Frau Wijnsma scannt ihren Garten ein
Spiegel Online, 07.10.2013
Die niederländische Designerin Leanne Wijnsma fährt regelmäßig raus aus Amsterdam, in ihre Gartenlaube im Wald. Da geht sie mit Laptop und Flachbettscanner in die Natur, lichtet A4-Parzelle für A4-Parzelle ihres Gärtchens ab und lädt die Bilder ins Netz.
So entsteht seit knapp zwei Jahren eine digitale Replik der 484 Quadratmeter Garten, die Wijnsma im Nordosten der Niederlande gehören. Online kann man sich das digitale Gegenstück ansehen: Der Waldrand im nördlichen Teil der Gartenfläche ist schon komplett digitalisiert. In der Mitte der Fläche klafft ein weißes Loch, hier steht das nicht digitalisierte Gartenhaus. Den Weißraum unten muss Leanne Wijnsma noch füllen: Hier im südlichen Teil ihres Gartens hat sie die Natur noch nicht gescannt.
Fährt man mit dem Cursor über einen der gescannten A4-Ausschnitte des Gartens, sieht man das Datum der Aufnahme, ein Klick vergrößert das Bild. So sieht man auf einen Blick Zeit und Raum: Oben am Waldrand ist es noch Winter, die ältesten Aufnahmen stammen vom zweiten Weihnachtsfeiertag 2011. Man sieht viel altes Laub, dazwischen ein paar grüne Pflanzen – ein milder Winter offenbar. Eine A4-Parzelle weiter unten ist es schon Februar 2012. Es hat geschneit, der Schnee taut aber schon, es ist kein Grün mehr zu sehen, nur Weiß und das Grau der gefallenen Blätter.
Mit Flachbettscannern nehmen Fans seit Jahren die Natur auf, die Technik heißt Scanografie und hat bei statischen Motiven Vorteile, etwa die große Schärfentiefe und Auflösung bis zum Rand. Und natürlich liefert ein Scanner selbst gleichmäßiges Licht. Warum nutzt Wijnsma für ihren digitalen Garten einen umgedrehten Scanner? Die Designerin sagt: “Es ist wichtig, exakt aus der Draufsicht aufzunehmen, jedes Detail zu erfassen und exakt an einem Gitternetz entlang zu arbeiten.”
Die Arbeit am Gartenscan erinnert an das meditative Rechen japanischer Felsengärten. Wijnsma begann im Winter 2011, sie war aus Amsterdam auf Land gezogen, um Abstand zum Arbeitsleben in der Stadt zu gewinnen. Sie erzählt:
“Ich war allein, ich konnte mich völlig auf eine Sache konzentrieren. Und obwohl ich allein im Wald wohnte, hatte ich noch einen gute Internetanbindung. Um meinen neu gefundenen Fokus mit allen in der Stadt gebliebenen zu teilen, begann ich damit, meinen Garten mit dem Flachbettscanner zu dokumentieren.”
Wijnsma vermaß die Freifläche, teilte sie in ein A4-Raster ein und scannt seitdem von der nordwestlichsten Ecke Reihe für Reihe nach Südosten. Einige Monate lang wohnte Wijnsma in dem Gartenhäuschen im Wald und scannte täglich, dann zog sie 2012 zurück nach Amsterdam. Seitdem fährt sie so oft wie möglich aus der Stadt, um ihren digitalen Garten zu pflegen.
Der digitale Garten heißt “Refresh” – der Projektname spielt auf die englische Bezeichnung des “Refresh”-Schalters im Browser an, mit dem man Inhalte aktualisiert. Wer auf Refresh klickt, fühlt sich selten erfrischt, erzählt Wijnsma. Die neuen Statusmitteilungen, Fotos und Nachrichten, die man durch eine Aktualisierung abruft, empfindet sie als Widerspruch zur eigentlichen Bedeutung des Worts. Wer im digitalen Garten auf den großen Refresh-Schalter klickt, sieht die Standardansicht ohne Vergrößerungen. Gras, Schnee, gefallene Blätter, Steine, einige davon auf Jahre alten Aufnahmen.
Jeder Scan hält bei aller Mühe nur einen winzigen Moment fest. In der Online-Replik des Gartens sieht man, dass zwei übereinander liegende Parzellen im Abstand von wenigen Wochen völlig unterschiedlich aussehen. Gegen diesen Rhythmus der Natur kommt auch die Digitalisierung nicht an, selbst eine digitale Karte kann nie größer sein als das erfasste Gebiet. Würden beispielsweise Googles Satellitenfotos auch den Lauf der Zeit erfassen, wären die Datenmengen kaum handhabbar.