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Gemüsemusik: So klingt die Karotten-Klarinette (Spiegel Online, 22.11.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Gemüsemusik

So klingt die Karotten-Klarinette

Gurken-Trompete, Kürbis-Trommel und Oboen aus Pestwurz: Im Web zeigen Musiker, wie man Bio-Instrumente baut und spielt. Ein Japaner brilliert am Rettich, das Wiener Gemüseorchester rockt vegetarisch – und nach dem Konzert gibt’s Suppe.

Spiegel Online, 22.11.2008

Junji Koyama ist ein ganz normaler japanischer Grundschullehrer: Der 45-Jährige aus dem Städtchen Setouchi liest gern Akira-Mangas, sieht im Fernsehen gern "CSI" und "Emergency Room", hört gern die Beatles und Pink Floyd und macht mit Frau und Tochter Musik. Dabei allerdings spielt er regelmäßig auf Karotten-Flöten und Brokkoli-Okarinas.


Seine selbstgeschnitzten Gemüse-Instrumente haben Koyama in Japan zum YouTube-Star gemacht: Sein Videoangebot selbstgefilmter Karotten- und Rettich-Soli ist einer der drei in Japan meistabonnierten YouTube-Kanäle seit Bestehen des Angebots.

In seinen kurzen Filmen spielt Koyama zum Beispiel Melodien auf dem Nintendo-Spiel "The Legend of Zelda" auf einer Möhren-Gefäßflöte (Okarina) nach oder Hänschen-Klein auf einer Oboe aus Pestwurz. Manchmal musiziert Koyama auch mit Familie: Seine Frau am Klavier, die Tochter singt und Koyama spielt dazu, "Stille Nacht". Auf einer Rettich-Querflöte zum Bespiel (siehe Video unten).

Sein erstes essbares Instrument baute Koyama vor drei Jahren. Im September 2005 arbeitete er im Rahmen einer Lehrer-Weiterbildung in dem Kinder-Freizeitpark "Omotya Oukoku" (in etwa: Spielzeug-Königreich), wo er den Auftrag bekam "etwas Angenehmes, Witziges für die Kinder zu schaffen". Koyama erzählt: "Ich hatte gehört, dass Menschen Gemüse-Instrumente machen, also versuchte ich mich an einer Möhren-Flöte. Mein erstes Instrument war eine Karotten-Panflöte."

Wie man die herstellt, zeigt Koyama in einer Videoanleitung. Er benutzt einen Bohrer (mit verstellbarer Umdrehungszahl, sonst wäre das Ganze hochgefährlich!), ein Teppichmesser und einen Meißel.

Die klein geheckselten Möhreninnereien isst Koyama nebenher mit etwas Mayonnaise. Den Klang der Möhren schätzt Koyama am meisten – doch auch "Rettich, Apfel und Brokkoli sind nicht zu verachten, die spiele ich auch regelmäßig".

Ab und an tritt Koyama in seiner Gemeinde auch live auf – im Tempel, im Kindergarten, zweimal sogar im Lokalfernsehen. Nach den Konzerten und Videodrehs werden Koyamas Instrumente wiederverwertet: "Meine Frau kocht aus den Instrumenten Currys oder Eintöpfe."

So spielt das Wiener Gemüseorchester

Lange bevor YouTube Gemüsemusik in alle Welt brachte, lange bevor es YouTube überhaupt gab, entstand in Wien das Gemüseorchester. Die elf Künstler, Designer und Musiker haben sich aus der Lust am Experimentieren mit neuen Instrumenten und Klängen zusammen auf Gemüse als Klangkörper gestürzt.

Zwei Alben hat das Gemüseorchester seitdem veröffentlicht, die Musiker geben im Jahr um die 25 Konzerte, (siehe Video oben) das nächste Anfang Dezember in Brüssel – mit Auberginen-Kastagnetten, Kürbis-Trommeln und ähnlichen Konstruktionen. Das klingt manchmal abstrakt, immer sehr eigen und passt ganz gut zu Kraftwerk.

Die Musiker bauen vor jedem Auftritt neue Instrumente – älteres Gemüse ist unzuverlässig. Das Rohmaterial kaufen sie auf dem Markt ("Supermarkt-Gemüse aus der Plastik-Packung klingt nicht gut"). Eine Möhren-Blockflöte schnitzen die Wiener inzwischen routiniert in 30 Minuten – die Möhren-Innereien werden dabei mit allen Abfallprodukten des Instrumentebaus zu Gemüsesuppe verarbeitet. Damit verköstigt das Orchester nach manchem Konzert das Publikum.

Eine Karotten-Klarinette aus Australien

Der australische Musiker Linsey Pollak spielt unter anderem Flöte, Klarinette und Gaida (eine Art Dudelsack aus Mazedonien) und konstruiert nebenbei eigene Instrumente wie den Gummihandschuh-Dudelsack oder Klarinetten aus Gießkannen – und Möhren (siehe Video unten).

Pollak hatte die Gemüse-Instrumente in eine seiner Shows eingebaut – mit "The Art of Food" tourte er drei Jahre lang um die Welt, als Küchenmager Ivan musizierte er mit Kochutensilien und Gemüse.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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