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Gadgets für Kinder: Auf dem Friedhof der Offline-Kuscheltiere (Spiegel Online, 14.1.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Gadgets für Kinder

Auf dem Friedhof der Offline-Kuscheltiere

Kuscheltiere mit Web-Avatar und TV-Mikroskope: Der US-Psychologe Warren Buckleitner testet seit 24 Jahren Technik-Spielzeug für Kinder. Die Branche boomt, produziert viel Mist. Buckleitner forderte auf der Hightech-Show CES einen Ethik-Kodex – und zeigte seine Lieblings-Gadgets.

Spiegel Online, 14.1.2008

Keiner der mehreren hundert Pädagogen, Analysten und Spielzeugfirmen-Manager in dem abgedunkelten Konferenzsaal hat so viel Spaß wie Warren Buckleitner: Der hagere, fast zwei Meter große Mann (und Doktor der pädagogischen Psychologie) steht in Krawatte und im dunkelgrauen Jackett am Rednerpult und tutet begeistert ins Mikrophon. Der Mittfünfziger probiert in Las Vegas sein Mitbringsel aus den Messehalten der Hightech-Show CES aus: Ein billiger, kleiner Geräuschemacher, der auf Knopfdruck wie eine Schiffshupe, ein Krankenwagen oder die Polizei lärmt. Buckleitner macht das beruflich. Er leitet das Testmagazin "Children’s Technology Review" – den Ratgeber, den die meisten Lehrer, Bibliothekare und Eltern in den Vereinigten Staaten lesen, wenn sie erfahren wollen, welches Technik-Spielzeug Kindern Spaß macht und gut tut. Nun soll Buckleitner in Las Vegas, am Rande der Hightech-Show CES den Spielzeug-Machern erzählen, was sie besser machen können.

Eingeladen hat die gemeinnützige US-Organisation "Parents’ Choice", die Spielzeug und Medien für Kinder bewertet. Auf der in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindenden Konferenz "The Sandbox Summit" will die Organisation Experten über Qualitätsmaßstäbe für Spielzeug und Regeln zur Mediennutzung diskutieren lassen. Buckleitner hat zur Demonstration eine Kiste mit seinen liebsten Kinder-Gadgets aus den Tests des vorigen Jahres mitgebracht: Ein Plastik-Stab mit einem blauen Zyklopenauge an der Spitze liegt darin, viele bunte Kegel, ein paar CD-Roms und ein Kuscheltier.

Spielzeug-Tester: "Viele Produkte enttäuschen"

Als Buckleitner vor 23 Jahren für seine Abschlussarbeit Technik-Spielzeug für Kinder teste, sahen die Gadgets ganz anders aus: "Das meiste waren Programme für den Apple II, den C64, den Comodore PET oder Atari-Computer." Buckleitner erinnert sich an Titel wie "Stickybear ABC": "Da konnten Kindern sich am Computer zwei verschiedene animierte Sequenzen vorspielen lassen, sie mussten nur irgendetwas auf der Tastatur drücken." Buckleitners Testurteil damals: "Einfach zu bedienendes Programm mit wenig Inhalt und keinen direkten Verbindungen zwischen den gedrückten Buchstaben und dem Spielgeschehen."

Obwohl die Grafik, der Klang und das Zubehör bei Technik-Spielzeug heute viel weiter entwickelt sind, haben viele Produkte dieselben Macken wie "Stickybear ABC", urteilt Buckleitner: "Firmen drängen immer dahin, die Entwicklung von Kindern mittels Technik zu fördern, was oft bedeutet, ihnen Dinge beizubringen, die gar nicht altersgerecht sind. Das ist heute noch so. Und die Qualität der Umsetzung variiert." Das Fazit des Berufs-Spielers: "Die Eltern sind oft enttäuscht von der Leistung dieser Produkte – gerade angesichts ihrer Preise."

Bezahl-Countdown lässt Kinder weinen

Seinen Zuhörern in Las Vegas – die meisten verkaufen solches Technik-Spielzeug – führt Buckleitner zur Abschreckung ein Video vor: Ein sechs Jahre alter Junge spielt ein kostenloses Online-Game auf der Webseite eines US-Kindersenders. Plötzlich beginnt ein Countdown zu ticken – bald sind die 30 Kostenlos-Minuten abgelaufen, danach muss man zahlen.

Der Kleine weint, kann unter dem Zeitdruck nicht weiterspielen, heult auf, seine Mutter schaut ratlos, will ihn beruhigen. Aber ohne zu bezahlen, wird das wohl nicht klappen. Angesichts solcher Tricks fordert Warren Buckleitner einen Ethik-Kodex für die Hersteller von Technik-Spielzeug (siehe Kasten unten). Anbieter wie den Kuscheltier-Hersteller Webkinz lobt Buckleitner hingegen: Mit den Online-Plüschtieren dieses US-Hersteller kaufen sich Kinder den Zugang zu einer Online-Welt. Der gilt allerdings nur ein Jahr, dann muss ein neues Tier her. Das ist zwar auch nicht gerade die feine Art, aber immerhin transparent.

WARREN BUCKLEITNERS ETHIK-KODEX FÜR TECHNIK-SPIELZEUG

Saubere Forschung
Ohne valide, reliable und kontrollierte Forschungsergebnisse dürfen Unternehmen keine Versprechen darüber machen, dass ihr Technik-Spielzeug dem Lernen oder der Entwicklung des Kindes dient. Buckleitener erstellt zu diesem Thema einen Bericht für die US-Verbraucherschutzgruppe Consumers Union. Sein Fazit bis lang: "Die Qualität der Produkt variiert enorm, es werden viele überzogene Versprechen ohne empirische Belege gegeben."

Keine Schleichwerbung
Unternehmen sollen in ihre Angebote für Kinder nicht Informationen mit Marketing-Botschaften und Werbung vermischen. Ein Beispiel Buckleitners: In einer Online-Welt für Kinder können sie Freunden per Chatfenster Fragebögen schicken, wie man sie früher in Poesiealben fand. Darin taucht allerdings als eine vorgegebene Fragemöglichkeit auf, welche neuen Produkte des Herstellers sich die Befragten am meisten wünschen. "Böse", findet Buckleitner das.

Keine Bezahl-Tricks
"Beutet nicht müde, frustrierte Eltern aus", fordert Buckleitner von Spielzeug-Herstellern. Sie sollen "auf Tricks verzichten, um an das Geld von Eltern und Kindern zu kommen." Buckleitners Grundregel: "Jeder Dienst sollte Kinder so behandeln, wie die Produzenten ihr Kind behandelt sehen wollen."

Die Positiv-Beispiele holt Buckleitner aus seiner Spielekiste: das Mikroskop für den Fernseher, Online-Kuscheltiere, Renn-Spiele.

Günstiges, funktionierendes, intelligentes, spannendes Technik-Spielzeug – SPIEGEL ONLINE zeigt die Empfehlungen von Spielzeug-Tester Buckleitner.

Eyeclops – das Wohnzimmer-Mikroskop für den Fernseher 

Der Plastik-Stab mit dem blauen Zyklopenauge ist Buckleitners Spielekiste ist das Eyeclops-Mikroskop des US-Spielzeugherstellers Jakks Pacific. Buckleitner stöpselt den Stab in einen Fernseher auf der Bühne, hält sich das riesige Plastikauge an die Brust. Auf dem Fernsehschirm tauchen riesige, hellblaue, als Gitter angeordnete Abgründe auf – es sind die Fasern von Buckleitners Hemd.

Eyeclops vergrößert die Welt bis zu 200 Mal – Käfer, Haare, Zucker, Holz. Alles, was Kinder ins Wohnzimmer schleppen können. Buckleitner: "Das ist ein tolles Werkzeug, um die Welt zu entdecken. Das Gerät treibt Kinder an, draußen neue Entdeckungen zum Beobachten zu suchen." Auch beliebt: Mit dem Mikroskop-Auge die Barstoppeln auf dem Kinn des Vaters beobachten, wie ein Kind es in Buckleitners Mitschnitt eines Tests tut.
Eyeclops kostet 50 Dollar, in Deutschland kann man nur mit etwas Mühe ein Exemplar von einem Online-Händler aus England bestellen, was umgerechnet knapp 60 Euro kostet. Vielleicht findet der Hersteller einen deutschen Vertriebspartner, wenn im Herbst die EyeClops BioniCam erscheint. Das neue, in Las Vegas auf der CES angekündigte Mikroskop-Produkt soll die Welt bis zu 400 Mal vergrößern. Außerdem hat die neue BioniCam einen kleinen Bildschirm, damit Mikrokosmonauten nicht an den Fernseher gebunden sind.

Hyper Dash – das Computer-Rennspiel

Die fünf bunten, nummerierten Halbkugeln in Buckleitners Spielekoffer gehören zu "Hyper Dash", einem sehr günstigen (umgerechnet knapp 30 Euro) Spiel, das wie ein Computerspiel funktioniert, aber echte Bewegung verlangt: Die verschiedenen bunten Formen verstreut man im Zimmer (oder Garten).

In jeder davon steckt ein Funkchip. Gespielt wird mit einem Plastikstab, der wie eine Gummi-Saugglocke geformt ist. Dieser Pömpel ruft aus, welche Spielform als nächstes berührt werden muss und zählt dann die Zeit, in der die Kinder zum Ziel hechten. Mittels der Funkchips registriert der Hightech-Pömpel, wenn ein Spielstein berührt wird (siehe Video unten).

Der Pömpel kann die Kommandos auch als kleine Matheaufgaben kodieren, bei denen man die Nummer des Ziels ausrechnen muss, bevor man loshechtet. Buckleitner lobt die tolle Mischung aus "Spiel, Bewegung und Lernen." Leider ist "Hyper Dash" in Deutschland nicht erhältlich. Über britische Online-Shops kann man das Spiel zwar für umgerechnet gut 30 Euro kaufen – nur gibt es leider die Suchkommandos nur auf Englisch aus.

ArtRage – mit der Maus auf Leinwand malen

Zuletzt hat Buckleitner das Malprogramm "ArtRage" einer Software-Firma aus Neuseeland getestet: "Ein wunderbares Programm", schwärmt er. Nicht speziell für Kinder gemacht, aber für ältere durchaus geeignet. ArtRage bildet die Besonderheiten natürlicher Malwerkzeuge auf dem Computer nach: Leinwand, Farbroller, Pinsel, Kreide, Messer, Airbrush, Stifte und so weiter, und so weiter.

Die Progammversion mit der Grundausstattung an Malzubehör kann man kostenlos laden, die Ausgabe mit dem kompletten Werkzeugpaket kostet 25 Dollar – umgerechnet weniger als 20 Euro.

Das Programm folgt einer Grundregel, an die Buckleitner Eltern immer wieder erinnert: "Kindern wollen originäres Spielzeug haben" Etwas, das nur Erwachsenen-Gadgets nachahmt, sei kaum so attraktiv wie ein Original. Buckleitner: "Kinder lassen sich da nur selten täuschen."
 

 

 

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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