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Helden in Karohemden (Die Zeit 7.12.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Helden in Karohemden

Digitale Technik macht's möglich: "Star Wars"-Fans entwickeln die Saga auf eigene Faust weiter

Die Zeit 7.12.2000

Sie haben die Macht. Etwas von jener übersinnlichen Kraft, dank der in George Lucas' Science-Fiction-Epos Star Wars durch eine Handbewegung Steine, Androiden und ganze Raumschiffe schweben, ist in unsere Welt herübergeschwappt. Nach Pennsylvania zum Beispiel. Für nur 300 Dollar haben dort ein paar Star Wars-Fans einen knapp vierminütigen Film gedreht. Mit allem, was auch Lucas' letztes, 115 Millionen Dollar teures Spektakel aufbot: Lichtschwertern, Raumgleitern und Laserpistolen. Rechenkraft ist so billig geworden, dass sich recht solide Spezialeffekte heute auch auf gewöhnlichen Heimcomputern zaubern lassen. Und über das Internet erreichen die so erzeugten Hobbyfilme ein potenzielles Millionenpublikum. Fan Wars ist einer von fast 50 Kurzfilmen, die kostenlos auf den Seiten der Fangemeinschaft theforce.net zu sehen sind. "Vor fünf Jahren war diese Szene so nicht möglich", betont Regisseur Josh Rubinstein.

Die Geschichte von Fan Wars ist schnell erzählt: Szene für Szene dem Trailer zu Star Wars – Episode I nachgestellt, erzählt Rubinstein, wie eine Gruppe von Fans sich aufmacht, ein Kino zu stürmen, um an eigentlich ausgebuchte Premierenplätze beim neuen Lucas-Film zu kommen. Nur sind diese Fans mit Weltraumwaffen ausgestattet. Heldenhaft verteidigt eine andere Gruppe den Kinosaal. Sosehr man dem Stück auch ansieht, dass es mit einer billigen Kamera aufgezeichnet wurde, so viel erzählen die wenigen Minuten über die Zukunft des Films. "Mit ein wenig Geld und viel Arbeit kann heute jeder Fan-Film professionell aussehen", sagt Rubinstein. Computerkids in ausgewaschenen Jeansjacken und Karohemden werden zu Filmhelden. Die digitale Demokratisierung, die vor einigen Jahren erst die Schöpfung eigener Druckerzeugnisse und dann die Umwandlung des Wohnzimmers in ein Tonstudio ermöglichte, erreicht nun die Filmproduktion. Besonders seit das digitale Videoformat die einfache Bearbeitung der Filme auf jedem handelsüblichen PC ermöglicht, erblüht eine junge Szene von Hobbyfilmern,  die auf ihren Computern Dinge realisieren, für die früher ganze Rechnerparks nötig waren. Der auch im Internet verfügbare Kurzfilm 405 etwa zeigt, wie in Los Angeles ein Jumbo auf dem Highway 405 landet und ein Autofahrer dem Ungetüm zu entkommen versucht. Das Ganze sieht aus wie eine Potenzierung von Speed – hat aber nichts als Rechenzeit und ein paar Flugzeugfotos gekostet.

Digitale Technik ermöglicht einen Autor, der zugleich Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Kameramann und Schauspieler ist und seine Filme per Internet auch noch selbst vertreibt. Schon heute gibt es Tausende dieser Clips im Netz – von Actionfilmen mit Kaffeebohnen bis zum Leben eines schwulen Legomännchens.

Die Filmer von der Basis, nun selbst ausgestattet mit den nötigen Produktionsmitteln, haben wenig Respekt vor ihren großen Vorbildern. In The Award Showdown endet die Oscar-Verleihung an George Lucas und Steven Spielberg für ihr Lebenswerk mit einem Lichtschwertduell der beiden Giganten, die von putzigen, mit Acrylfarbe bemalten Knetfiguren dargestellt werden. 1900 Dollar hat der Film gekostet – inklusive der Hi-8-Kamera und der nötigen Animationssoftware.

George Lucas in Love, inzwischen ein kommerziell vertriebenes Video, verrät, wie Lucas die Idee zu Star Wars kam: Ein ungemütlicher, asthmakranker Nachbar (das Vorbild für den stets röchelnden Darth Vader) spielt ebenso eine Rolle wie ein Kiffer, der ständig von "der Macht" faselt. Beide Filme holen die Götter vom Himmel – und verehren sie dabei dennoch zutiefst. Joshua Meeter, der Regisseur von The Awards Showdown, sagt: "Ich habe den Film für Spielberg, Lucas, John Williams und Harrison Ford gemacht – und natürlich für alle Fans." Keiner der Fans käme auf die Idee, den neuen Star Wars-Film drehen zu wollen. Die eigenen Geschichten verdrängen nichts, sondern erweitern das bisher
Erzählte. Abgesehen von den immer noch gern produzierten unendlichen Lichtschwertkämpfen ohne Geschichte, erkunden die meisten Fan-Filme das Leben einer Nebenfigur der Originalwerke und spinnen es fort. Sie erweitern die Fiktion in Bereiche, die die Profis nie abdecken könnten. Sicher ein
Grund, warum Lucasfilm die urheberrechtlich doch problematischen Internet-Seiten toleriert, solange dort kein  Geld verdient wird. 

Ein anderer Grund für die friedliche Koexistenz ist das heutige Bemühen des Films um das Gefühl der Individualisierung. Star Wars – Episode I hat  das im Ansatz demonstriert: Den Zuschauer überkam das Gefühl, im Mittelpunkt einer Realität zu stehen, selbst den Blick auf bestimmte Teile des Star Wars-Universums zu richten. Der Plot trat da in den Hintergrund. Der Zuschauer will stärker in die perfekte Fiktion gezogen werden. Bereits 1997 zogen in den USA die Umsätze der Computerspielindustrie fast gleich mit denen der Filmstudios. Die alte Technik des Films, dem Zuschauer Identifikationsfiguren zu bieten, reicht da nicht mehr aus.

Hier kommen die Fans ins Spiel. Star Wars suggeriert heute mit seiner verwobenen Struktur von Fortsetzungen: Der Mythos ist eine Geschichte, die kein Ende hat, auch wenn sie einmal niedergeschrieben wurde. Die einzelnen Episoden erzählen immer nur einen Bruchteil des Ganzen. Nicht ohne Grund wirken bei George Lucas' vier Star Wars-Filmen Anfang und Ende letztlich nur wie eine willkürliche Trennung zwischen erzählter und unerwähnter Fiktion.

Die Fülle des Davor und Danach erzählen die Fan-Filme in Splittern. Dem Betrachter bleibt es überlassen, sie zusammenzufügen. So wie die Schwächung der Religion durch die Aufklärung den Roman hervorgebracht hat und das Ende der überschaubaren Gemeinschaft durch die vermassende Industrialisierung das Medium Film, so verlangen im Zeitalter der Digitalisierung und Vernetzung die neuen Medien auch nach neuen Erzählformen.

Der Fan-Film ist da kein unbequemes Medium für Lucas und Konsorten. Schließlich bleibt immer noch genug Platz für sie. Und die meisten Fan-Filmer träumen davon, eines Tages für die Großen zu arbeiten. Auch Joshua Meeter, der in The Awards Showdown gezeigt hat, dass man auch mit Knete, Acrylfarbe und ein bisschen Aluminium einen guten Film machen kann. 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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