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Gema-Streit: Darum geht es beim YouTube-Prozess (20.4.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Gema-Streit

Darum geht es beim YouTube-Prozess

Muss YouTube alle Videos vorab prüfen? Das Hamburger Landgericht entscheidet am Freitag über die Kontrollpflichten der Plattform – eine Grundsatzfrage. Geklagt hat die Gema. Deshalb entscheidet sich im Verfahren auch, ob Bewegung in den Lizenzstreit mit Google kommt.

Spiegel Online, 20.4.2012

{jumi [*3]}

Es geht ums Geld, um Verhandlungsmacht und nebenbei auch um die Frage, wie Betreiber deutscher Online-Angebote die Inhalte ihrer Nutzer kontrollieren müssen: Am Freitag entscheidet aller Wahrscheinlichkeit nach das Landgericht Hamburg, ob Googles Videoplattform YouTube der Verwertungsgesellschaft Gema garantieren muss, dass Musikclips von Gema-Mitgliedern auf gar keinen Fall wieder im Videoangebot auftauchen werden.

Die Gema fordert: YouTube soll verpflichtet werden, in Zukunft alle Versionen zwölf bestimmter Musikstücke zu sperren. Zumindest solange es keinen Vertrag mit der Gema gebe, der die Nutzung erlaube. Was das Gericht für diese zwölft Titel entscheidet, dürfte auch auf alle anderen Titel aus dem Gema-Repertoire übertragbar sind – ein Großteil der kommerziell verfügbaren Musikwerke.

Das Gericht muss entscheiden, wie YouTube mit den Uploads seiner Nutzer umzugehen hat – vorab alles prüfen? Das dürfte schwierig werden: Pro Minute laden Nutzer nach Angaben der Firma 60 Stunden neues Videomaterial hoch. Oder sollen Plattformbetreiber Videos, die Rechte verletzten, nur auf Hinweis der Rechteinhaber sperren? Gibt es einen dritten Weg?

Ist YouTube ein Inhalteanbieter?

Das deutsche Telemediengesetz (TMG) regelt solche Haftungsfragen, der Gesetzestext unterscheidet zwischen Inhalte- und Hosting-Anbietern. Letztere sind für Inhalte Dritter erst verantwortlich, sobald sie von rechtswidrigen Handlungen erfahren und dann nicht unverzüglich löschen oder sperren. YouTube sieht sich in dieser Rolle – man biete lediglich Speicherplatz für Videos und müsse daher nicht vorab prüfen und sperren.

Im TMG steht allerdings auch, dass Inhalteanbieter für “eigene Informationen” nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sind – sprich: Sie können verpflichtet werden, dass bestimmte Rechte nie wieder verletzt werden, sonst drohen Ordnungsgelder, Vertragstrafen, im schlimmsten Fall Haft. Die Gema ist der Ansicht, dass YouTube ein solcher Inhalteanbieter ist.

Welche Pflichten das Gericht YouTube auferlegt , ist für alle Online-Anbieter in Deutschland relevant. Es kann gut sein, dass das Landgericht YouTube zwar als Hosting-Dienst einstuft, dem Dienst dennoch Prüfpflichten auferlegt, die für Inhalteanbieter gelten. Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, was ein Hosting-Dienst zu tun hat, weil jedes Angebot anders ist, anders genutzt und vermarktet wird. Die YouTube-Entscheidung wird keine abschließenden Antworten für alle Plattformen liefern – einmal davon abgesehen, dass der Fall wegen seiner Bedeutung wohl in die nächste Instanz gehen wird.

Die Trennung in Hosting- und Inhalteanbieter wird zwar in aktuellen Urteilen vorgenommen, zuletzt wurden die Privilegien der Hostingprovider in konkreten Fällen jedoch aufgeweicht – sie müssen mehr prüfen:

  • Nutzervideos aus Sevenload sind keine eigenen Inhalte des Seitenbetreibers, urteilte das Hamburger Oberlandesgericht im September 2010, Sevenload müsse das jeweilige Video bei einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung unverzüglich sperren und dafür Vorsorge treffen, dass es nicht zu weiteren Rechtsverletzungen komme. (5 U 9/09)
  • Rapidshare ist kein neutraler Vermittler wie reine Hosting-Anbieter, aber auch nicht nur ein Unternehmen mit dem Geschäftsmodell “Verbreitung rechtswidriger Inhalte”, entschied im März das Hamburger Oberlandesgericht. Aus dieser differenzierten Einschätzung leitete das Gericht eine besondere Prüfpflicht für Rapidshare ab: Der Speicherplatzanbieter muss zwar nicht alle Uploads vorab überprüfen. Aber die Firma muss “einschlägige Linklisten auf die Verbreitung von Links auf urheberrechtlich geschützte Werke” bei Rapidshare überwachen, entsprechende Dateien löschen und versuchen, ähnliche Links zu erkennen. (5 U 87/09)
  • Der Europäische Gerichtshof hat im Februar 2012 entschieden, dass eine Pflicht zur Vorabprüfung auf Urheberrechtsverletzungen für das soziale Netzwerk Netlog nicht zulässig ist – es sei nur Diensteanbieter. (C-360/10)

Wie aufwendig muss YouTube prüfen?

Das Landgericht könnte YouTube also besondere Prüfpflichten auferlegen, auch wenn es die Plattform als Hosting-Dienst einordnet. Denkbar ist zum Beispiel, dass YouTube sein “Content ID”-System nutzen muss, um Musikclips zu identifizieren, deren Komponisten und Textautoren die Gema vertritt.

YouTubes Content-ID-System funktioniert so: Die Rechteinhaber laden Referenzdateien in eine Datenbank, geben an, welche Rechte sie daran halten und entscheiden, wie YouTube mit ähnlichen Uploads umgehen soll. Wird die Gema ihre Datenbank ans YouTube-System anpassen müssen? Oder muss YouTube von der Gema gelieferte Informationen in das System integrieren? Eine wichtige Frage im Hinblick auf Kosten dürfte sein, wer in welcher Form an diesem Prüfsystem mitarbeiten muss.

Wann YouTube damit aufhört, bestimmte Musikvideos in Deutschland zu sperren, wird das Hamburger Urteil wahrscheinlich nicht direkt beeinflussen. Nur wenn das Gericht YouTube eindeutig als Inhalteanbieter ausmacht, ist die Sache klar: Dann müssten Clips vorab geprüft werden – und YouTube wäre Gema-lizenzpflichtig. Und die Gema könnte von YouTube sogar rückwirkend Zahlungen für all die Videoabrufe seit April 2009 verlangen, weil damals YouTubes Gema-Vertrag auslief. Allerdings ist diese Variante wenig wahrscheinlich.

Die Gema will eine feste Abgabe je Videoabruf

Wenn das Gericht YouTube differenziert als besonderen Hosting-Anbieter einstuft, wird die Sache schwierig: Je nach Urteilsbegründung könnte es sein, dass die Gema für all die Zeit seit 2009 keinen Schadensersatz von YouTube geltend machen kann. Gema und YouTube könnten eine vorübergehende Einigung treffen. Die Bereitschaft dazu dürfte von der Einschätzung des Gerichts abhängen – bei der Gema ebenso wie bei YouTube. Google könnte jederzeit eine Gema-Lizenz für alle Musikwerke erwerben, die Gema ist dazu verpflichtet, jedem Interessenten entsprechende Verträge anzubieten.

Allerdings ist YouTube mit den von der Gema verlangen Konditionen nicht zufrieden. Die Gema will, dass YouTube für jeden Videoabruf einen festen Betrag zahlt. YouTube will lieber pauschal einen bestimmten Anteil seiner mit den Musikvideos erzielten Umsätze abführen. Die Gema fürchtet eine Verramschung, YouTube fürchtet Konditionen, die rein werbefinanzierte Geschäftsmodelle für Web-Musikvideos verhindern.

Das Landgericht entscheidet also darüber, wer beim Streit ums Geld den längeren Hebel hat.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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