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Indie-Label Tapete: "Tausend verkaufte Newcomer-Alben - das ist ein Erfolg" (Spiegel Online, 17.8.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Indie-Label Tapete

“Tausend verkaufte Newcomer-Alben – das ist ein Erfolg”

Tapete Records ist eines der größten Independent-Label Deutschland, hat auch US-Künstler unter Vertrag. Mitgründer Gunther Buskies, 35, erklärt, warum er sich trotzdem jeden Monat nur 500 Euro auszahlen kann und warum die Download-Einnahmen klein, aber wichtig sind.

Spiegel Online, 17.8.2010

{jumi [*3]}

Zum Special auf Spiegel Online (Interaktive Grafik, Statistiken, Hörproben, O-Ton-Protokolle):

musikgeschft

 

Der Unterschied zwischen Independent und Major-Label? Ich kenne ja beides, ich war früher bei Universal und habe da bei einem Projekt Dirk Darmstaedter kennen gelernt. Wir beide kannten Künstler, die wir klasse finden, aber die kein Label hatten. Für die haben wir Tapete Records gegründet. Wir versuchen bei Tapete, nicht einfach so Sachen hochzuwerfen, um zu gucken, ob sie von alleine fliegen. Wir arbeiten langfristig. Wir richten die Sache so aus, dass man, wenn die erste Platte floppt, eine zweite und eine dritte machen kann.

Wir wollten den ökonomischen Druck und die damit verbundene heiße Luft rausnehmen. Wir kalkulieren realistisch: So und so viel darf eine Platte kosten, damit man ohne Bauchschmerzen sagen kann, wir haben jetzt vielleicht Geld verloren, aber wir können weitermachen. Wenn du sagst: Prima yippie yeah, ich investiere so viel, dass ich 20.000 Stück verkaufen muss, damit das ein Erfolg wird, dann ist das ein immenser Druck, und man manövriert eine Künstlerkarriere mit so etwas in eine Gefahr. Denn leider ist Erfolg in unserem Geschäft nicht immer planbar. Playlists und Plakatwände garantieren nichts.

Wir führen unsere Firma so, dass wir realistische Ziele mit den Künstlern vereinbaren. Wenn ein Newcomer meint: Joah, 5000 CDs ist ein Erfolg, dann muss man da gleich mal sagen: Die Realität sieht anders aus. Wenn wir es schaffen, von einem Newcomer 1000 CDs zu verkaufen, dann ist das super. Das muss man als Erfolg betrachten. Und wenn man dann leider nur 500 verkauft, ist es natürlich traurig, aber man kann die Zusammenarbeit fortsetzen.

15 Prozent der Verkaufsumsätze online

Natürlich finden wir als Menschen, die in den Achtzigern groß geworden sind geiler, wenn da 140 Platten im Regal stehen und du sagen kannst, die gäbe es ohne unser Dazutun wahrscheinlich nicht.

Der Online-Vertrieb ist für kleine Label sehr attraktiv, weil wir da kein Warenrisiko haben. Deshalb lassen sich Online- und Tonträger-Umsätze auch nicht so leicht vergleichen. Bei Tonträgern fallen ganz andere Stückkosten an, zum Beispiel für die Herstellung und die Gema, die fällig ist, egal ob du die CD verkaufst oder nicht. Das Risiko, auf diesen Fixkosten sitzen zu bleiben, ist also immer gegeben. In unserem Büro stehen 3000 CDs eines Albums mit Bonus-DVD rum, die in der Herstellung mit Gema schätzungsweise je vier Euro gekostet haben. Diese 12.000 Euro sind erstmal futsch.

Deshalb sind Downloadverkäufe großartig, und wir geben unseren Künstlern von diesen Einnahmen auch einen höheren Anteil ab als bei physischen Tonträgern. Da fließen 35 Prozent an die Künstler, was ich für einen fairen Deal halte. Anders als bei vielen anderen Firmen gibt es bei uns auch keine versteckten Kosten oder Abzüge in unseren Verträgen, womit scheinbar hohe Künstleranteile klein gerechnet werden. Da werden zum Teil für digitale Verkäufe Verpackungs- und Technikkosten abgezogen. Leute, welche Verpackung?

Jahresbilanz: 600.000 Euro Umsatz, 8.000 Euro Verlust

2009 haben sich bei Tapete die beiden großen Bereiche Label und Booking finanziell getragen. Wir hatten einen Umsatz von knapp 600.000 Euro und einen Verlust von 8.000 Euro. Es war bisher immer so, dass wir uns von Jahr zu Jahr zwischen ein bis zwei Prozent Verlust und Gewinn bewegen.

Das zeigt, und das soll kein Eigenlob sein, dass wir ein sehr realistisch kalkulierendes Unternehmen sind. Wir machen eine Jahreskalkulation, sobald ich weiß, welche Platten kommen. Dann ist klar: Wir haben drei Newcomer, dann kommt die neue Anajo oder Tele und dann brauche ich im zweiten Halbjahr noch ein paar Platten in der und der Größenordnung. Daraus mache ich einen Jahresplan mit drei Szenarien: Worst Case, realistisch und das Alles-läuft-super-Szenario. Das Worst-Case-Szenario muss so aussehen, dass die Firma daran nicht zu Grunde geht.

132.000 Euro Fixkosten

Die Firma verursacht momentan 11.000 Euro im Monat an Fixkosten, auch wenn wir gar keine Platten veröffentlichen und kein einziges Konzert buchen. Bei Tapete arbeiten jetzt die zwei Inhaber, drei Festangestellte, zwei quasi Fulltime-Freelancer, die kurz vor einer Festanstellung stehen und zwei Praktikanten. Das ist von der Manpower wohl eines der größten Indie-Labels in Deutschland. Es gibt aber leider auch nicht mehr viele. Wir bringen im Jahr 15 bis 18 Platten raus, das ist ein Output, den eigentlich sonst niemand hat. Von diesen Veröffentlichungen und den Konzerten muss jeden Monat das Team bezahlt werden, die Miete, das Telefon…

Natürlich verkauft man bei Newcomern selten genug, um allein mit den Tonträgerverkäufen die Fixkosten zu bezahlen. Deshalb haben wir eine Mischkalkulation: Die Einnahmen aus dem Musikverlag kommen dazu, die Einnahmen aus der Booking-Agentur. Trotzdem ist es so, dass etwa 80 Prozent der Newcomer-Alben sich hinten und vorne nicht rechnen.

Wir haben keine Rücklagen. Woher auch? Wenn etwas übrigbleibt, nimmt es dir das Finanzamt weg, und wenn du nichts hast, ist da eben – nichts. Wer in unseren kleinen Größenordnungen ehrlich wirtschaftet, hat keine Chance, Rücklagen zu bilden, so kommt mir das zumindest vor.

Bei Liquiditäts-Problemen hilft der Vertrieb

Die Jahresbilanz zeigt, dass wir über die Runden kommen, aber das Problem sind die Wellenbewegungen. Wenn es mal zwei Monate einen Liquiditätsengpass gibt, weil wir nicht genug verkaufen und die Fixkosten höher sind als die Einnahmen, müssen wir das irgendwie überbrücken. Wir haben zum Glück super Geschäfts-Partner: mit unserem Vertrieb arbeiten wir schon sehr lange und gut zusammen. Mittlerweile sind wir wichtig genug für die und wenn es mal einen Engpass gibt, sagen die Kollegen auch manchmal: “Wir wissen, dass die Platten in zwei, drei Monaten kommen und überweisen einen Teilbetrag vorab.”

500 Euro Monatsgehalt für den Mitinhaber

Nun ja, wer viel Geld ohne großes Risiko verdienen will, sollte was anderes machen. Das geht aber allen Indie-Labels so. Alle verdienen viel zu wenig, dafür haben sie aber einen Job, der ihnen Spaß macht und Erfüllung gibt. Aber bei uns ist das Ziel auf jeden Fall: Gegen den Trend wachsen. Denn wenn die Firma wächst und mehr Geld übrig ist, dann können wir auch die Gehälter der Mitarbeiter erhöhen.

Sechs Jahre lang haben Dirk und ich für Tapete ohne Bezahlung gearbeitet, ich habe mich über freie Jobs für große Labels finanziert und meine eigenen Backkatalog-Projekte, dafür habe ich ein eigenes Reissue-Label aufgebaut. Im Moment zahlen wir uns 500 Euro im Monat aus. Mit den Einnahmen aus dem Reissue-Label komme ich über die Runden und kann meine Familie, zwei Kinder, finanzieren. Eine Rentenversicherung gibt es nicht. Im Vergleich zur Festanstellung bei Universal bedeutet all das eine Halbierung des Lebensstandards. Das muss man in Kauf nehmen und eine Familie haben, die das akzeptiert.

Die Firma wächst in den letzten Jahren vor allem international. Wir haben schwedische, amerikanische, englische Künstler gesucht, um international attraktive Musik zu veröffentlichen. Eines unserer Ziele war von Anfang an, dass ein Künstler wie Lloyd Cole mal seine Platte bei uns rausbringen möchte. Und jetzt erscheint im September sein neues Album bei uns, das ist für uns ein wichtiger Meilenstein und hilft uns international, weil wir davon sehr viel im Ausland verkaufen werden.

Booking ist ein risikoarmes, notwendiges Zusatzgeschäft

Live-Geschäft und umfassende Rechte an der Musik sind sehr wichtig für die Firma. Wir können keinen Newcomer an das Label binden, der nicht bei uns im Verlag und im Booking ist. Booking ist ein vergleichsweise risikoarmes Geschäft. Wenn ich als Label ein Newcomer-Album mache, muss ich erst mal recht viel ausgeben und viel Zeit reinstecken, um das anzuschieben. Eine reine Booking-Agentur hat solche Anschubinvestitionen in der Regel nicht und kann sich im Idealfall an eine gut laufende Veröffentlichung mit den Konzerten dranhängen. Booking und Verlag sind für uns notwendige Zusatzeinnahme, bei denen man zusätzlich etwas davon ernten kann, was man als Label zuvor reingesteckt hat.

Die langfristigen Rechte sind wichtig, um irgendwann einen größeren Teil des Umsatzes mit der Zweitverwertung der Musik erwirtschaften zu können. Also dass Volkswagen in zehn Jahren den Song ‘Du kannst mich an der Ecke rauslassen’ von Niels Frevert für einen Spot verwenden möchte. Da haben wir mittlerweile einen Pool von 2000 Songs, die wir für solche Zwecke anbieten können.

Wir haben nicht genug Geld, um jemanden hinsetzen zu können, der den halben Tag versucht, Songs in der Werbung unterzubringen. Da ist mir die Promo bei Medien wichtiger. Ich hoffe lieber auf begeisterte Redakteure, die unsere Künstler entdecken und vorstellen, weil die Musik ihnen gefällt. Dass jemand findet, der Song könnte gut Autos verkaufen… Das ist eigentlich ein Geschäft, das meinem vielleicht konservativen Verständnis von Labels widersprich. Wenn ich darauf angewiesen bin, dass meine Songs bei Grey’s Anatomy laufen, dann möchte ich den Job nicht mehr machen.

SPIEGEL ONLINE hat die Kleinen und Mittelgroßen der Branche gefragt, was sie aus der Krise machen und protokolliert, wie man heute von Musik lebt.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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