In öffentlicher Mission (taz, 26.10.2000)
In öffentlicher Mission
Die US-Geheimdienste spielten eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Internet – die Legende verklärt das Web zum "Abfallprodukt des Kalten Krieges". Der ist vorbei, doch die Geheimdienste mischen weiter mit. Als Risiko-Kapitalgeber zum Beispiel.
taz, 26.10.2000
Früher hat Gilman Louie Computerspiele wie den Flugsimulator Falcon programmiert. 1998 verkaufte er seine Firma Microprose für 70 Millionen Dollar an Hasbro. Heute arbeitet er für den US-Auslandsgeheimdienst CIA. Als Präsident des CIA-Wagniskapitalgebers In-Q-Tel
soll er allein in diesem Jahr etwa 58 Millionen Dollar in Silicon Valley Start-ups investieren, deren Produkte für die CIA interessant werden könnten.
Bei den geförderten Projekten fällt auf, dass sie eigentlich für eine zivile Nutzung geeignet und gedacht sind. Für die Entwicklung des Programms "netEraser" etwa stellt die CIA dem Unternehmen Science Applications International Corporation (SAIC) drei Millionen Dollar zur Verfügung. netEraser soll die Anonymität von Internet-Nutzern garantieren, indem es die IP-Adresse ständig wechselt. Gleichzeitig soll es Internetseiten vor Denial-of-Service Attacken von Hackern schützen.
Ein Geheimdienst als Garant von Sicherheit und Anonymität im Netz? Ja, aber mit Hintergedanken, denn anonym bleiben auch die Agenten der Geheimdienste ganz gern. Das vermeidet Peinlichkeiten: Als im Vorfeld der Rückgabe Hongkongs an China der Meinungskrieg zwischen Anhängern Chinas und demokratisch orientierten Hongkong-Chinesen tobte, fielen in den Foren des Usenet einige "Poster" mit wüsten Beschimpfungen und Diffamierungen demokratischer Politiker auf. Dejanews-Recherchen über einen dieser angeblich "privaten" Verfasser ergaben, dass er binnen weniger Wochen rund 20.000 Forumsbeiträge verfasst hatte. Erwischt: Das roch doch sehr nach einer koordinierten Aktion – "anonymisiert" wäre das kaum passiert.
Es kommt noch besser. Als die Sowjetunion 1958 ihre technische Überlegenheit mit dem Start des Sputnik-Satelliten demonstrierte, gründete das US-Verteidigungsministerium die Defence Advanced Research Projects Agency DARPA. Ihre Aufgabe: Forschungsprojekte fördern, die so futuristisch sind, dass sie kaum auf Gelder aus der Wirtschaft hoffen können. Von dem jährlichen Budget von etwa zwei Milliarden Dollar fließt heute ein Großteil in Informationstechnologien.
Etwa an das 1994 gegründete World Wide Web Consortium. Jährlich 30 Millionen Dollar steckt die DARPA in das Projekt Next Generation Internet (NGI), einem auf neuer Soft- und Hardware beruhendem Netz, das laut Wissenschaftlern mit einer 1000 mal höheren Geschwindigkeit als das heutige Netz in fünf bis zehn Jahren auch für private Nutzer verfügbar sein soll.
Die Darpa Agent Markup Language (DAML) soll in ferner Zukunft im Netz zur "Lingua Franca" für künstliche Intelligenzen werden. DAML würde im Netz Zugriff auf den Code von Computerprogrammen, Daten von Satelliten, Sensoren und allen angeschlossenen Maschinen ermöglichen. Computer hätten die Menschen nicht mehr als Vermittler zur physischen Welt nötig.
Gerade bei diesem Projekt wird der Hintergrund der IT-Offensive von DARPA, CIA und Konsorten deutlich: Es ist der Versuch, die technische Definitionsmacht wiederzugewinnen.
Das "Q" in Gilman Louie's Firma In-Q-Tel erinnert ganz bewusst an den Ausstatter von James Bond. In der Zeit, als Raketen, Autos und Düsenflugzeuge Symbole der Zukunft waren, galten Geheimdienste mit ihren Martini trinkenden Mitarbeitern in dunklen Anzügen und den Wissenschaftlern in weißen Kitteln gemeinhin als technische Avantgarde. Heute sind es junge Menschen in Jeans, die Pizza essen, nächtelang in irgendwelchen Garagen vorm Computer hocken und an die Börse gehen, statt in die Wissenschaft.
Die Wirtschaft hat die Wissenschaft auch als treibende Kraft des Internets abgelöst: Börse statt Labor. Und auch das Vorgehen der Geheimdienste hat sich geändert: Wagniskapital statt Forschungsgelder. Auch die Begründung für den Anspruch auf die technische Definitionsmacht ist eine andere: Nicht mehr der Klassenfeind, sondern "Cyberterroristen, ein bösartiger Hacker oder selbst ein nicht feindselig gesinnter Hacker", wie es Michael Hayden, Chef des US-Geheimdienstes NSA vor kurzem bei der National Information Systems Security Conference ausdrückte. Partnerschaften mit der Industrie müssten ausgebaut werden, um die Sicherheit der Computernetze zu stärken. NSA-Beamte waren mehr als "nur" Gäste auf der Konferenz: Der Geheimdienst stellte auch einen der zwei Moderatoren.
Solche Schauermärchen von Cyberterroristen erinnern an die in den frühen sechziger Jahren in den USA gefürchtete "missile gap" gegenüber der Sowjetunion. Damals gab die DARPA Unsummen für Spionagesatelliten aus. Heute weiß auch die Öffentlichkeit, dass die Übermacht der sowjetischen Raketen weit geringer war, als sie der Öffentlichkeit nicht nur vor Budgetzuteilungen dargestellt wurde. Die Angstmache erfüllte ihren Zweck: Gelder flossen in die Industrie, der technologische Boost stärkte die Position der amerikanischen Wirtschaft – und die der Geheimdienste.