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Futur II (Süddeutsche Zeitung, 16.5.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Futur II

Wenn die Zukunft zu uns spricht: Nachrichten von morgen im Netz

Süddeutsche Zeitung, 16.5.2001

Wer von der Zukunft spricht, meint immer die Gegenwart. Ray Kurzweils düstere Prognosen über die künftige Macht der Maschinen etwa basieren auf dem 1965 postulierten Mooreschen Gesetz. Kurzweil zieht diese Entwicklungslinie entlang eines geistigen Lineals in die Zukunft, Ausgangspunkt und Verhandlungsmasse jedoch ist allein die Technikangst der Gegenwart. Was aber geschieht, wenn nicht wir über die Zukunft, sondern sie zu uns spricht?

In loser Folge präsentiert das  Futurefeedforward der Menschheit im Internet Nachrichten aus der Zukunft. Empfangen werden sie über eine "Netzwerkverbinung", mittels eines "temporären Routers" und – natürlich – einer "Black Box".

Warum auch sollte das nicht funktionieren. Wie beschränkt die lineare Wahrnehmung der Zeit der Menschen ist, hat der Schriftsteller Philip K. Dick in seiner Erzählung "Der goldene Mann" gezeigt. Lange Zeit ist die Geschichte eine Reflektion über die Angst der Menschen vor dem Fremden, das sie um jeden Preis ausrotten wollen. Dann auf einmal wird aus der Perspektive eines solchen Fremden erzählt: Alle Ereignisse, die für Menschen innerhalb einer halben Stunde geschehen, passieren für ihn gleichzeitig. Statt kontinuierliche Veränderung erlebt er die Welt als eine recht komplexe Gleichzeitigkeit verschränkter Gegenstände und Figuren. Und doch ist diese Erzählung keine Vision, sondern eine Charakterisierung der Beschränktheit der Science Fiction Literatur in Dicks damaliger Gegenwart der Fünfziger Jahre.

So ist es auch mit Futurefeedforward. Die Zukunft kann nicht mit uns sprechen. Das liegt in der Natur des Menschen und vielleicht auch in jener der ihn umgebender Raumzeit. Wer da spricht, ist der Amerikaner David Rice. Und natürlich spricht er über die Gegenwart. Zum Beispiel über das Urheberrecht. Am 5. Dezember 2067 schießt ein Satellit einen Mikrowellenstrahl auf den Star Anna Kournikova. Sie stirbt. Der Hintergrund: Ein Satellitennetz der Interessenorganisation MPRIAA (eine Mischung der heutigen MPAA und RIAA) zerstört weltweit Produkte, die Urheberrecht verletzen. MPRIAA-Sprecher Ray Insult erklärt zum Tode Kournikovas:

"Jahr für Jahr verlieren Designer durch Markenpiraterie Milliarden. Seitdem es unser Schutzsystem gibt, kann man zwar immer noch Mickey-Mäuse kaufen, für die keine Lizenzgebühren gezahlt wurden – aber sobald man mit ihnen nach draußen geht, macht es thhhhhht und sie sind verschwunden."

Kournikova wollte sich eigentlich vor illegal produzierten Spielfiguren ihrer selbst schützen. Als sie nach Jakarta aufbrach, war ihr offenbar entfallen, dass sie dort nicht einmal sich selbst die Nutzung ihres eigenen Aussehens gestattet hatte. Und so wurde sie als Urheberrechtsverletzung gelöscht. MPRIAA weist jede Schuld von sich: "Sie hätte uns sagen sollen, dass sie nach Jakarta will."

Zufälligerweise traf diese Neuigkeit ausgerechnet auf der Höhe der Diskussion um Urheberrechtsschutz um Internet aus der Zukunft bei Futurefeedforward ein. Genau so muss Science Fiction sein. Eine andere Nachricht, passend zum Prozess gegen Microsoft: Am 7. Juni 2059 entscheidet ein US-Gericht, die Vereinigten Staaten von Amerika übten ein Monopol aus. Durch ihre Marktdominanz hätten sie Kapitalströme in konkurrierenden Staaten und Industriezweigen unterbunden. Das Urteil: Die USA werden in drei Regionen mit jeweils vier autonomen Verwaltungseinheiten aufgespalten. Diese können von Unternehmen gesponsert werden. So werden aus den Vereinigten Staaten von Amerika Microsoft Northwest, GE Seaboard und Enron MiddleAmerica.

Das Geschäftsmodell von Futurefeedforward selbst erinnert an eine Science Fiction Erzählung des Autors Bruce Sterling. Die fiktionale Firma Futurefeedforward erklärt ihr Geschäftsprinzip mit recht komplizierten Diagrammen, geplant ist auch eine Art virtueller Aktie, die man nur mittels anderer Aktien besitzen kann. So entspricht etwa ein Anteil an Futurefeedforward einer Sony, 1,4 Johnson & Johnson und 0,3 C-Cube Microsystems Aktien. Sterlings Kurzgeschichte "The littelist jackal" ironisiert ganz ähnlich die Geschäftsideen obskurer Start-Ups: Um einen sicheren Standort für die erste Geldwäsche-Bank im Internet zu schaffen, zetteln die Unternehmensgründer auf einer Insel vor Finnland eine Revolution an. Sterlings Kurzgeschichte erschien passenderweise in einem Sammelband mit dem Titel: "A good old-fashioned future".

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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