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Fehlerhafte Zensur-Methode: Arcor stoppt den Porno-Filter (Spiegel Online, 17.9.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Fehlerhafte Zensur-Methode

Arcor stoppt den Porno-Filter

Tagelang blockierte der Internet-Anbieter Arcor deutschen Kunden den Zugang zu jugendfreien Angeboten von Fachkongressen und Unternehmen. Ein Kollateralschaden, zensieren wollte man nur drei Pornoseiten. Nach Anfragen von SPIEGEL ONLINE hat Arcor den Filter deaktiviert.

Spiegel Online, 17.9.2007

Siemens, Fraunhofer-Gesellschaft, Rockwell – die Referenten des "Industrial Ethernet Kongress" in Stuttgart kommen von renommierten Firmen und Organisationen. Und sie sprechen über ein wirklich jugendfreies Thema: die industrielle Anwendung von Ethernet-Netzwerken. Trotzdem sperrte der Internetprovider Arcor den Zugang zum Webangebot dieser Fachtagung für seine 2,4 Millionen DSL-Kunden. Denn dummerweise liegt die Kongress-Seite auf demselben Server wie das Porno-Portal Privateamateure.com.

Den Zugang zu dieser und zwei anderen Sex-Seiten ohne Altercheck sperrte Arcor auf Antrag des deutschen Porno-Anbieters Kirchberg Logistik mehrere Tage lang. Das bestätigte Arcor in der vergangen Woche auf Anfrage durch SPIEGEL ONLINE. Jetzt ist bekannt, wie Arcor sperrt. Laut Arcor-Sprecher Michael Peter wurden IP-Adressen blockiert, was zunächst logisch und sicher erscheint: Wir alle haben gelernt, dass jede WWW-Adresse einer ganz bestimmten IP-Adresse zugeordnet ist. Umgekehrt ist das aber nicht unbedingt so – und das erklärt, warum harmlose Seiten wie die des Fachkongresses in Arcors Zensur-Raster geraten konnten.

Gesperrt: Linux-Seiten und Fachtagungen

Laut der Adress-Datenbank des Dienstleisters Domaintools.com gehört die IP-Adresse 64.202.189.170 zu einem Server des US-Providers GoDaddy. Unter dieser Adresse sind neben Pirvatamateure.com laut Domaintools aber insgesamt fast 3,5 Millionen einzelne Websites hinterlegt. Unter anderem diese harmlosen Angebote:

  • die Bollywood-Fanseite Barathstars
  • der Linux-Kernel-Debugger Linice
  • der Hersteller von Energieführungen für die Automobilindustrie Kabeltrax
  • die W-LAN-Initative Fon-City
  • der Industrial Ethernet Kongress

Diese Seiten und andere harmlose Angebote waren bei Tests heute Vormittag von privaten Arcor-Internet-Zugängen im Ruhrgebiet und in Hamburg nicht zu erreichen. Fehlermeldung: "Netzwerk-Zeitüberschreitung". SPIEGEL-ONLINE-Leser berichteten schon am Wochenende von ähnlichen Zugangs-Problemen aus dem Arcor-Netz.

Filter-Experte: "IP-Sperrungen sind Aktionismus"

Den technischen Hintergrund erklärt der Informatiker Stefan Köpsell, Entwickler des Anonymisierungsdienstes JAP: "Es ist eigentlich die Regel, dass bei Hosting-Providern auf einem Server ganz unterschiedliche Seiten mit eigenen URLs liegen." Die Folge: Alle haben dieselbe IP-Adresse, aber meist ganz unterschiedliche Inhalte und Anbieter.

Die Folge laut Köpsell: "Deshalb sperrt jeder Provider, der anhand von IP-Adressen filtert, auch potentiell harmlose Angebote mit." Experte Köpsell beurteilt die Methode kritisch: "Ich halte IP-Sperrungen für Aktionismus. Man tut etwas, um etwas zu tun, nicht weil es wirksam ist."

Dagegen spricht zum einen, dass auch harmlose Seiten betroffen sind. Zum anderen blockieren IP-Filter überhaupt nicht zuverlässig, was sie sperren sollten. Köpsell: "Wer eine Seite erreichen will, schafft das über Anonymisierungsdienste wie JAP problemlos." Außerdem kämpfen insbesondere Anbieter von Pornoseiten ständig gegen Filterversuche. Köpsell: "Natürlich ändern Anbieter die IP-Adressen ihrer Angebote, wenn ihnen eine Sperrung weh tut. Solche Filterversuche werden schnell zum Katz-und-Maus-Spiel zwischen Providern und Anbietern."

Arcor will vorerst nicht mehr filtern

Diese Lektion hat inzwischen auch Arcor gelernt. Nach ersten Anfragen von SPIEGEL ONLINE am Vormittag erkannten offenbar die Entscheider das Problem der Kollateralschäden. Gut drei Stunden nach der Anfrage teilte Arcor-Sprecher Peter mit: "Wir haben die beanstanden IP-Adressen entsperrt, weil davon auch harmlose Seiten betroffen waren."

Arcor will vorerst auf weitere Filterversuche verzichten: "Wir sperren erstmal nicht nach", sagt Firmen-Sprecher Peter. Denn offenbar waren die Porno-Provider beim Katz-und-Maus-Spiel immer wieder etwas schneller als Arcor. Peter: "Die beanstandeten Seiten waren wieder verfügbar, weil sie die IP-Adresse geändert hatten."

Intelligente Filter sehr teuer

Angesichts der technischen Probleme erscheint eine Neuauflage des IP-Zwangsfilters vorerst wenig wahrscheinlich. Filter-Experte Köpsell beurteilt die Umsetzbarkeit so: "Intelligente Filter, die verlässlicher arbeiten und weniger Kollateralschäden verursachen, sind fast unmöglich, auf jeden Fall aber sehr aufwendig und teuer." Er sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht: "Das ist keine technische Frage. Es muss entschieden werden, was politisch gewollt ist."

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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