HDR-Videos: Fotografen zaubern erste Hochkontrast-Clips (Spiegel Online, 29.9.2010)
HDR-Videos
Fotografen zaubern erste Hochkontrast-Clips
Solche Videobilder sind selten: Ein Stadtpanorama beeindruckt mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten, aber überall sind noch feinste Details zu erkennen – die Schatten sind nicht völlig schwarz und die Sonnenstellen nicht völlig weiß. Möglich macht das HDR-Technik.
Spiegel Online, 29.9.2010
{jumi [*3]}
Die Sonne scheint zwischen dank Zeitraffer sehr schnell vorbeihuschenden Wolken auf eine Straße der walisischen Hauptstadt Cardiff herab, das Spiel von Licht und Schatten kann man in enormer Detailfülle bewundern. Der Schwarzweißfilm zeigt die Struktur der Wolken, des Asphalts und aller Gebäude – egal, ob gerade Licht auf sie fällt oder sie völlig im Schatten liegen. Die Bewegung der Wolken spiegelt sich in dem Spiel der feinen Helligkeitsabstufungen auf einer Hochhausfront am Bildrand wieder.
Normalerweise wäre bei einem Film mit einer so großen Bandbreite zwischen den sehr hellen und dunklen Flächen nur in einem Teil der Aufnahme so ein Detailreichtum zu erkennen – entweder ist ein Teil der Aufnahme zu hell und der Rest korrekt belichtet, oder aber man sieht in den Schattenflächen viele Details, hat aber dafür weniger Zeichnung in den helleren Teilen der Aufnahme.
Die 57-sekündige Aufnahme der walisischen Hauptstadt sieht so anders aus, weil hier ein Fotograf aus 1400 Fotos einen Clip zusammengestellt hat. Aus 1400 HDR-Aufnahmen, um genau zu sein. Solche Aufnahmen mit hohem Dynamikumfang (high dynamic range) nutzen Fotografen schon seit Jahren als Gestaltungsmittel.
HDR-Aufnahmen errechnet eine Software meist aus zwei oder drei Fotos desselben Objekts, die mit unterschiedlicher Belichtung (zu hell, zu dunkel, korrekt) geschossen wurden. Fotografen arbeiten bei solchen Belichtungsreihen mit einem Stativ oder legen die Kamera auf festen Untergrund. Es ist auch möglich, HDR-Aufnahmen aus nur einem Foto zu errechnen, das die Kamera in einem sogenannten Rohdatenformat speichert. Solche Rohdateien erhalten erheblich mehr Bildinformationen als schon in der Kamera komprimierte JPG-Dateien.
Die Idee für sein Hochkontrast-Video Cardiffs hatte Fotograf Rees, als er eine HDR-Aufnahme dieser Straßenszene erstellte: “Als ich sah, wie viele Details in den dunklen Bereichen der Straße zu sehen sind, habe ich mich entschieden, viele Aufnahmen für ein Video zu bearbeiten, so dass alle Bildbereiche mit dieser Detailfülle zu sehen sind.”
Für die 57 Sekunden Video hat Rees mit einer Spiegelreflexkamera vom Stativ aus per Fernbedienung alle zweieinhalb Sekunden jeweils zwei Fotos aufgenommen. Mit der HDR-Software Photomatix kombiniert Rees dann jedes Bildpaar zu einem Foto mit höherem Kontrastumfang und bearbeitet die Aufnahme dann mit Photomatix. Zuletzt reduziert er den Tonwertumfang, damit die Aufnahmen auf Bildschirmen wirken können – im HDR-Jargon heißt dieser Bearbeitungsschritt Tonemapping.
Sind die Bearbeitungsschritte einmal festgelegt, lässt sich die Anwendung derselben Einstellungen auf die übrigen Dateien per Skript automatisieren – Rees experimentiert mit einer Aufnahme, und wenn ihn das Ergebnis überzeugt, muss er bei den übrigen 700 Aufnahmen nicht erneut alle Einzelschritte durchklicken. Zu einem Video mit 10 Bildern je Sekunde fügt er die bearbeiteten Fotos dann in Quicktime zusammen.
Wie Rees beginnen viele Fotografen mit Videoexperimenten. HDR-Fotografie ist inzwischen so weit verbreitet, dass sogar das iPhone diesen Trick nutzt, um Aufnahmen mit leicht erhöhtem Kontrastumfang zu produzieren. Rees’ Methode ist nicht besonders überraschend, wenn auch unorthodox. Seine Filme haben im Web viel Aufmerksamkeit gewonnen, weil die Bildbearbeitung so gut gelungen ist. Nicht jede HDR-Aufnahme sieht gut aus – oft verunstalten Menschen ihre Aufnahmen zu knalligen, bonbonfarbenen Karikaturen einer Fotografie. Interessant und stimmig wirken HDR-Aufnahmen, wenn der Schöpfer bewusste eine Bearbeitungsmethode wählt, die zum Motiv passt und sich mit Effekten um der Effekte willen zurückhält. Das gelingt Rees sehr gut. Die Schwarzweiß-Videos heben das Spiel von Licht und Schatten auf der Straße und den Gebäuden hervor – man sieht die Wolkenschatten über die trostlose Stadtlandschaft ziehen.
Ein ähnliches Motiv haben die Filmemacher der Produktionsfirma Soviet Montage aus San Francisco für ihr HDR-Video gewählt: Sie zeigen ihre Heimatstadt in Farben, die man so noch nicht gesehen hat. Ein wenig erinnert diese Optik an Science-Fiction-Filme wie “Minority Report”. Die Schöpfer haben mit zwei Kameras mit unterschiedlicher Belichtung gefilmt – eine leicht über, die andere leicht unterbelichtet. Viel mehr verraten sie über ihre Technik noch nicht.
Diese ersten Experimente zeigen, wie sich der Videomarkt entwickeln könnte: Begeisterte Fotografen kaufen heute schon Kameras, die nicht nur fotografieren, sondern auch immer besser filmen können. Da ist es folgerichtig, dass sie bei den Videoaufnahmen denselben Gestaltungs- und Bearbeitungsspielraum erwarten, wie man ihn heute bei Fotos hat. Das ist eine gut Nachricht für Kamerahersteller. Denn Kameras, die HDR-Videos drehen können, werden Daten erheblich schneller verarbeiten müssen als die Geräte heute.