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Fan-Zorn: So lästert das Web über Apples Pannenserie (Spiegel Online, 28.7.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Fan-Zorn

So lästert das Web über Apples Pannenserie

Kunden-Mails wurden verschlampt, für "Gratis"-Zugänge wird Geld abgebucht: Apple hat mit seinem neuen Online-Dienst einen katastrophalen Start hingelegt, auch bei anderen Angeboten hakt es. SPIEGEL ONLINE dokumentiert, wie kleine Schlampereien den Ruf des iPhone-Konzerns gefährden.

Spiegel Online, 28.7.2008, mit Christian Stöcker

Apple nimmt den Mund sehr voll: Unbeirrt vom katastrophalen Start wirbt der Konzern mit dem Slogan "Der einfache Weg zu synchronen Daten"
für seinen neuen Online-Dienst MobileMe. Der einfache Weg? Seit zwei
Wochen ist der Dienst aktiv – zumindest behauptete Apple das anfangs.


Aber mindestens ein Prozent (das gibt Apple selbst zu) der
Abonnenten kann bis heute keine E-Mails über den kostenpflichtigen
Dienst empfangen oder versenden. Bei Web-Diensten wie Google
funktioniert das fast immer – und das sogar kostenlos.

Verspätete Updates, Ärger im Download-Shop – SPIEGEL ONLINE zeigt, wie kleine Schlampereien Apples Ruf gefährden.

MobileMe – "Lass mich im Stich" statt "Mobiles Ich"

Apple-Fans schimpfen in Foren, Blogs und auf IT-Seiten. Und einige reagieren den Frust mit so amüsanten Satiren wie der
Webseite "Fail me"
ab. Die sieht der Werbeseite für Apples Pannen-Service zum Verwechseln
ähnlich. Die feinen Unterschiede: Apples Dienst heißt Mobile Me – die
Satire Fail Me, also sinngemäß "Lass mich im Stich" statt "Mobiles
Ich". Die Seite parodiert Apples Werbesprüche: Der "einfache Weg zu
synchronen Daten" wird zum "einfachen Weg zum totalen Versagen".

Wer seinen Apple-Frust in die Online-Welt hinausschreien will, kann bei
FailMe ein schickes Fail-Logo für Apples-Chatsoftware iChat gratis
herunterladen: Damit, so die Macher "können Sie der Welt zeigen, wie
sehr sie FailMes ständige Ausfälle und verpassten Fristen bewundern.
Ziehen Sie das Icon einfach in ihr iChat-Fenster. Das ist so einfach,
dass sogar wir es hinkriegen." Völlig ironiefrei rufen die
FailMe-Macher dann noch zum Mail-Protest bei Steve Jobs und dem
Apple-Kundendienst auf: "Es gibt nur einen Weg, die Dinge zu ändern –
wir müssen Apple sagen, dass wir diese Behandlung nicht dulden."

Wie groß der Unmut über die Pannen beim MobileMe-Dienst ist, zeigen
die Kommentare in Web-Foren – von Apple erwarten Kunden Produkte, die
einfach funktionieren. Mobile Me jedenfalls funktioniert offensichtlich
bei einigen Kunden überhaupt nicht:

  • "MobileMe hat den Begriff Versagen neu definiert. Das sind inzwischen Synonyme." (Twitter-Blogger
    Ian Baird)
  • "Ein Prozent der MobileMe-Kunden kommen nicht an ihre E-Mails. Wow,
    ich fühle mich, als hätte ich in der Lotterie gewonnen!" (Web-Producer Fraser Agar)

Apple reagiert inzwischen auf die Welle des Missmutes: Seit Freitag sollen Apple-Mitarbeiter in einem
Blog zum MobileMe-Status über die Erfolge bei der Problembehebung berichten. Bislang gibt es zwei Einträge: 

  • Freitag: "Steve Jobs hat mich gebeten, hier alle zwei Tage zu schreiben, was bei MobileMe los ist."
  • Sonntag: "Wie Sie wissen, ist es unser wichtigstes Ziel, auch dem
    restlichen Prozent der MobileMe-Nutzern einen vollen Zugriff auf ihre
    E-Mails zu ermöglichen."

Der immerhin 79 Euro im Jahr kostende Dienst läuft also für einige
Unglückselige auch nach zwei Wochen nicht so einfach und reibungslos,
wie Kunden es von Apple erwarten.

Kreditkarten-Abbuchungen für kostenlose Probezugänge

Das Wort "kostenlos" lässt eigentlich keinen Spielraum für
Interpretation. So mancher Apple-Freund, der sich einen "kostenlosen"
Test-Account für Apples Online-Dienst MobileMe zulegte, erfuhr jedoch:
Für Apple-Kunden kann "kostenlos" auch soviel wie "152 Euro teuer"
heißen.

Denn eine Reihe von Nutzern, die sich für den Probebetrieb von
MobileMe angemeldet hatten und dabei zur Identifikation die Daten einer
Bezahlkarte hinterlegten, stellten anschließend fest, dass ihnen Geld
vom Konto abgebucht worden war. In Großbritannien beispielsweise 121
Pfund. Im Apple-Forum beschwerten sich auch Nutzer aus Norwegen,
Russland und den USA, ihnen sei Geld abgebucht worden, obwohl sie nur
den "free trial" bestellt hätten.

Inzwischen gibt es eine offizielle Entschuldigungsmail von Apple, die
auf Probleme mit Kreditkarten und sogenannten Debit Cards verweist. In
Apples Nutzungsbedingungen wird darauf hingewiesen, dass zur
Überprüfung der Karte eine kleine Summe "in der Größenordnung von einem
Dollar" abgebucht werden könne. Nun aber verschwanden von den Konten
der erbosten Kunden den Berichten zufolge Summen, die weit über dem
liegen, was der kostenpflichtige Dienst MobileMe im ganzen Jahr kostet
(79 Euro).

Kunden, die dem Abbuchungsfehler zum Opfer fielen, erhielten eine
E-Mail, in der von einer "inkorrekten, temporären" Abbuchung die Rede
ist. Die Summe würde schnellstmöglich ersetzt, wann genau, hinge aber
von der jeweiligen Bank ab. Der Zeitraum könne "zwischen einer Woche
und einem Monat" liegen. Man arbeite daran, diese Fristen zu verkürzen,
wo es möglich sei. Als Kompensation bietet Apple den betroffenen Kunden
an, ihre kostenlose Testperiode für den Dienst um 30 Tage zu
verlängern.


Microsoft stopft DNS-Lücke schneller als Apple

 

Die
Lücke im sogenannten Domain Name System (DNS) ist ein äußerst ernstes Problem (mehr…).
Die meisten Internet-Nutzer profitieren inzwischen von Updates, die das
Loch schließen – nur nicht die Besitzer von Apple-Rechnern.

Wie der Sicherheitsexperte Dan Kaminsky bereits im März feststellte,
lassen sich durch ein Problem im Adresssystem des Internets zumindest
theoretisch Netznutzer beliebig auf gefälschte Seiten umlenken. Das DNS
ist dafür zuständig, IP-Adressen, die aus Zahlenkombinationen mit
Punkten dazwischen bestehen, Buchstaben-Adressen wie www.spiegel.de
zuzuordnen. Dieses System hat nun ein Loch. Das könnte es erlauben,
beispielsweise eine falsche, aber täuschend echt aussehende Bank-Seite
aufzusetzen, um so an Passwörter und Transaktionsnummern von Bankkunden
zu kommen. Trotz einer korrekt eingegebenen Adresse könnten die Kunden
auf einer gefälschten Seite landen.

Die meisten großen Anbieter, darunter Microsoft, Cisco, und die
Linux-Distributoren Red Hat und Ubuntu haben bereits am 8. Juli ein
Update zur Verfügung gestellt, das die Lücke stopft. Von Apple aber
fehlt ein solches Update bis heute. Das gilt für Mac-Desktops unter OS
X ebenso wie für Server, die mit dem Apple-System OS X Server laufen.
Der IT-Fachdienst Heise.de kommentiert: "Sollte sich bestätigen, dass
auch die DNS-Caches der OS-X-Clients direkt angreifbar sind, können
Anwender nur hoffen, dass auch Apple Patches bereitstellt, bevor die
ersten Angriffe auf Clients beginnen."


Trotz Vorauswahl fiese Software in Apples Download-Shop

Apple besteht darauf, dass nicht jeder beliebige Programme auf
iPhone installieren kann – das kann man mit einem Apple-Handy im
Originalzustand nur über Apples zentralen Downloadshop AppStore.
Vorteil dieser Zentralisierung: Apple kontrolliert, welche Anwendungen
verfügbar sind, prüft sie vorab, verhindert so, dass Spyware oder
anderweitig riskante Programme aufs iPhone gelangen.

Das hat bei dem iPhone-Rollenspiel "Aurora Feint" auch geklappt –
allerdings erst nachträglich, Das Spiel durchforstete alle Einträge im
iPhone-Adressbuch und schickte die so abgegriffenen Daten ohne
Verschlüsselung an den Server des Spielherstellers. So sollten Spieler
automatisch Freunde entdecken, die auch "Aurora Feint" spielen. So
erklärt der Hersteller die Adressbuch-Schnüffelei. Apple ermöglicht
Programmierern diesen Adressbuch-Zugriff mit seinem
iPhone-Entwicklerwerkzeug.

Wie Programme diese Möglichkeit ausnutzen, wurde aber im Fall von
"Aurora Feint" offensichtlich nicht vorab geprüft – Apple hat die
Software nachträglich aus dem Download-Portal entfernt, nachdem sicher
schon so einige Adresslisten unverschlüsselt verschickt worden sind.


Und das nach all dem Ärger, der beim Start schon auftauchte

Die
Probleme mit Apples zweitem Telefon und dem Online-Dienst MobileMe gingen schon bei Start los (mehr…):
Zunächst versagten die Server, mit denen man neue iPhones freischalten
sollte – nicht einmal in Telefonläden ließen sich die neuen Telefone in
einen telefonierfähigen Zustand versetzen.

Dann schickte eine Aktualisierung der iPhone-Software Telefone ins
Koma und zuletzt dauerte die Umstellung der alten .mac-Dienste auf den
neuen Dienst MobileMe länger als angekündigt – wenn er überhaupt
gelang.

Auch die hartgesottenen Fans des Konzerns mit dem Apfel-Logo hatten
in den zurückliegenden Wochen einige Geduldsproben zu überstehen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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