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Gezielte Werbung: Experten kritisieren Schnüffel-Passus von StudiVZ (Spiegel Online, 14.12.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Gezielte Werbung

Experten kritisieren Schnüffel-Passus von StudiVZ

Das Studentennetzwerk StuviVZ will seinen Nutzern personalisierte Werbung präsentieren – und ändert dafür die Geschäftsbedingungen. Wer nicht zustimmt, fliegt raus. Experten zweifeln an der Gesetzesmäßigkeit der Methode – man dürfe Nutzer nicht zur Selbstentblößung zwingen.

Spiegel Online 14.12.2007

Helle Aufregung in Deutschlands größter Online-Gemeinschaft. Das Studenten-Netzwerk StudiVZ will sich von seinen Mitgliedern personalisierte Werbung erlauben lassen (mehr…). Die neuen Regeln sorgen für Verwirrung: "Welt Online" spekuliert, dass StudiVZ womöglich Nutzerdaten an Dritte verkaufen will und FDP-Innenexpertin Gisela Piltz spricht von einem "Daten-Supergau".

StudiVZ-Sprecher Dirk Hensen hält im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE dagegen: "Für uns ist der Schutz der persönlichen Daten unserer Mitglieder das höchste Gut unserer Community – das bringen wir auch durch die neuen AGB und Datenschutzregelungen ganz klar zum Ausdruck."
Dort heißt es, dass StudiVZ auch nach den neuen AGB die Nutzerdaten nicht ohne zu fragen "an werbetreibende Unternehmen" weitergeben könne. Und: Es werde "bei StudiVZ niemals eine optionale Freigabe der Nutzerprofile an Dritte geben". StudiVZ-Pressesprecher Dirk Hensen sagt im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: "Es stimmt, dass wir unsere Mitglieder-AGB ändern. Es stimmt nicht, dass wir persönliche Daten verkaufen."

Konkret sollen nur diese Informationen genutzt werden: Alter, Geschlecht, Wohnort, Uni-Standort, Fachrichtung. Keiner der Werbekunden werde direkten Zugriff auf die Nutzerdaten haben – auch nicht in anonymisierter Form, versichert StudiVZ-Sprecher Hensen. Die an Mitglieder verschickten AGB-Änderungen stützen diese Aussage. Doch völlig eindeutig scheint das alles trotzdem nicht zu sein.
SPIEGEL ONLINE hat die neuen StudiVZ-Bestimmungen (fast 40.000 Zeichen Text) mehreren Rechtsanwälten vorgelegt, die sich auf Datenschutz und IT-Recht spezialisiert haben. Ergebnis: So eindeutig wie StudiVZ findet die Regeln niemand. Und dass Datenschutz in den neuen Geschäftsbedingungen als das höchste Gut hochgehalten wird, kann auch keiner der Rechtsanwälte erkennen.

SPIEGEL ONLINE dokumentiert die Bedenken der Datenschutz-Kenner

Direktmarketing als Einfallstor für den Datenhandel?

Zusammen mit den neuen Geschäftsbedingungen hat StudiVZ den Mitgliedern auch eine sogenannte "Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten" geschickt. Hier erlaubt der Nutzer StudiVZ die Analyse seiner Profil- und Nutzungsdaten, stimmt außerdem der Verwendung seiner Kontaktinformationen für Werbezwecke zu (siehe Kasten unten).

Diese "Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten" sieht Ulrich Fülbier, Anwalt IT- und Datenschutzrecht bei der Anwaltsfirma "Holme Roberts & Owen", als das größte Problem der neuen Datenschutz-Regeln beim Studenten-Netzwerk. Fülbier: "Wenn es das Unternehmen auf einen Weiterverkauf der Daten anlegt, dann soll aus meiner Sicht diese Ziffer das Einfallstor sein." Denn dort willigt der Nutzer ein, dass StudiVZ Nutzerdaten nutzt, um "gezielt personalisierte Werbung und/oder besondere Angebote und Services über das studiVZ-Netzwerk zu präsentieren bzw. präsentieren zu lassen."

Direktmarketing als Einfallstor für den Datenhandel?

Die Formulierung "zu lassen" fällt Anwalt Fülbier unangenehm auf: "Dieser letzte Halbsatz kann auch so gelesen und verstanden werden, dass eine Einwilligung auch zur Übersendung von Werbung direkt durch Dritte erteilt wird." Die Formulierung könnte zum Einfallstor für die Datenweitergabe werden. Denn, so Fülbier: "Wird hier zugestimmt, so könnte StudiVZ argumentieren, dann muss die Einwilligung zur Weitergabe der Daten an diese Dritte zwangsläufig mit umfasst sein."

Sollte aber StudiVZ diesen Umweg ausnutzen wollen, dürfte die Regelung unwirksam werden. Fülbier: "Wenn es zu einem solchen Fall käme, so würde ich darin einen Verstoß gegen AGB-Recht sehen." Die Einwilligungserklärung müsse als allgemeine Geschäftsbedingung eingeordnet werden. Und bei Geschäftsbedingungen gehen Unklarheiten oder Zweifel über die Auslegung zu Lasten der Betreiber.

Im siebten Absatz seiner neuen allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) lässt sich StudiVZ erlauben, Bestands- und Nutzungsdaten an Dritte weiterzugeben. Der Abschnitt ist ein Musterbeispiel für langatmiges, vages und überkompliziertes Juristendeutsch (Volltext siehe Kasten unten). Die von SPIEGEL ONLINE befragten Rechts-Experten schätzen den Abschnitt unterschiedlich ein – vorteilhaft für die StudiVZ-Mitglieder ist allerdings keine der Interpretationen.

Der Kölner Anwalt Rolf Becker geht mit seiner Auslegung am weitesten: "Dieser Abschnitt kann als Erlaubnis an StudiVZ interpretiert werden, die Nutzerdaten an Dritte zu verkaufen. Diese Auslegung erlaubt der letzte Satz. Da ist von den erlaubten Fällen die Rede – Plural. Diese Formulierung kann man auf den ersten, sehr allgemeinen Satz des Abschnitts beziehen. Dort steht, dass man einwilligt, dass StudiVZ Bestands- und Nutzungsdaten an Dritte weitergibt."

Becker weiter: "Das ist dort nicht auf die Strafverfolgung beschränkt. Sprich: Die Weitergabe wäre in allen Fällen möglich – auch in solchen, die der Datenschutz nicht erlaubt. Denn im letzten Abschnitt steht ja, dass die Übermittlung an Dritte auch in den Fällen gestattet wird, die nicht sowieso schon durch Gesetze oder Urteile gedeckt ist."

Becker räumt ein, dass das eine extreme Interpretation ist, die womöglich von StudiVZ so nicht beabsichtigt gewesen sein mag. Aber: "Weil der Text diese Interpretation ermöglicht, halte ich diesen Abschnitt der AGB für unwirksam."

Auch Rechtsanwalt Sascha Kremer, Lehrbeauftragter für IT-Recht an der Uni Düsseldorf, findet diesen Absatz bedenklich. Er sieht hier aber nicht den Verkauf der Nutzerdaten an Werbetreibende als Hintergrund – ebenso wenig wie die übrigen von SPIEGEL ONLINE befragten Experten.

Kremer vermutet hingegen: "Dieser Gummiparagraph soll StudiVZ Ärger mit Staatsanwälten und vielleicht auch mit Copyright-Inhabern abnehmen." Der Anwalt führt aus: "Ich glaube, hier geht es darum, auch ohne gerichtlichen Beschluss Staatsanwälten und der Musikindustrie, die Copyright-Sünder jagt, Nutzerdaten geben zu können." Auch Kremer hält diesen Abschnitt für unwirksam. Denn: "Nirgends steht, wann und wem genau StudiVZ Nutzungs- und Profildaten weitergibt."

Zwangszustimmung zur Total-Personalisierung

Dieses Vorgehen von StudiVZ beurteilen alle von SPIEGEL ONLINE befragten Experten als bedenklich: der Nutzer muss zwischen dem 20. 12. und 9. 1. 2008 ja den neuen Regeln und damit auch der Nutzung seiner Daten zu Werbezwecken zustimmen. Zurücknehmen kann er diese Einwilligung erst in einem zweiten Schritt.

Der Münchner Anwalt Arne Trautmann hält diesen Ansatz für problematisch: "Man muss pauschal zustimmen, um den Dienst weiter zu nutzen und kann erst danach diese Erlaubnis wieder zurücknehmen. Das widerspricht meiner Ansicht nach dem Telemediengesetz."

Denn in Paragraph 12 des Telemediengesetzes steht:

DATENSCHUTZ: TELEMEDIENGESETZ, PARAGRAPH 12, ABSCHNITT 3
"Der Diensteanbieter darf die Bereitstellung von Telemedien nicht von der Einwilligung des Nutzers in eine Verwendung seiner Daten für andere Zwecke abhängig machen, wenn dem Nutzer ein anderer Zugang zu diesen Telemedien nicht oder in nicht zumutbarer Weise möglich ist."

Bisher konnte man StudiVZ ja problemlos nutzen – ohne dass man seine persönlichen Daten so massiv herausrücken musste. Warum also sollte das jetzt nicht mehr möglich sein?

Deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Zustimmungszwangs hat auch Anwalt Sascha Kremer: "Wer nicht zustimmt, wird von seinem für alle anderen Nutzer weiterhin zugänglichen Profil abgeschnitten und jeder Änderungsmöglichkeit beraubt – so geht das nicht."

Durch dieses Vorgehen verstößt StudiVZ womöglich auch gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Falls Nutzer, die bis zum 9. 1. nicht zustimmen, dann tatsächlich nicht mehr auf ihr StudiVZ-Profil zugreifen können, verletzt StudiVZ einen Grundsatz dieses Gesetzes.

Anwalt Ulrich Fülbier verweist auf den ersten Absatz des Paragraphen 4a des Gesetzes: "Demnach ist eine Einwilligung nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Daran fehlt es jedoch, wenn die eigene Leistungen an die Bereitschaft der Betroffenen geknüpft wird, in die Verwendung bestimmter sie betreffender Daten einzuwilligen."

Im Klartext: So einfach kann man in Deutschland Nutzer nicht zur Selbstentblößung zwingen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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