In anderen Sphären (Sonntagszeitung, 11.8.2002)
In anderen Sphären
Computerspiele können Flow-Zustand hervorrufen
Sonntagszeitung, 11.8.2002
«Man verliert das Ich-Bewusstsein, die Grenzen des Egos werden transzendiert, und man fühlt sich wachsen.» Um das zu erleben, muss man nicht meditieren. Eine Spielkonsole mit einem Exemplar des Actionspiels «Virtua Fighter» kann genügen, wie ein Versuch an der Londoner Brunel-Universität gezeigt hat. Ein Computerspieler erreichte dabei den gleichen Geisteszustand wie ein Leistungssportler: den so genannten Flow- Zustand.
Erfunden hat den Flow-Begriff der US-Psychologieprofessor Mihaly Csikszentmihalyi und mit jenen blumigen Worten von Transzendenz beschrieben. Costas Karageorghis, Sportpsychologe an der Brunel-Universität, definiert den Zustand pragmatischer: «Es ist eine psychologische Erfahrung, bei der alles stimmt. Fähigkeiten und Anforderungen sind perfekt aufeinander abgestimmt, man ist wie per Autopilot gesteuert und empfindet Vergnügen.» Spitzensportler erreichen so ihre besten Leistungen.
Beim Experiment liess Karageorghis einen Profispeerwerfer und einen Hardcore-Spieler jeweils eine halbe Stunde lang ihrer Lieblingsdisziplin nachgehen. Dann füllten beide einen standardisierten Fragebogen zur Messung des Flow- Zustandes aus. Das Ergebnis: Beide erreichten ähnlich hohe Werte. Immer mehr Psychologen entdecken Computerspiele als Forschungsfeld. Dabei ist sich die Forschung nicht einig, ob die Gamer durchs Spielen verblöden oder ob die Computerspiele Wahrnehmung, Vorstellungskraft und Erinnerungsvermögen verbessern. Karageorghis will keine derart pauschalen Urteile fällen: «Im Flow-Zustand steigt die Leistung generell, weil man Vergnügen empfindet – egal, ob man spielt, Sport macht oder arbeitet. Computerspiele sind einfach ein sehr guter Weg, um abzuschalten und wahre Befriedigung zu erfahren.» Also doch Meditation? Wohl nur, wenn man eher auf Entspannung als Erleuchtung aus ist. Karageorghis jedenfalls warnt: «Exzessives Spielen kann die Entwicklung bestimmter geistiger Qualitäten beeinträchtigen. Man sollte massvoll spielen.»
Positiver äusserten sich vor einem Jahr die britischen Psychologen Jo Bryce und Jason Rutter. Das Ergebnis ihrer Untersuchung von Spielern: «Ihr Geist und Körper arbeiten besser als bei den meisten Menschen zusammen.» Ähnliches berichten amerikanische Forscher wie Patricia Greenfield und Robert Kraut. Ein japanischer Wissenschaftler hingegen behauptete vor kurzem, dass Spiele die Gehirnaktivität stören würden. Es bleibt also noch viel zu erforschen. Nicht zuletzt weil bisher weder die Wirkungen einzelner Spielgenres beschrieben noch wirklich repräsentative Versuchsgruppen gewählt wurden.