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Gegen den Code (Netzeitung , 2.1.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Gegen den Code

Zwischen Markt und Verfassung: Falsch verstandenes Urheberrecht und den Verbraucher behindernder elektronischer Code beschneiden unsere Freiheit, so Lawrence Lessig.

Netzeitung , 2.1.2002

Man will das neue Album Philip Boas auf dem CD-ROM-Laufwerk am Arbeitsplatz hören – aber das geht nicht. Man will die restaurierte US-Fassung von «Vertigo» sehen, und vor allem den in Deutschland nicht verfügbaren Kommentar des Produzenten Herbert Coleman hören – aber das geht nicht. Man will sich ein eBook mit Hilfe von Blindensoftware vorlesen lassen – aber das geht nicht. Schuld daran ist Code.

Code, das ist jede technologische Architektur, die indirekt ein bestimmtes Verbraucher-Verhalten fördert oder eben verhindert. Code nimmt als Kopierschutz bei CDs, als so genannter Regionalcode bei DVDs oder als Verschlüsselung bei eBooks dem Nutzer viele Freiheiten und gibt sie den kommerziellen Gestaltern, etwa den Elektronik- und Medienkonzernen

Der US-amerikanische Rechtsprofessor Lawrence Lessig, bei Open-Source-Anhängern und Industrie gleichermaßen angesehen, hat schon Ende 1999 aufgezeigt, dass das Internet und viele andere digitale Vertriebswege durch Code geprägt sind.

Nun ist Lessigs Buch «Code und andere Gesetze des Cyberspace» in Deutschland erschienen. Im Internet hat sich inzwischen viel verändert, doch man bemerkt: Vieles entwickelt sich so, wie Lessig es befürchtet hatte.

Code setzt partikulare Interessen bestimmter Unternehmen durch, insbesondere bei urheberrechtlich geschützten Produkten – und zwar hinsichtlich Verbraucherschutz auf problematische Art und Weise. Damit stehen Code und Recht im Wettbewerb.

Der Hacker Dimitry Sklyarov etwa wurde in den USA verhaftet, weil er die Verschlüsselung von eBooks des Unternehmens Adobe knackte. Dem US-Magazin «2600» wurde jüngst von höheren Instanzen bestätigt, dass es gegen das Gesetz verstößt, ein Programm zur Enkodierung von DVDs zu veröffentlichen.

Mit Lessig fragt man sich: warum? Natürlich kann Sklyarovs Leistung für illegale Zwecke instrumentalisiert werden, ebenso gut aber kann durch sie ein Blinder ein eBook lesen – was vollkommen legal ist.

Hier nun zeigt sich die Schwachstelle von Lessigs Analyse: Weil die Struktur des Internets nicht von Natur ist, plädiert er für eine staatliche Regulierung des Codes. Doch der Staat hat bisher keineswegs im Sinne der Freiheit reguliert. Was nicht verwundert, denn sein Handeln ist ebenso wenig von Natur wie der Code des Netzes.

So suchen denn die Konzerne Schutz vor dem Verbraucher im rechtsverbindlichen Raum. In den Vereinigten Staaten verbietet der «Digital Millenium Copyright Act» (DMCA) das Umgehen von Kopierschutz. Die Folge ist die Unangreifbarkeit des Codes. Auf Basis der DMCA wurde Sklyarov verhaftet und die Veröffentlichung von Programmen zur Entschlüsselung des DVD-Codes verhindert.

Warum die Interessen einiger weniger Unternehmen solchen Einfluss auf die Gewalten haben, ist schnell erklärt. Der weltweite Musikmarkt zum Beispiel wird von fünf multinationalen Unternehmen kontrolliert. Wenn ein junges, innovatives Unternehmen wie etwa MP3.com auf die Idee kommt, den Menschen überall da, wo es einen Netzzugang gibt, ihre CD-Sammlungen zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie eben Geräte mit sich umherschleppen müssen, dann wird dieses Unternehmen verhindert, noch bevor es mit der Lobbyarbeit beginnen und Gehör für seine Interessen finden kann. Oder dann eben geschluckt wie Napster von Bertelsmann.

Dies hat Lessig nun auch erkannt. In seinem jüngst in den USA erschienenen Buch «The Future of Ideas» – der Fortsetzung von «Code» gewissermaßen – fragt er zurecht, ob bestimmte Märkte heute angesichts der beherrschenden Stellung einiger Unternehmen überhaupt frei und damit offen für Innovationen sind. Der kartellrechtliche Aspekt scheint auf. Pikant dabei die Tatsache, dass sein Buch in den USA wie in Deutschland im Bertelsmann-Konzern verlegt wurde.

Der Staat allein ist nach Lessig dennoch nicht die Lösung. Er beruft sich immer wieder auf die Verfassung der USA. Sie verpflichtet, wie auch das deutsche Recht, Urheber dazu, das Kopieren und Zitieren für private und wissenschaftliche Nutzung zu ermöglichen, weil Innovation ein hoch geschätzter Wert ist. Übrigens auch in der Wirtschaft, hier sogar ein Produktionsfaktor.

Die EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft garantiert jenes Kopieren und Zitieren ebenfalls, allerdings mit Einschränkungen. Sie macht explizite Ausnahmen vom Vervielfältigungs- und Wiedergaberecht bei 15 Tatbeständen, die zum «fairen Gebrauch» gehören, der auch von Lessig ins Feld geführt wird. Allerdings steht die Übernahme dieser Ausnahmen den EU-Staaten frei, wenn sie die Richtlinie bis zum 22. Dezember 2002 in nationales Recht umsetzten.

Wie mühsam es aber ist, Werte wie die Meinungsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Markt und Verfassung dann auch noch international zu präzisieren, hat schon der Prozess in Frankreich gegen die US-amerikanischen Nazi-Auktionen bei Yahoo.com gezeigt.

Lawrence Lessig: Code und andere Gesetze des Cyberspace, Berlin Verlag, Berlin 2001, 493 S., Euro 22,50.

Lawrence Lessig: The Future of Ideas: The Fate of the Commons in a Connected World, Random House, New York 2001, 320 S., Euro 35.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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