Geheime Verführer (taz, 23.5.2000)
Geheime Verführer
PR und Journalismus wollten beim Journalistentag in München an ihrer Beziehung arbeiten, die Journalisten könnten allerdings gegenüber den PR-Experten in die Hinderhand geraten
taz, 23.5.2000
Statt den knapp 200 versammelten Public Relations Fachleuten und Journalisten lang und breit vom „Verständnis von Journalismus und PR“ zu erzählen, machte Susanne Knorre es einfach vor: Die Leiterin der Preussag Konzernkommunikation schwärmte vom Wandel zum Dienstleistungskonzern, den rechtlichen Rahmenbedingungen einer AG und merkte dann doch, dass das leicht am Thema der Tagung des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) vorbeiging.
Das konnte ihr aber selbst Vorredner Stephan Ruß-Mohl nicht übel nehmen. Schließlich ist für den Kommunikationswissenschafts-Professor an der FU Berlin ihr Job der „einer geheimen Verführerin“. Einer mit guten Erfolgsaussichten. Studien in den USA zufolge gehen etwa 75 Prozent der Artikel einer Tageszeitung in irgendeiner Form auf Pressemitteilungen oder -konferenzen zurück.
Für Ruß-Mohl eine logische Entwicklung: „Heute werden überall Redaktionen ausgedünnt und Recherchekapazitäten abgebaut.“ Die Redakteure greifen unter Zeitdruck da schon eher zur vorgefertigten Pressemiteilung als zur eigenen Idee. Erfahrene Journalisten wechseln oft ins PR-Geschäft, weil da einfach mehr Geld zu holen ist. Und freie Autoren verdienen sich häufig als Pressereferenten ein Zubrot zum kargen Zeitungslohn. In den USA ist die Zahl der Journalisten heute etwa gleichhoch wie 1990, die der PR-Experten stieg von 160000 auf 200000. „Das ist in fast allen EU-Staaten genauso“, bläst Ruß-Mohl Trübsal.
Der Wissenschaftler spricht von einer „parasitären“ Beziehung zwischen Presse und PR: Die PR braucht die Journalisten, um ihre Informationen über eine glaubwürdige Quelle zu vermitteln und stellt die dafür kostenlos zur Verfügung. Die Journalisten brauchen die fertig gestrickten Informationen und zahlen dafür mit Aufmerksamkeit. Ruß-Mohl kritisiert an dem Zustand vor allem, dass die Kriterien, nach denen Aufmerksamkeit verteilt wird, nicht offen liegen und dass wer sich professionelle PR nicht leisten kann, in der Öffentlichkeit kaum noch vorkommt.
Merkwürdigerweise sehen Journalisten selbst das gar nicht so kritisch. Für Sergej Lochthofen, Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“ ist – zumindest als Hypothese – klar, dass in seinem Blatt ein katholischer Bischof, der fürs Foto Billard spielt, öfters drin stände als ein evangelischer, der nichts sagt – auch wenn die übergroße Mehrheit der gläubigen Bevölkerung protestantisch ist. „Klar werden Redaktionen eher ab- als ausgebaut, aber wir haben doch eine gut funktionierende mentale Selektion.“ Davon ist auch Franz Smets, Leiter des bayerischen Landesbüro der Deutschen Presseagentur (dpa) überzeugt: „90 Prozent des bei uns von Pressestellen reinkommenden Materials wird nicht verwandt.“ Beide können sich vor Entspannung gegenüber ihren geheimen Verführern gar nicht einkriegen. Lochthofen: „Heute ist für Jugendliche reine Produktinformationen über Snowboards wertvoll und nicht Werbung, das ist einfach Realität.“ Und Smets sieht in „vernünftiger Pressearbeit eine Stärkung der Demokratie“.
Das stimmt natürlich, denkt man den hinterfragenden Journalisten, der sich Zusatzinformationen über eigene, unabhängige Kanäle verschafft, als Ergänzung dazu. Komischerweise hielt bei der DJV-Tagung neben dem Verbandsvorsitzenden Siegfried Weischenberg und Ruß-Mohl der Pressesprecher der Stadt Wilhelmshaven, Michael Konken, als einziger das Banner des kritischen Journalisten hoch. Er sieht keine Normalität im Verhältnis zwischen PR und Presse, sondern allein das „Verschwinden kritischer Frager“. Da musste Preussag-Sprecherin Knorre widersprechen: „Ein intensives Gespräch mit einem Pressesprecher hat doch auch was mit kritischer Recherche zu tun“.