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Feuer und Eis (Frankfurter Rundschau, 23.10.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Feuer und Eis

Ungleiche Geburtstagskinder: "Wired" feiert die digitale Revolution, die "PC Welt" hadert mit deren Fehlern 

Frankfurter Rundschau, 23.10.2002

Für eine Zeitschrift über die Zukunft blickt Wired derzeit erstaunlich gern zurück. Das US-Magazin erzählte in den vergangen zehn Jahren Geschichten von unterirdischen Städten, fliegenden Autos, Wasserstoff als Energiequelle – und natürlich vom Internet, der digitalen Revolution, die unsere Welt zu einer besseren machen wird. Doch die aktuelle Ausgabe feiert auf 24 Seiten die eigene Geschichte und die des vergangenen Jahrzehnts, als dessen Ikone Wired sicher gelten kann.

Doch die Historisierung der Zukunft steht durchaus in der Tradition, mit der Wired zum großen Magazin nicht nur der New Economy, sondern – neben Wallpaper – auch der 90er Jahre insgesamt wurde. Es ging Wired dabei weder um Zukunft im Sinne von Extrapolationen der Gegenwart noch um das Denken eines radikal anderen Zustands jenseits der Gegenwart. Wired und seine Visionen kennzeichnete ein atemloser Gestus, durch und in dem die Magazin-Macher alle Ideen als gigantische, futuristisch scheinende Visionen inszenierten. Auch wenn die letztlich nur in den Neonfarben des typografischen Wired-Chaos existierten – das war egal, so lange sie die Leser unterhielten. Dies war der Maßstab, nach dem die Zukunft funktionieren musste.

Deshalb schrieb Michael Crichton in der September-Ausgabe 1993, in zehn Jahren gäbe es keine Massenmedien mehr. Das war kühn wirkender und gut zu lesender Quatsch – immerhin verkaufte Wired damals 90 000 Exemplare nach nur vier Ausgaben. Die Idee für diesen Erfolg kam den Gründern Louis Rossetto und Jane Metcalfe in Europa, das Geld zur Umsetzung bekamen sie an der US-Westküste. In Amsterdam hatten Rossetto und Metcalfe in den 80er Jahren im Magazin Language Technology über Minitel, Desktop-Publishing und Hypertext geschrieben und schreiben lassen. Als es 1989 bankrott war, gingen sie nach San Francisco, um ein Magazin für die digitale Generation zu schaffen. Das Geld hatten sie 1992 dank privater Investoren wie dem Direktor des MIT Media Labs Nicholas Negroponte zusammen. Rossetto beschrieb die Lücke für Wired in der ersten Ausgabe: "Die Computerpresse ist zu beschäftigt, die neuesten Varianten der Verkaufsformeln und des Teillagers der PCInfoComputerGeschäftswelt zu diskutieren, um die Bedeutung oder den Kontext eines sozialen Wandels zu diskutieren, der so tief geht, dass die einzige Parallele wohl die Entdeckung des Feuers ist." 
Doch für sozialen Wandel interessierte Wired sich kaum. Was Marcuse die "utopische Imagination" nannte, fehlte dem Magazin der Zukunft. Denn Wired lebte den Jahrzehnte alten, stilsicheren Optimismus der US-Westküste – und es lebte von ihm: Freiheit des Individuums verstanden auch als radikaler Wirtschaftsliberalismus und Fetisch technischer Innovation sind die zwei Pfeiler dieser Denktradition. In der Zukunft liefen also besser gekleidete Hippies, bestückt mit den neusten Gadgets herum. Sprich: Menschen, die in weiten, beigen Baumwollhosen vom Boot in der Wildnis aus mit Satellitentelefon und Powerbook einen Weltkonzern leiten.

Dass solche Powerbooks bisweilen ihren Besitzern den Schoß verbrennen stand nicht in Wired. Von solchen banalen Problemen der Produkt gewordenen Zukunft und deren Lösungen leben Computermagazine wie die PC World, deren deutsche Ausgabe in diesem Monat den 20. Geburtstag feiert. Der Verlagskonzern IDG dahinter stammt aus Boston, von der US-Ostküste – nicht nur geografisch entgegengesetzt zur Heimat von Wired.

Während bei Wired in San Francisco der Computer als Tor zu einer neuen Gesellschaft galt, waren die Kollegen von PC World damit beschäftigt, den Arbeitsspeicher der Maschinen optimal auszunutzen. Die Tipps zum Optimieren sicherten mehr als ein Jahrzehnt lang hohe Heftauflagen. Denn die Tipps der PC World waren meist sogar dem Hersteller des dominierenden Betriebssystems DOS, Microsoft, voraus.

Die von Wired ausgeblendeten technischen Probleme beschrieben und lösten Hefte wie PC World, doch die gesellschaftlichen Folgen neuer Technologie waren hier ebenso wenig wie im Magazin aus San Francisco ein Thema. Zumindest in den Augen der Kritiker von

Wired. Sie warfen dem Magazin schon früh eine undifferenzierte, ja unmenschliche Begeisterung für die Schnittmenge von unternehmerischem Biss, Hightech und Hippietum vor. Sicher wirkte es zynisch, als John Perry Barlow sich Ende 1997 für Wired mit einem Powerbook nach Afrika aufmachte, umherreiste, im Netz surfte und dann die Zukunft des Kontinents greifbar sah.

Doch Wired war niemals taub gegenüber der Kritik an der neuen Gesellschaft. Die Kritik musste nur sexy genug sein. Bevor der Autor Douglas Coupland 1995 seinen Roman Microserfs veröffentlichte, erschien das erste Fragment im Januar 1994 als Erzählung in Wired. Coupland schrieb über die Sklaven der Informationstechnologie, deren Privatleben nicht existiert, sondern als Untermenge der Arbeit in der Firma stattfindet.

Diese Höhepunkte und seinen Zenit hatte Wired vor dem Boom der New Economy erreicht. Als die Fiktionen der Wired-Macher auf einmal Geschäftsgrundlage von

Unternehmen wurden und Analysten begeisterten, nahm das Magazin schon die später folgende Krise vorweg. Zwei Börsengänge scheiterten 1996. Nach fünf Verlustjahren kaufte 1998 Condé Nast das Magazin für 80 Millionen Dollar.

Wired hatte auch nach dem Ende der New Economy noch große Momente. Bill Joys Essay Warum die Zukunft uns nicht braucht erschien hier, bevor er um die Welt ging. Doch heute, unter dem Mitte 2001 nominierten Chefredakteur Chris Anderson – früher Reporter des Economist – ist Wired seriöser geworden. Bei den Visionen zählen ökonomische Fakten, nicht allein die reizvolle Inszenierung.
Wired wird der Ostküsten-Computerpresse ähnlicher. Deren nüchternes Konzept hat nach wie vor Erfolg bei Lesern und Anzeigenkunden. In Deutschland verdoppelte die PC Welt in den vergangenen neun Jahren die Auflage auf über eine halbe Million. Das US-Magazin Technology Review hat seine US-Auflage gar auf mehr als 315 000 Exemplare verdreifacht, nachdem es 1998 renoviert worden war. Damals wurde der Fokus des renommierten, am "Massachusetts Institute for Technology" herausgegebenen Titels von den fachlichen und gesellschaftlichen Aspekten neuer Technik auf die Verwertbarkeit erweitert, wie die Mitherausgeberin Martha A. Connors damals beschrieb: "Nun wird das Magazin auch die wirtschaftlichen und unternehmerischen Aspekte von Innovation abdecken." Die erste deutsche Lizenz-Ausgabe erscheint Ende August, nachdem ähnliche Projekte bereits in Japan und Italien laufen. Die Mutter der PC Welt IDG vertreibt ebenfalls den Großteil ihrer Titel als lokale Versionen von US-Vorbildern.

Wired hinkt dieser Entwicklung nun hinterher. Das Magazin folgt immer seltener dem eigenen Rezept der optimalen Inszenierung. Zum Jubiläum zeigte das Magazin das Leben im Jahr 2013 – vor allem in Form der dann zu kaufenden Gadgets. Beispielsweise einer Armbanduhr, mit der man telefonieren kann und die einem heutigen iPod verdammt ähnlich sieht. Es gibt wesentlich schlimmeres als fetischisierte High-Tech-Produkte: langweilige.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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