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Fotosperrungen: Flickrs fieser Filterwahn, Spiegel Online, 23.5.2007

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Fotosperrungen

Flickrs fieser Filterwahn

Das Fotoportal Flickr verärgert seine Nutzer: Moderatoren sperren Fotos von Katzen als nicht jugendfrei, löschen den Hilferuf der isländischen Fotografin Rebekka Guðleifsdóttirs, deren Bilder gestohlen wurden. Mit fadenscheinigen Begründungen.

Spiegel Online, 23.5.2007

Ein dunkelvioletter Himmel, azurblaues Wasser, zwischen Felsen wabernde Dampfschwaden – eine schöne, harmlose Fotokomposition der isländischen Fotografin Rebekka Guðleifsdóttir. 744 Fotos hat die 28-Jährige in den vergangenen zwei Jahren auf dem Fotoportal Flickr veröffentlicht. Das Bildtablaeu, das sie Anfang Mai einstellte, zeigt zehn ihrer Landschaftsaufnahmen, die der britische Online-Händler Only-dreemin.com Monate lang ohne Guðleifsdóttirs Zustimmung im Web und bei eBay verkaufte.

Ihr isländischer Anwalt rät ihr nach einigen Versuchen, eine Gewinnbeteiligung von den Briten zu erstreiten, sie sollte besser aufgeben. Aber Guðleifsdóttirs gibt nicht auf. Sie bittet Mitte Mai die Flickr-Gemeinde um Hilfe. Hunderte von Kommentatoren bieten Unterstützung an. Und dann löscht Flickr den Hilferuf, die Beweisfotos und die Kommentare.

Flickr: "Kein Forum für Bedrohungen"

Begründung aus einer E-Mail an Guðleifsdóttir: "Flickr ist kein Forum, um andere zu bedrohen." Im Verlauf der hitzigen Debatte veröffentlichen Kommentatoren von Guðleifsdóttirs Hilferuf die Adressdaten der Besitzer der britischen Online-Galerie, auf der Nachrichtenempfehlungs-Seite Digg landet der Flickr-Eintrag auch, dort stehen dann neben der Galerie-Adresse Kommentare wie "Lebt jemand in der Nähe? Werft nachts einen Stein in ihr Fenster!"

Das klingt sicher bedrohlich. Nur hat nicht Guðleifsdóttir diese Drohungen aufgeschrieben. Alles begann damit, dass jemand ohne ihre Zustimmung Drucke ihrer Fotos verkauft, dass sie das öffentlich macht und um Hilfe bittet. Statt einer Löschung diese Hilferufs hätte man von Flickr ein wenig jener Hilfsbereitschaft erwartet, die Flickr-Nutzer binnen weniger Stunden in mehr als 450 Kommentaren demonstrierten: Sie geben Guðleifsdóttir Tipps zum Rechtssystem, zu Anwälten und den Chancen auf Schadensersatz. Flickr löscht all das.

"Ein Schlag ins Gesicht"

Die Reaktion ist Guðleifsdóttir völlig unverständlich. Sie sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Ich habe das auf Flickr auch als eine Warnung an andere Fotografen veröffentlicht. Ich dachte, ich tue der Gemeinschaft einen Gefallen. Die Löschung war so etwas wie ein Schlag ins Gesicht." Und so empfanden es auch viele andere Flickr-Nutzer. Der Protest wird so laut, dass sich Flickr-Mitgründer Stewart Butterfield zu Wort meldet. Er tippt während eines Auto-Trips in der Wüste eine Mail auf seinem Palm Treo, schickt sie ans Flickr-Team, damit so schnell wie möglich eine Entschuldigung veröffentlicht wird. Und so steht es dann im Flickr-Blog und -Forum: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Mist gebaut haben – und dafür übernehme ich die volle Verantwortung."

Er beharrt aber darauf, dass einige der Kommentare völlig zu Recht gelöscht worden sind. Und Butterfields Sorge vor der Treibjagd eines Mobs wütender Leser auf die Inhaber der Online-Galerie ist sicher berechtigt. Es ist nicht einmal endgültig geklärt, ob die Firma Only-dreemin.com nicht selbst Opfer von Betrügern geworden ist. Der Inhaber gab zumindest an, die Fotos von einer Firma namens Wild Aspects and Panoramics LTD gekauft zu haben.

Kein Einzelfall

Guðleifsdóttirs akzeptiert die Entschuldigung des Flickr-Gründers. Sie verlängert ihren kostenpflichtigen Flickr-Zugang um ein Jahr. Aber sie sagt: "Ich war sehr enttäuscht von Flickrs Reaktion."

Nur scheint es kein Einzelfall zu sein, dass Flickr bei solchen Beruhigungsversuchen über die Stränge schlägt. Jüngstes Beispiel: die kontroversen Fotos der Flickr-Nutzerin mit dem Pseudonym Malingering. Ihre gut 11.000 Flickr-Fotos zeigen Katzen, Baseball-Spieler und manchmal extrem schlecht angezogene Menschen in Los Angeles, die Malingering bissig kommentiert. Oder ein Haus in ihrer Nachbarschaft, vor dem sich der Müll türmt. Oder Menschen mit sehr tief sitzenden Hosen.

Ihre fiesen Sprüche haben viele Nutzer so verärgert, dass sie Beschwerden an Flickr schicken. So kommt es, dass mit einem Mal sämtliche Fotos Malingerings für nicht jugendfrei erklärt werden – darunter pelzbesetzte Schuhe, eine Mole, ein weinendes Kind. Sie sind nur noch für Nutzer sichtbar, die eine spezielle Filteroption in ihrem Flickr-Profil aktivieren.

Flickr: "Das Falsche getan"

Malingering beschwert sich mehrmals per E-Mail, beschreibt die Erfahrungen in seinem Blog. Und schließlich kommt die offizielle Flickr-Entschuldigung: "Es tut uns sehr leid!" Die Erklärung: Viele Nutzer hätten sich beschwert, das Team habe das Gefühl gehabt, "etwas tun zu müssen". Es sei in diesem Fall "das Falsche" gewesen.

Das passiert in letzter Zeit bei Flickr häufiger. Die Konsequenz für Fotografin Rebekka Guðleifsdóttir: "Flickr hat etwas seines Charmes für mich verloren. Ich werde in Zukunft kleinere Bilder hochladen, ich werde einschränken, wer sie speichern darf, ich werde womöglich immer etwas paranoid sein, dass so etwas wieder passiert." Aber sie bleibt vorerst bei Flickr. Nicht wegen der Software, nicht wegen der Firmeninhaber, nicht wegen des Filtersystems – sondern wegen der vielen aufmunternden, hilfreichen, freundlichen Kommentare anderer Nutzer.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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