Fujifilm X100: Retro-Kamera mit Prozessorherz (Spiegel Online, 6.5.2011)
Fujifilm X100
Retro-Kamera mit Prozessorherz
Sie sieht aus wie ein Oldtimer, filmt aber in HD-Qualität: Fujifilm hat eine wunderschöne Zwitterkamera gebaut. Bei der X100 muss man viel von Hand einstellen, die Bildqualität ist herausragend. Ein Test des Oldies mit Prozessorherz.
Spiegel Online, 6.5.2011
{jumi [*3]}
“Warum baut kein Autohersteller so etwas? Einen Neuwagen, der aussieht wie ein Alfa Romeo Giulia Spider 1600, aber mit der neusten Technik ausgestattet ist. Bei Kameras gibt es eine kleine und von Fans heiß geliebte Nische für solche Neu-Oldtimer. Leica verkauft seit Jahren für vierstellige Summen derartige Digitalkameras, nun macht Fujifilm dem Solmser Kamerabauer mit der X100 Konkurrenz. Der neue Fotoapparat von Fujifilm sieht einigen der legendären Leica-Kameras sehr ähnlich: Ein großer optischer Sucher oben auf dem silbernen Magnesium-Gehäuse, darunter eine schwarze, aufgeraute Oberfläche, damit man den Fotoapparat gut halten kann.
Die X100 hat dieselbe Wirkung wie ein Oldtimer: Man schaut sie gerne an, streicht darüber und wird darauf angesprochen. Allerdings kann man mit der X100 auch sehr gut fotografieren. Die Kamera hat mit einem Autoklassiker eines gemeinsam: Man muss bewusster damit arbeiten und mehr selbst erledigen. Es fällt allerdings nicht ganz so schwer, mit einer X100 zu fotografieren wie mit einem Oldtimer ohne Servolenkung einzuparken.
Fujifilm hat der X100 einige Automatikfunktionen verpasst. Man kann zum Beispiel die Blendenöffnung manuell einstellen und die Kameraautomatik die dazu passende Belichtungszeit wählen lassen – oder umgekehrt. Von anderen kompakten Kameras mit vergleichbar großem Bildsensor, wie zum Beispiel der Sony NEX-3, unterscheidet sich die X100 jedoch: Es gibt keine Motivautomatik oder derlei Spielereien. Wer mit der X100 fotografiert, muss selbst entscheiden und die Aufnahmen bewusst gestalten.
Knöpfe und Rädchen wie früher
Die Bedienung der X100 ist darauf ausgelegt. Das Gehäuse ist etwas größer als das vieler anderer Kompaktkameras mit Bildsensoren im APS-C-Format. Das größere Gehäuse erlaubt es, viele Wahlrädchen unterzubringen: Verschlusszeit, Belichtungskorrektur und Blendenöffnung lassen sich über speziell dafür ausgelegte Bedienelemente einstellen – das vereinfacht und beschleunigt die Arbeit. So kann man die Belichtungszeit und Blendenöffnung einstellen, bevor man die Kamera einschaltet – wie früher, als Fotoapparate ohne Batterien auskamen und alles rein mechanisch funktionierte.
Natürlich wirkt das nur so. Die X100 ist kein echter Oldtimer, sondern reproduziert die Anmutung mit Hilfe ausgeklügelter Software und Prozessoren. So kann man zum Beispiel wie früher mit dem Fokusrad am Objektiv manuell scharf stellen. Allerdings fehlt auf dem Fokusrad die Beschriftung, die angibt, auf welche Entfernung man nun gerade fokussiert hat. Sprich: Manuell fokussieren lässt sich die X100 nur, wenn sie eingeschaltet ist. Dabei muss man leider viel zu viel kurbeln. Bis man von einem Meter auf zehn Zentimeter herunterkommt, vergeht zu viel Zeit, man dreht und dreht.
Schön ist beim manuellen Fokus allerdings, dass die Kamera sich die Einstellung merkt. Hat man einmal ein Motiv in einem halben Meter Entfernung fokussiert, bleibt die Einstellung erhalten, auch wenn man die Kamera ausschaltet. In diesem Fall reproduziert die Software wunderbar die mechanische Bedienung. Die X100 ist viel angenehmer zu bedienen als beispielsweise die kleinere Panasonic GF2, bei der Fotografen viel mehr im Software-Menü herumklicken müssen.
Die X100 offenbart Gedächtnislücken
Allerdings setzt die Software der X100 die mechanische Bedienlogik nicht durchgehend um. Ein Beispiel: Will man näher als 80 Zentimeter an ein Motiv heran, muss man die Kamera in den Makromodus umstellen. Dann kann man Motive fokussieren, die bis zu zehn Zentimeter entfernt sind. Allerdings vergisst die X100 jedes Mal, wenn man sich Aufnahmen anschaut oder die Kamera ausschaltet, dass man zuvor den Makromodus eingeschaltet hatte – ärgerlich.
Abgesehen davon bietet die X100 alle Vorzüge und einige Nachteile moderner, softwaregesteuerten Digitalkameras.
Gefallen hat uns:
- Man kann eine Funktionstaste auf der Oberseite des Gehäuses selbst mit einer Funktion belegen – zum Beispiel mit ISO-Einstellung, Selbstauslöser, Filmaufnahmen. Das ist dringend nötig, denn all diese wichtigen Funktionen lassen sich sonst nur über das Menü der Kamera aufrufen, was zu umständlich ist.
- Die X100 filmt HD-Videos (720p) und fokussiert während der Aufnahme auch. Ein Stereomikro ist in das Gehäuse eingebaut.
- Auch wenn das eher Schnappschuss-Kameras auszeichnet: Die X100 berechnet Breitformataufnahmen mit dem von Sonys Fotoapparaten bekannten Sweep-Panorama-Modus. Man schwenkt die Kamera von links nach rechts, die Software rechnet daraus ein Panaromabild zusammen.
- Der hybrid-optische Sucher kombiniert die Vorzüge eines klaren Sucherbilds mit zusätzlich eingeblendeten Informationen zu den gerade gewählten Einstellungen – da hat man das Beste aus zwei Welten. Wenn man manuell fokussieren will, kann man auch sehr einfach zum Live-View-Bild umschalten – diese Bedienung ist genial gelöst.
Nicht so schön:
- Wie alle Digitalkameras braucht die X100 etwas, bis man nach dem Einschalten fotografieren kann. 2,2 Sekunden sind allerdings etwas lang. Man kann diese Zeit über eine sogenannte Schnellstartfunktion auf 0,7 Sekunden verkürzen, allerdings verbraucht die Kamera in diesem Standby-Modus Strom.
- Die Kamera speichert Aufnahmen im Rohdatenformat ab – das geschieht (natürlich auch abhängig von der Speicherkarte) durchschnittlich schnell. Löst man mehrmals in kurzer Reihenfolge aus, kommt die Kamera mit dem Speichern allerdings irgendwann nicht mehr hinterher und ist für einige Augeblicke nicht zu bedienen.
- Der Autofokus arbeitet langsamer als der von Kameras wie der Panasonic GH1 oder GF1, allerdings – gefühlt – schneller als der der Leica X1. Das geht so.
Wunderschön, aber auch recht teuer
Ein Fazit fällt schwer: Die X100 ist so wunderschön wie ein Giulia Spider 1600. Man will sie haben. Und: Die X100 ist deutlich besser zu bedienen als ein alter Alfa-Romeo. Will man mit der X100 eine kompakte Immerdabei-Kamera oder eine Spiegelreflex ersetzten, muss man sich einschränken. Die X100 ist etwas größer und schwerer als die NEX-Kameras von Sony, man muss auf die Gestaltungsfreiheit mit unterschiedlichen Objektiven verzichten und wird das eine oder andere Motiv nicht fotografieren können, weil die X100 nicht schnell genug einsatzbereit ist. Letztlich ist aber natürlich jede Kamera ein Kompromiss – und da muss jeder für sich entscheiden.
Der Preis – knapp 1000 Euro kostet die X100 derzeit – dürfte einige Käufer abschrecken. Stimmt schon, verglichen mit den digitalen Systemkameras von Pansonic, Olmypus und Sony ist das etwas happig. Vor allem, weil man das Objektiv mitbezahlt, aber nicht bei der nächsten Generation mit schnelleren Prozessoren und leistungsfähigeren Bildsensoren mitbenutzten kann. Allerdings: Verglichen mit der Leica X1, die ähnlich konstruiert ist, aber auch nach Jahren immer noch 1500 Euro kostet, ist die Fujifilm X100 sogar günstig. Wenn man sich denn für diesen wunderschönen Kompromiss entscheidet.
Kompakte Kameras: Fujifilm X100, Leica X1, Panasonic GF2 | |||
Kamera | Fujifilm X100 | Panasonic GF2 **** | Leica X1 |
günstigster Preis im deutschen Online-Handel (laut geizhals.at, Stand 6.5.2011) | 999 | 568 | 1550 |
Maße (cm, mit Objektiv) | 12,7 x 7,5 x 5,4 | 11,3 x 6,8 x 3,3 | 12,4 x 6 x 3,2 |
Gewicht (Gehäuse mit Ojektiv ca. in Gramm) | 445 | 320 | 300 |
Auflösung (Megapixel) | 12,3 | 12,1 | 12,2 |
Sensorgröße (cm²) | 3,73 | 2,25 | 3,75 |
Megapixel pro cm² | 3,29 | 5,4 | 3,28 |
Display (Zoll Diagonale) | 3 Zoll, 460.000 Pixel | 3 Zoll, 460.000 Pixel | 2,7 Zoll, 230.000 Pixel |
Dateiformat | RAW/JPG | RAW/JPG | RAW/JPG |
Video-Qualität | HD | HD | kein Video |