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Google-Lexikon Knol: Mein Wissen für alle (Spiegel Online, 24.7.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Google-Lexikon Knol

Mein Wissen für alle

Es muss nicht immer Wikipedia sein. Google startet seine neue Wissensdatenbank Knol, die ganz anders funktioniert: subjektiv statt objektiv, kommerziell, die Autoren bekommen sogar Geld. Zur Premiere gibt es interessante Einsichten – über verstopfte Toiletten zum Beispiel.

Spiegel Online, 24.7.2008

Von einem "Angriff auf Wikipedia" haben viele geschrieben. Von einer
kommerziellen Konkurrenz zum Riesenlexikon der Web-2.0-Welt. Von einem
potentiellen Killer für das unabhängige Angebot.

Und dann das: Auf der Startseite von Googles neuem Wissensportal
Knol stehen gut 50 Artikel. Als wichtigste sind ganz oben ein paar
Anleitungen plaziert:

  • Verstopfte Toiletten – Lösungen für die häufigsten Probleme.
  • Zahnschmerzen – Zahnschmerz wird in der Regel als stechender oder anhaltender Schmerz in oder um einen Zahn herum wahrgenommen.
  • Wie man
    Rucksacktouren macht – von Anfang an.

Die englischsprachige Wikipedia präsentiert zur selben Zeit auf
ihrer Startseite mehr als 200 Beiträge mit aktuellem Bezug – Artikel
über Radovan Karadzic, Guantanamo und die "Operation Gomorrha", die
Bombardierung Hamburgs, die vor 65 Jahren begann.

Google Knol liefert dazu nichts.

Was ist also dran am vermeintlichen Wiki-Killer?

Knol schmeichelt der Autoren-Eitelkeit

Vor allem zeigt der offensichtliche Kontrast zwischen Knol und
Wikipedia vor allem eines – dass die Interpretation falsch ist, Google
wolle mit seinem neuen Angebot die Internet-Enzyklopädie angreifen.
Knol taugt nicht zum Wikipedia-Konkurrenten. Es ist eine Ergänzung.

Die Unterschiede zwischen
beiden Plattformen sind groß. Schon der Aufbau der Internet-Adressen
ist ganz anders: Ein Artikel zu Typ-1-Diabetes wird bei Knol unter knol.google.com/k/anne-peters/type-1-diabetes abgelegt – bei Wikipedia unter
wiki/Diabetes_mellitus_type_1.
Sprich: Bei Googles Wissensportal kommt erst mal der Autor. Es gibt
nicht einen allgemeinverbindlichen Artikel zu einem Thema. Sondern den
von Anne Peters – und theoretisch auch noch einen von jedem anderem
Knol-Benutzer.

Knol ermuntert Autoren, Beiträge zu Themen zu schreiben, die schon
bearbeitet worden sind. In der Anleitung für Einsteiger schreiben die
Macher, man verstehe das Projekt als "Forum, das individuelle Stimmen
und Sichtweisen zu Themen fördern soll".

Anders als Wikipedia hat Knol Platz für alle und fast alles

Interessantes Detail: Autoren entscheiden selbst, ob andere
Knol-Mitglieder ihre Artikel bearbeiten dürfen. Die Anleitung
verspricht, niemand könne in Knol "redigieren, solange Sie es nicht
erlauben, oder Ihnen vorschreiben, wie sie über ein Thema zu schreiben
haben".

Das klingt nach einem Paradies für Freizeitschreiber, die sich nach
etwas Anerkennung sehen, aber keine Lust auf die Redigierkriege ("edit
wars") wie auf Wikipedia haben. Dort wird der Platz für neue Texte und
neue Autoren knapp. Denn es gibt ja zu einem Thema immer nur einen
allumfassenden, abschließenden Artikel, an dem viele Autoren
mitschreiben, feilen – und immer häufiger in Streit geraten.

Je
weniger Themen auf Wikipedia fehlen, desto stärker rücken die
bestehenden Artikel ins Zentrum des Interesses – und desto heftiger
werden sie debattiert, ergänzt, überarbeitet.

Die am intensivsten redigierten Wikipedia-Beiträge der vergangenen Tage, Wochen und Monate dokumentiert das Werkzeug
Wikirage. Ein Blick in diese
Top 100
und die Redigierprotokolle der entsprechenden Wikipedia-Artikel zeigt:
Die Veränderungen an vorhandenen Artikeln gehen mit Debatten über
winzige Details, minutiöser Recherche und ausgefeilten
Argumentationsketten einher.

Natürlich gibt es auch manch erbitterten Streit zwischen Experten
und ahnungslosen Besserwissern. Oder einfach zwischen Menschen, die
unterschiedliche Ansichten zu einem Thema haben. Denn nicht immer ist
eine heikle Frage auf ein Ja oder Nein zu reduzieren, auf einfach zu
recherchierende Fakten.

Bei Knol können solche Debatten nicht entbrennen. Neulinge haben
viel Platz, um eigene Artikel unter ihrem Namen mit ihrem Foto zu
veröffentlichen. Das erinnert an die anfängliche "Jeder kann
mitmachen"-Stimmung bei Wikipedia, als viele Themenfelder ganz frisch
zu beackern waren.

Google belohnt Knol-Autoren mit
Werbeeinnahmen

Statt Autoren mit Adminstratoren, Moderatoren, Löschorgien und
ellenlangen Schreibvorschriften einzuschüchtern, will Knol Autoren
schmeicheln. Entwickler Udi Manber nennt das im Gespräch mit " Wired"
den wesentlichen Unterschied zu Wikipedia: "Ein Artikel wird von einer
Person geschrieben. Es ist eine Meinung – und Sie wissen, wer diese
Person ist und woher sie kommt."

Bei Knol können Autoren sich über eine Identitätsprüfung adeln
lassen. Wer seine Identität von Google per Telefonping oder
Kreditkarten-Check prüfen lässt, bekommt ein schickes grünes
"Verifiziert"-Abzeichen unters Profilfoto gepappt.

Diese Eitelkeitsanreize bei Knol erinnern an Artikelportale wie
Suite101 oder
About.com. Ähnlich
wie diese Seiten beteiligt Knol die Autoren an den Werbeeinnahmen, die
über Anzeigen in ihrem Artikel erzielt werden. Trotzdem lässt sich Knol
mit diesen Portalen ebenso wenig gleichsetzen wie mit Wikipedia. Denn
bei Knol kann jeder mitschreiben. Bei Suite101 müssen Autoren sich
bewerben.

Außerdem stellt Knol es den Schreibern frei, ob sie Anzeigen in ihre
Artikel plaziert haben wollen. Bei jedem Artikel darf man außerdem
entscheiden, ob man eine Weiterverwendung durch andere Internet-Nutzer
unter einer "Creative Commons"- Lizenz erlauben möchte, ob nur unter Autorenangabe, allein auf nicht-kommerziellen oder auf allen Seiten.

Knol spürt Plagiate auf

Das Knol-Konzept ist eine interessante Mischung aus Wikipedia, Blogs
und Portalen wie Suite101. Meinung ist erlaubt und erwünscht. Wer
schreiben will, dass Dostojewskis "Idiot" ein unerträgliches Werk ist,
kann das bei Knol tun. Wer das bei Wikipedia versucht, wird nach ein
paar Minuten garantiert mit Löschung der entsprechenden Passagen
bestraft.

Abgesehen davon – Knol sieht gut aus. Beim Anlegen und Bearbeiten
von Artikeln erinnert die Benutzeroberfläche an eine Mischung aus
Blog-Software wie WordPress und Googles Online-Office Docs.

Dazu kommen kleine, schicke Zusatzfunktionen. So gleicht Knol zum
Beispiel den Text von Artikeln mit anderen Dokumenten im Internet ab
und liefern eine prozentuale Schätzung für die Übereinstimmung mit den
ähnlichsten Seiten. Das funktioniert erstaunlich gut – und liefert in
einigen Fällen interessante Links zu Plagiaten.

In der Knol-Anleitung zum Reinigen verstopfter Toiletten gibt Google
als "Similar Content on the Web" zum Beispiel einen Link zum
Online-Angebot des "Family Handyman Magazine" an – dessen Redaktion hat
den Beitrag als Zweitverwertung auf Knol eingestellt. Aber es wird eben
auch auf eine chinesische Seite hingewiesen, auf der derselbe Text
steht. Ohne Hinweis auf Knol, das "Family Handyman Magazine" oder
überhaupt eine Angabe zum Verfasser.

Ob die schicke Oberfläche und die vielen Schmeicheleien für
potentielle Autoren Knol Erfolg bringen, ist offen. Fest steht: Einen
Eintrag zu Wikipedia gibt es bei Knol bisher nicht.

Aber der Eintrag zu Knol in der englischsprachigen Wikipedia ist laut Wikirage derzeit auf Platz 14 der
meistbearbeiteten Beiträge überhaupt. 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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