Zum Inhalt springen

High-Tech-Show CES: Gates-Ausstand mit fiesen VIP-Videos und Weltscanner (Spiegel Online, 7.1.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

High-Tech-Show CES

Gates-Ausstand mit fiesen VIP-Videos und Weltscanner

Abschiedsparty für eine Legende. Microsoft-Gründer Bill Gates hat seinen letzten Auftritt auf der US-Hightech-Messe CES mit einem riesigen Bühnenfest gefeiert. Highlights: fiese Video-Scherze über ihn von Hillary Clinton, Barrack Obama, Steven Spielberg, Bono – und die Präsentation eines Weltscanners.

Spiegel Online, 7.1.2008

So zurückhaltend Gates auch lächelt und mit verschränkten Armen die Filmeinblendungen anschaut, die ihn feiern – er ist hier der Star. Denn neue Produkte stellt Microsoft an diesem Abend in Las Vegas zunächst nicht vor, große Ankündigungen gibt es auch nicht.

Es geht hier um Gates, der mit seinem hochgerutschten, unförmigen Pulli, der rutschenden Brille und dem Sieben-Dollar-Haarschnitt (O-Ton eines Gratulanten in einer Videoeinblendung) die Besucher anzieht.

Bill Gates’ letzter Arbeitstag

Gates erinnert sich an die vergangen zehn Jahre als die erste "digitale Dekade". Und ein wenig feiert Gates sich und seine Firma selbst. Damals habe er über die Elemente gesprochen, welche die Entwicklung vorangetrieben haben: viele mobile Endgeräte und Software, die sie alle vereinigt. Ein paar Erfolgszahlen präsentiert Gates als Abschiedsgeschenk:

  • Windows Vista nutzen laut Microsoft heute 100 Millionen Menschen
  • Windows Mobile läuft derzeit auf 20 Millionen verkauften Mobiltelefonen
  • Windows Live, Microsofts Familie von Online-Diensten, habe 420 Millionen Nutzer

Viel mehr Prahlerei ist von Gates nicht zu hören. "Das ist meine letzte Keynote", sagt er. Im Sommer werde er zum ersten Mal seit seinem 17. Geburtstag keinen Vollzeitjob mehr bei Microsoft haben. Und: Was soll er nur an seinem letzten Arbeitstag machen? So moderiert Gates ein selbstironisches Video an, das seinen letzten Arbeitstag zeigt.

Gates stellt am Schreibtisch mit Spielfiguren Schlachten nach ("Unterschätze nie die Macht der Software!") und telefoniert verzweifelt auf der Suche nach einer Beschäftigung herum. Zum Beispiel ruft er U2-Frontmann Bono an. Dem spielt Gates ein Gitarrenriff auf einer Plastikgitarre aus "Guitar Hero" als Bewerbung vor. Bono lehnt ab: "Ich kann The Edge nicht auswechseln, weil du einen High Score in Guitar Hero hast." Andere Promi-Gastauftritte: Steven Spielberg hadert mit Gates’ Filmideen, Hillary Clinton wimmelt Gates als Vizepräsidenten ab und Barrack Obama fragt nur erstaunt: "Bill? Bill Clinton?"

Gates schaut sich den Film mit verschränkten Armen an. Sein trockener Schlusskommentar: "Diese Darstellung entspricht nicht der Wahrheit." Übers Geschäft lässt Gates dann Kollegen sprechen: Microsoft-Managerin Mika Krammer zeigt die neuesten Funktionen des Microsoft-Dienstes Windows Live. Beeindruckend ist, wie sie im Webbrowser mehrere online abgelegte Landschaftsfotos per Stitching-Verfahren zu einem Panoramabild zusammenfügt. Nett für Videofans: Microsofts Videosuchdienst Movie Search zeigt gefundene Filme nun als anspielbare Miniaturen an. Für eher praktisch veranlagte Nutzer demonstrierte Krammer, wie man Kalender mehrerer Anwender ansehen (genauso wie beim Google-Kalender seit langem) und über einfach einzurichtende Webseiten Partys organisieren kann.

Die Zukunft liegt im Online-Vertrieb

Die größten Nachrichten des Abends lässt Gates Robbie Bach verkünden, Chef des Entertainment-Zweigs von Microsoft. Bach zieht sich geschickt aus dem Streit, ob denn nun die HD DVD oder Blu-ray das Format der Zukunft für hochauflösende Film-DVDs sei. "Der Online-Vertrieb wird künftig die treibende Kraft werden." Um diese Aussage zu untermauern, kündigte er auch gleich neue Content-Lieferanten für das Xbox-Live-Portal an. Künftig werde man Serien von Disney und ABC sowie Filme von MGM über das Online-Angebot auf die Xbox 360 laden können – natürlich in HD.

Außerdem kündigte er an, British Telecom werde Microsofts Konsole ab sofort als Set-Top-Box fürs Digitalfernsehen vermarkten. Zudem, so Bach, würden auf der CES verschiedene Hersteller neue Media-Center-Extender vorstellen, also Geräte, mit denen man etwa Videos vom PC auf den TV-Bildschirm bringen kann. Hewlett Packard kündigt in Las Vegas gar den ersten HD-Fernseher mit integriertem Media-Extender an. Ein Gerät also, das sich seine HD-Inhalte ohne Umweg über ein physisches Abspielmedium via Netzwerk besorgen kann.

Als gelungen wertet Bach Microsofts MP3-Player Zune. Die Ende 2007 eingeführte zweite Generation sei ein großer Erfolg und positioniere sich als "klare Alternative zum iPod", sagt Bach. Den Erfolg habe man zum Anlass genommen, den Zune jetzt auch außerhalb der USA zu verkaufen. Besonders weit wagt sich Microsoft nicht vor und beschränkt den Auslandsverkauf derzeit auf Kanada. Von Europa oder Asien war nicht die Rede.

Gates’ Weltscanner

Was den Zune gegenüber der Konkurrenz tatsächlich einzigartig macht, wurde anhand der Online-Funktion "people powered music discovery" gezeigt. So kann man seinen Zune bei jedem Datenabgleich mit dem PC verschiedene Listen über die persönliche Musiknutzung auf das Social-Networking-Portal "The Zune Social" laden lassen. Andere Nutzer können dann etwa Statistiken darüber abfragen, welche Songs und Interpreten man am liebsten hört oder gerade gehört hat. Passt das zum eigenen Musikgeschmack, lassen sich so neue Stile, Songs und Interpreten aufspüren.

Mit diesen Produkten wird sich Gates in ein paar Monaten selten beschäftigen. Einige seiner Lieblingsprojekte soll er noch vorantreiben. Vielleicht gehört dazu der Weltscanner, den er zum Abschied begeistert vorführt: Das Gerät soll per Bilderkennung Personen, Gebäude und Straßenzüge erkennen können, die es gerade aufnimmt. Gates schuhkartongroßer Prototyp erkennt zum Beispiel auf einem Foto ein Restaurant in Las Vegas, blendet Name, Menüs und Angebote ein. Ob das einmal als Handy-Ergänzung zur Unterwegs-Suchmaschine wird oder eine von Gates’ utopischen Vorhersagen bleibt?

Wenn aus dem Projekt Weltscanner nichts wird, bleibt Gates die Häme erspart, die ihn die vergangenen Jahrzehnte begleitet hat. Zum Abschied zieht er noch einmal die Gates-Show ab, liefert sich mit Microsoft Manager Bach ein "Guitar Hero"-Duell: Bach lässt eine Profispielerin antreten, Gates den Gitarristen Slash (Guns N’ Roses, Velvet Revolver). Ein lautes Solo, viel Kunstnebel, ein paar interessierte Blicke von Gates, dann hat Robbie Bach das letzte Wort. Er sagt zum Publikum: "Wir sehen uns nächstes Jahr." Bill Gates sagt nichts. Slash spielt ein Gitarrensolo, geht von der Bühne. Gates tritt auf der anderen Seite ab.

Ende einer Ära.

© SPIEGEL ONLINE 2008
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH

Artikel

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert