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Alptraum-Trip ins Zombieland

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen
Alptraum-Trip ins Zombieland

Keine Polizei, kaum Lebensmittel, aber Horden von Untoten – das Adventure “Walking Dead” versetzt den Spieler mitten in eine Zombie-Apokalypse. Um den Alptraum zu überleben, muss man tricksen, lügen und Rätsel lösen. Ein spannendes, aber auch beunruhigendes Erlebnis.

Spiegel Online, 15.8.2012

Hätte ich Shawn retten können? Hätte er überlebt, wenn ich zu ihm gelaufen wäre, den jungen Mann vor den angreifenden Zombies beschützt hätte? Ich habe mich anders entschieden. Ich habe Shawns Hilferufe ignoriert, bin stattdessen zu dem Kind gelaufen, das ein paar Meter weiter attackiert wurde. Ich habe den kleinen Duck gerettet und musste sehen und hören, wie Untote Shawn verspeisten.

Einen Menschen gerettet, einen im Stich gelassen – hätte ich anders handeln sollen? Das fragt man sich immer wieder bei “Walking Dead”, einem auf fünf Episoden angelegten Adventure-Spiel für Xbox, Playstation, PC, Mac und einige i-Geräte. Die Reihe basiert auf den Comics von Robert Kirkman, seit zwei Jahren gibt es eine gleichnamige Fernsehserie, die in Deutschland beim Fox Channel ausgestrahlt wird. Die beiden ersten Folgen sind bereits erschienen, die dritte wird bis Ende August veröffentlicht, die Macher haben bereits mehr als eine Million Downloads verkauft.

“Walking Dead” ist ein außergewöhnliches Spiel, ein klassisches Grafik-Adventure, in dem man Gegenstände sammelt, Dialoge durchklickt, Rätsel löst und so einer Erzählung folgt. Die große Zeit solcher Spiele sei vorbei, heißt es seit langem. Doch “Walking Dead” zeigt, wie stark ein gut gemachtes Spiel dieses Genres auch heute wirken kann.

Sterbehilfe für Zombie-Opfer

Das liegt vor allem an der dichten Atmosphäre. Die Handlung geht einem nahe, wieder und wieder spielt man die Ereignisse und Entscheidungen durch. War es richtig, der jungen Irene die Waffe zu geben, mit der sie sich erschoss? Sie bat darum, sie sagte, sie sei von einem Untoten gebissen worden, flehte, sie wolle die Verwandlung nicht miterleben, lieber selbst ein Ende machen, bevor es so weit sei. Aber war es mir nicht ganz recht, dass sich das Problem so löst, dass ich sie nicht versorgen muss, dass ich kein Risiko eingehen muss?

Beim nicht minder brutalen, mit einem ungleich größeren Budget produzierten Shooter “Max Payne 3″ waren solche Gefühlsanwandlungen gänzlich unbekannt. Das liegt daran, dass die Dramaturgie bei “Walking Dead” nicht nur der Spiellogik folgt. Bei “Max Payne 3” spielt man immer dasselbe Muster, mit kleinen Variationen: In jedem Level warten neue Gegner, Raum für Raum kämpft man sich durch, gegen immer mehr, immer besser bewaffnete Namenlose. In den beiden bisher erschienenen Episoden von “Walking Dead” entwickelt man eine Geschichte, spricht mit verängstigten Überlebenden, überlegt, wem man was erzählt, aus welchen Konflikten man sich heraushält, wen man beim Streit um Vorräte unterstützt.

Man muss lügen in “Walking Dead”, oder sich zumindest geschickt davor drücken, die Wahrheit sagen zu müssen. Denn die Figur, die man spielt, hat keine besonders vertrauenserweckende Vergangenheit. Wer stellt sich schon verängstigten Fremden gleich als verurteilter Mörder vor? Denn das ist Geschichtsprofessor Lee Everett, die Spielfigur. Zu Beginn sitzt er auf der Rückbank eines Polizeiwagens, auf dem Weg ins Gefängnis. Er soll den Liebhaber seiner Frau getötet haben. Was wirklich geschehen ist, wird in den ersten Episoden nicht klar. Polizeiwagen rasen auf der Autobahn vorbei in Richtung Stadt, etwas ist passiert.

Und dann steht da ein Untoter auf der Autobahn, der Fahrer ist für einen Moment abgelenkt, er reißt das Steuer herum, der Wagen stürzt von der Straße. Als Lee aus der Ohnmacht erwacht, muss er sich gegen die ersten Zombies wehren. Er flieht durch den Wald, trifft in einem verwüsteten Wohnviertel auf ein verlassenes, kleines Mädchen, Clementine. Sie hat sich in ihrem Baumhaus versteckt, die Zombies haben die Babysitterin getötet.

Wie es zu der Katastrophe kam, was so viele Menschen zu Untoten gemacht hat – mit diesen Fragen halten sich die ersten beiden Episoden von “Walking Dead” nicht auf. Es geht nicht um die Untoten, sondern um die Überlebenden. Wie handeln Menschen, wenn die Infrastruktur zusammenbricht, jeder das Gesetz und die Versorgung mit Lebensmitteln in die eigene Hand nehmen muss? Lee entscheidet sich, für Clementine zu sorgen. Er zieht mit dem Mädchen weiter, auf der Suche nach ihren und nach seinen Eltern.

Etwa drei Stunden Spielzeit je Episode

Die Entwickler ergänzen die klassische Adventure-Mechanik (Gegenstände suchen, kombinieren, Rätsel lösen) um einige neue Elemente, die den Spieler die Atmosphäre sehr intensiv erleben lassen. So hat man im Gespräch mit anderen nur wenige Sekunden, um sich für eine von vier möglichen Antworten zu entscheiden. Ein Zeitbalken läuft, wer nicht wählt, antwortet zufällig. Statt lange zu überlegen, wie welche Aussage nun wirken könnte, muss man schnell, manchmal intuitiv entscheiden. Und man verplappert sich. Die englischsprachigen Dialoge sind sehr gut geschrieben und von überzeugenden Schauspielern eingesprochen, man hat auch nach dem Spielen Lees tiefe Stimme im Kopf.

Die Rätsel sind erfreulich logisch, man muss nicht jeden Schauplatz Pixel für Pixel nach möglichen Hilfsmitteln absuchen (mit Ausnahme eines zu gut versteckten Kissens) wie in einigen der schlechteren Grafik-Adventures der Vergangenheit. In “Walking Dead” tricksen die Designer den Spieler nicht aus, sie erzählen lieber. Mancher mag das Spiel zu einfach finden, aber der Rhythmus passt zur Erzählung, das ist das Wichtigste.

Die ersten zwei Episoden sind in jeweils ungefähr drei Stunden durchgespielt. Bei diesem Umfang dürfte es das gesamte Spiel auf 15 Stunden Spielzeit bringen – nicht schlecht für 25 Euro, denn es sind sehr intensive Stunden.

Gelegentlich bricht eine Action-Sequenz über den Spieler herein. Statt des selbstbestimmten Tempos beim Erkunden und Probieren kommt es in diesen Kampfszenen auf Sekunden an, man muss um sein Leben treten, stechen, schlagen, hacken. “Walking Dead” zeigt Gewalt, man sieht Beinstümpfe und eingeschlagene Schädel. Aber diese Gewalt ist nicht als Unterhaltung inszeniert, sie wirkt beängstigend und abstoßend. Man ist froh, wenn in “Walking Dead” das Töten vorbei ist.

“The Walking Dead”, Telltale Games, Episodenpreise

  • Xbox Download, 400 Microsoft Points, circa 4,80 Euro je Episode (getestete Version)

“The Walking Dead”, Telltale Games, Komplettpreis für alle fünf Episoden

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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