Zum Inhalt springen

Feindbild Suchmaschine: Sie schimpfen auf Google und meinen das Netz (Spiegel Online, 22.7.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Feindbild Suchmaschine

Sie schimpfen auf Google und meinen das Netz

So viel Einheit war selten: Politiker, Blogger und Unternehmer bemühen das Feindbild Google. Der Deutsche Journalistenverband etwa fordert Gesetze gegen den Konzern und Gratis-Angebote – und stellt dabei das Web in Frage. Angstmache ist kein Ersatz für Analyse, findet Konrad Lischka.

Spiegel Online, 6.7.2009

Wo auch immer der Name Google auftaucht – fast immer wird jemand einen so reflexartig, penetrant wie unreflektiert vorgetragenen Common Senf dazugeben: Google sei ein Monopolist, ein Datenkraken, eine Gefahr. Dieses neue Feindbild ist seit dem Streit über Googles Straßenansichtsdienst Mainstream: Wer Straßen fotografiert, ist böse.

Und wer bestimmte Entwicklungen im Internet fürchtet, sagt inzwischen lieber Google statt Netz.

  • ARD-Chef Peter Boudgoust erklärte in einem Interview den Qualitätsjournalismus für irgendwie durch Google bedroht: “Die eigentliche Herausforderung liegt im Aufkommen von Phänomenen wie Google. Bei Google wird der Autor faktisch enteignet, indem alles neu formatiert und zusammengestellt wird. Damit wird der Begriff der Qualität entwertet.” ( “Süddeutsche Zeitung”)
  • Verleger Hubert Burda kritisierte in einem Beitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (“FAZ”), dass Google zu viel Werbeeinnahmen erzielt: “Online-Werbung funktioniert. Aber sie landet vor allem bei Suchmaschinen wie Google oder Yahoo. Dort werden online weit höhere Umsätze erzielt als mit den Websites der Verlage.” Im manager magazin wirft Burda nun Google vor, in “Deutschland über ein Drittel der Werbeumsätze im Netz” zu verwalten, “ohne selbst in teuren Journalismus zu investieren”.
  • Mit Verspätung, aber umso lauter fordert nun der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Michael Konken, eine “konzertierte Aktion” gegen Google, “vor dem Hintergrund der wachsenden Meinungsmacht von Google” seien nun “gesetzliche Regelungen dringend nötig”. Dann verlangt Konken, das Bundeskartellamt müsse “Meinungsmonopole im Internet” verhindern.

Natürlich gibt es bei so manchem Google-Produkt Probleme – mit dem Datenschutzoder dem Urheberrecht und einer marktbeherrschenden Stellung bei Online-Werbung.

Gerade der Beitrag des DJV-Vorsitzenden Konken aber ist ein Paradebeispiel dafür, was in dieser Debatte falsch läuft: Das Netz ist gemeint, ein Feindbild wird bedient und die Analyse des eigentlichen Problems unterbleibt.

Die Sorge um Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze bei klassischen Medienunternehmen treibt Google-Kritiker wie Konken wohl an. Jeder in der Branche sieht, dass die Anzeigenumsätze bei Printtiteln sinken, die Einnahmen aus Online-Werbung aber nicht stark genug wachsen, um die Verluste wirklich auszugleichen. Das ist der Befund.

Neue Wettbewerber um Aufmerksamkeit

Ursache dafür ist aber nicht ein vermeintliches “Meinungsmonopol” Googles im Internet, sondern die enorme Vielfalt an Medienangeboten mit ganz unterschiedlicher Meinung im Web. Klassische Medien haben online ganz neue Wettbewerber beim Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer: soziale Netzwerke, Video- und Fotosammelportale, Blogs – und eben Suchmaschinen, die all das auffindbar machen.

Google hat diese Vielfalt an Konkurrenten, die Verlagen Werbeplätze und Aufmerksamkeit streitig machen, nicht geschaffen.

In Nordamerika und Westeuropa war es für Privatpersonen noch nie so günstig und einfach, ihre Meinung einer potentiell riesigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Viele Menschen tun das. Im Web gibt es eine Fülle an belanglosen Seiten, Wiederkäuer-Kommentaren, Expertenwissen und hochspezialisierten Bloggern. Jede Nische wird im Web potentiell von irgendeinem Angebot bedient.

Googles Gründer hatten die geniale Geschäftsidee, diese extremen Nischenangebote einerseits per Suchmaschine auffindbar zu machen und andererseits vollautomatisch relevante Anzeigen auf diesen Seiten zu plazieren (siehe Kasten zu AdSense unten). Nur wenige Menschen werden gezielt ein VW-Bastlerblog verfolgen. Wer aber sein Autoradio wechseln will, kommt per Google-Suche zu dem Blogeintrag, der das detailliert erklärt. Und klickt dann vielleicht auf die per Google AdSense ausgelieferte Autoradio-Anzeige neben der Anleitung.

Werbeprogramme: Googles Do-it-Yourself-Anzeigensysem
Adsense
Mit diesem Programm können Blogger und kleine Unternehmen schnell und einfach Werbeeinnahmen erzielen: Auf ihren Internet-Seiten erscheinen nur kontextbasierte Suchwörter. Die sind auf den Seiteninhalt abgestimmt. Der Seitenbetreiber erhält pro Klick einen Betrag in US-Dollar gutgeschrieben. Google zahlt ab 100 Dollar Werbeeinnahmen per Scheck in US-Dollar oder als Überweisung in Euro aus. Welches Suchwort wie hoch bewertet wird und wie viel Prozent Google für seine Dienste einbehält, erfährt der Seitenbetreiber nicht.
Adwords
Werbende Unternehmen buchen Suchwörter, die in Google-Suchergebnissen oder auf anderen Internet-Seiten erscheinen. Das Wort “Orchidee” beispielsweise erscheint nur dann, wenn nach Orchideen gesucht wird oder sich die Webseite mit dem Thema beschäftigt. Der Werbetreibende bezahlt nur, wenn ein Nutzer auf das gebuchte Suchwort klickt. Der Preis für jedes Suchwort wird in einem Auktionsverfahren ermittelt. Je beliebter das Wort ist und je weiter oben es in den Suchergebnissen auftauchen soll, desto teurer ist es.

Solche Nischen mit der Kombination von Anzeigensystem und Suchmaschine zu einem Werbeumfeld gemacht zu haben, ist der Kern von Googles Erfolg.

Diese Angebotsvielfalt im Web stellt das Konzept des professionellen Journalismus allerdings bislang nicht in Frage. Es gibt Nachfrage nach Angeboten, die jeden Tag, zu jeder Uhrzeit mit verlässlicher Aktualität und Qualität Journalismus bieten. Das zeigt der hohe Anteil von Nutzern bei erfolgreichen Nachrichtenseiten, die direkt die Seite aufrufen und nicht über eine Google-Suche zum Angebot gelangen.

Die Angebots- und Werbeflächenvielfalt im Netz stellt allerdings die Finanzierung von Vollzeitredaktionen in Frage. Wie viele solcher Online-Angebote sind mit den gegenwärtigen Geschäftsmodellen wirtschaftlich zu betreiben? Ein Blick auf die Online-Werbeumsätze zeigt: Nicht so viele wie es derzeit als Printmarke gibt, wenn sich der Online-Werbemarkt weiterhin so entwickelt, wie etwa ZenithOptimedia das prognostiziert (siehe Tabelle unten).

Das Problem ist, dass sich Medienhäuser nicht nur die Aufmerksamkeit des Online-Publikums, sondern auch die ohnehin vergleichsweise niedrigen Online-Werbeumsätze mit ganz neuen Wettbewerbern teilen müssen: Provider-Portalen wie T-Online, Foren, Blogs, Online-Spielen, Videoportalen, sozialen Netzwerken wie Facebook – und eben auch Suchmaschinen wie Google.

Die Probleme der Verlage wären dieselben, auch wenn es Google nicht gäbe, und der Wettbewerb in den Bereichen Web-Suche und Kontextwerbung stärker wäre. Yahoo, Microsoft – alle arbeiten hier nach demselben Prinzip: Sie erschließen und vermarkten das Web.

Ein echtes Problem für Verlage ist Google allerdings auf all den Märkten, wo der Konzern nicht mehr nur Inhalte erschließt oder vermarktet, sondern selbst Inhalte anbietet und vermarktet. Google hat in den vergangenen Jahren vieles bestritten, was dann doch eintrat (siehe Zitatesammlung unten). Inzwischen betreibt Google in den USA ein Online-Lexikon, ein mit Werbeflächen versehenes Nachrichtenportal, verkauft E-Books als Online-Händler und vermarktet Werbeflächen neben kostenlos angebotenen Buch- und Zeitschriftenseiten.

Dieses Vordringen ins klassische Verlagsgeschäft ist besorgniserregend, auch wenn Google hier noch ein Zwerg ist. Denn der Konzern beherrscht den Markt für Online-Werbung: 42 Prozent des gesamten Online-Werbeumsatzes strich 2008 Google ein – 21 Milliarden Dollar.

Ein Monopol ist das nicht, aber eine sehr mächtige Position. Googles Anteil bei der Web-Suche (siehe Tabelle unten) ist mit 81 Prozent weltweit ebenfalls kontrollwürdig hoch. Ein interessantes Detail hierbei: Zwei Drittel der Werbeeinnahmen erzielte Google 2008 mit auf eigenen Seiten plazierten Anzeigen. Sprich: Viele Menschen suchen etwas bei Google und klicken dann auf eine Anzeige.

Das enorme Angebot an Werbeplätzen im Web drückt die Preise, und Google dominiert den Markt. Das ist ein Problem für Verlage, da werbefinanzierte und für Nutzer kostenlose Angebote bislang das einzige erfolgreiche Geschäftsmodell für Online-Journalismus sind. Wenn das so bleibt, wird angesichts der enormen Konkurrenz bei Werbeplätzen und Aufmerksamkeit online nicht dieselbe Medienvielfalt wie offline zu finanzieren sein.

Die Reaktion des DJV-Vorsitzenden auf diese Herausforderung ist beispielhaft: Google sei schuld, behauptet Konken und fordert: “Der Gesetzgeber muss (…) der Gratis-Kultur des Internets zugunsten der Urheber einen wirksamen Riegel vorschieben.” Denn es sei “nicht hinnehmbar, dass die Urheber ohne Zustimmung ihre Werke Google zu dessen kommerziellen Zwecken überließen”.

DJV fordert Gesetze gegen Gratisangebote

Im Klartext heißt das wohl, dass der DJV-Vorsitzende Verlagen und Journalisten vorschreiben will, das bislang einzige leidlich funktionierende Geschäftsmodell im Internet im Kartell aufzugeben. Ein Gesetz soll es richten, das Gratis-Modell verbieten. Das ist wettbewerbsrechtlich fragwürdig. Und es ist kein Modell für die Zukunft, das Online-Angebot an Journalismus per Gesetz künstlich zu verknappen, bis ein Niveau erreicht ist wie zu jener Zeit, als Druck- und Vertriebskosten für eine natürliche Verknappung sorgten.

Verlage haben Geschäftsmodelle entwickelt, die aus diesem Nachteil der hohen Vertriebs- und Produktionskosten der Offline-Welt einen Vorteil machten. Google hat ein ebenso erfolgreiches Geschäftmodell ersonnen, das die (zumindest für Texte) enorm niedrigen Publikationskosten der Online-Welt und die daraus resultierende Unübersichtlichkeit und Fülle extrem spezialisierter Angebote ausnutzt.

Leistungsschutz als Kulturflatrate?

Ein paar neue Ideen gibt es schon: Seit einigen Wochen werben deutsche Medienhäuser für ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Ein konkretes Modell, wie so etwas funktionieren könnte, hat allerdings noch niemand vorgestellt. Die öffentlichen Äußerungen zu diesem Modell sind wohl bewusst wolkig gehalten, damit daraus noch alles mögliche werden kann, wenn es konkret wird.

Medienexperte Robin Meyer-Lucht fasst im Blog Carta die Debatte nüchtern zusammen: “Es geht um die Erschließung einer ganz neuen Einnahmequelle. (…) Eine ‘Verwertungsgesellschaft der Verlage’ (…) könnte den Weg ebnen für eine neue Pauschalvergütung für Onlinetexte. (…) Man könnte auch sagen: Mit dem Leistungsschutzrecht haben die Verlage ihre Version der Kulturflatrate für Journalismus vorgestellt.”

Produktiv kann die Debatte über ein Leistungsschutzrecht jedenfalls nur werden, wenn sie ohne Schwarz-Weiß-Denken, Angstmacherei, Google-Bashing und die üblichen Schuldzuweisungen geführt wird. Wichtige, aber offene Fragen dabei: Was ist fair use? Wie werden die Autoren beteiligt? Welches Mitspracherecht haben sie?

Journalisten müssen in dieser neuen Unübersichtlichkeit noch ihre Rollen finden und Verlage funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln. Dabei kann es nur helfen, die Gegebenheiten nüchtern zu analysieren.

Google pauschal zu einem Feindbild aufzubauen, hilft dabei kaum.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert