoden, wenn sie von Pornographie-Anbietern eingesetzt werden. Wer etwa statt "Anna Kournikova" den leicht falsch geschriebenen Namen "Anna Kournikoba" bei Google eintippt, bekommt dank der besonderen Form der Suchmaschinenoptimierung nackte Haut vorgeschlagen. Friedemann Schindler, Leiter von Jugendschutz.net, der Zentralstelle der Länder für Jugendschutz im Internet, sieht Handlungsbedarf: "Es ist ein Problem, wenn Kinder und Jugendliche bei einer Suche auf Seiten stoßen, nach denen sie nicht gesucht haben."

Hier kommt – zumindest in Deutschland – die dritte Partei bei der Veränderung von Ergebnislisten ins Spiel: der Staat. Jugendschutz.net hat in den vergangenen Wochen Aufsehen mit einer Initiative erregt, nach der Suchmaschinen ihre Listen jugendgefährdender und illegaler Adressen austauschen sollten. Kritiker sahen eine staatliche Vorzensur. Doch soweit kommt es wohl nicht. Schindler räumt ein, Jugendschutz.net hat keine hoheitlichen Rechte, um Suchmaschinen zu Austausch und Nutzung der Liste zu verpflichten.

Bedenklich ist der Vorschlag dennoch. Das Gesetz nennt eindeutig, was auch für Erwachsene unzulässig ist: Tier- und Kinderpornografie, Volksverhetzung und Verletzungen der Menschenwürde. Die Suchmaschinenbetreiber aber bestimmen unzulässige Inhalte auf Grund eigener Kriterien, die teils über das Gesetz hinausgehen. Wie Friedemann Schindler sagt: "Für viele Betreiber von Suchdiensten verstoßen Darstellungen von Kindern in sexuell aufreizenden Posen gegen die eigene Policy, obwohl sie gesetzlich zulässig sind."

Solche Sperren über eine gemeinsame Liste zu zentralisieren, sieht Wolfgang Schulz, Leiter des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung, nur eingeschränkt positiv: "Strukturell ist der Ansatz zu begrüßen, da er die Suchmaschinenanbieter zur Selbstverantwortung anhält. Allerdings ist es im Hinblick auf die Kommunikationsfreiheit erwachsener Nutzer bedenklich, wenn bestimmte Inhalte aus dem Netz unmerklich verschwinden." Schindler hingegen sagt, es gebe keinen Anspruch darauf, in einem Suchdienst gelistet zu sein: "Es bleibt den Betreibern vorbehalten, die Auswahl zu treffen."

Bei allem Streit, wichtig ist: Die Nutzer sollten die Kriterien der Eingriffe kennen – ganz gleich ob sie der Werbung oder dem Jugendschutz dienen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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