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Inflationsgefahr in fernen Galaxien (Süddeutsche Zeitung, 10.6.2003)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Inflationsgefahr in fernen Galaxien

Wer Online-Rollenspiele entwickelt, muss etwas von Volkswirtschaftslehre verstehen

Süddeutsche Zeitung, 10.6.2003

Glaubt man der Werbung, werden Computerspiele zum Hit, wenn sie eine beeindruckende Grafik besitzen. Haden Blackman ist da anderer Meinung: „Entscheidend ist das gezeigte Wirtschaftssystem.“ Blackman hat das Online-Rollenspiel „Star Wars Galaxies“ produziert, das Ende Juni starten soll. Wie erfolgreich das Spiel mit Wookies, Zabraks, imperialen Sturmtruppen und Droiden wird, hängt von der Ökonomie ab. Und hier geht Blackman neue Wege: „Man kauft Waren nicht von computergesteuerten Figuren, sondern von einem anderen Spieler.“

Blackman versucht so weiter zu spinnen, was seine Kollegen bei „Dark Ages of Camelot“ oder „Ultima Online“ schon entdeckt haben: Erfolgreich werden die Rollenspiele nur mit einer funktionierenden Wirtschaft. Denn die Spieler erreichen neue Niveaus, erwerben neue Fähigkeiten und eine bessere Ausrüstung für ihre Figuren nur dann, wenn sie ökonomisch erfolgreich sind. Anfangs müssen sie zum Beispiel Wölfe jagen und deren Fell verkaufen, um zu überleben, später können sie Burgen oder Statussymbole erwerben. Handeln sie mit selbst gefertigten Gütern, wird das soziale Netz der Spieler engmaschiger und die Bindung ans Spiel größer. Spüren sie dagegen, dass sie das durch harte Arbeit in langen Spielstunden erworbene Vermögen durch Inflation verlieren, kündigen sie schneller das Spielabonnement.

Diese Bedeutung der Ökonomie stellt Spieldesigner vor neue Aufgaben: Sie tragen die Verantwortung für eine funktionierende Volkswirtschaft und stehen vor einem Dilemma. Einerseits wollen die Spieler eine niedrige Inflationsrate, die erbeuteten Schätze sollen auch nach Monaten noch etwa denselben Wert haben. Andererseits verlangen fast alle Teilnehmer, dass ihre Charaktere ständig reicher und mächtiger werden. Dadurch ist Inflation eigentlich vorprogrammiert.

Carsten Schmidt vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena sieht hier bekannte Fragen der Ökonomie: „Inflation bei Online-Rollenspielen ist ein Problem der Geldmengensteuerung. Um den Wertverfall zu vermeiden, sollten sich Spielehersteller an den Strategien erfolgreicher Zentralbanken orientieren.“

Die Macht dazu haben die Spieldesigner jedenfalls. Da die Wirtschaft von Onlinespielen allein im zentralen Server existiert und jeder Verkauf von der Software festgehalten wird, besitzen sie Wirtschaftsdaten, um die sie jede Regierung der realen Welt beneiden würde. Das Problem ist allerdings die Auswertung, sagt Dave Rickey, der das Wirtschaftssystem von „Dark Age of Camelot“ entwickelt hat: „Seit ein paar Monaten beschäftigen wir uns mit Data- Mining. Wir finden gerade erst heraus, wozu die Informationen gut sind.“ Bislang kann man schon analysieren, in welcher Region etwa ungewöhnliche Geldmengen produziert werden. Die Werkzeuge können auch bestimmen, wie schnell einzelne Charakterklassen aufsteigen. „Die Programme sagen uns bloß nicht, was wir tun sollten. Meistens ist es aber ohnehin besser, nichts zu tun, weil die Spieler zu viele Eingriffe nicht mögen“, führt Rickey aus.

Als Zentralbankiers arbeiten Spieldesigner derzeit mit zwei Strategien. Die eine ist es, die Wirtschaft zu reglementieren und immer neue Abflüsse für das Geld zu bohren: Je reicher Spieler werden, desto exklusivere, seltenere und vor allem teurere Güter entwickeln Designer für sie. Zum Beispiel pinkfarbene Haare, die im Spiel „Ultima Online“ viel Geld verschlungen haben. Da solche Güter zunächst nur bei computergesteuerten Charakteren zu bekommen sind, können die Designer so Geld aus dem Spiel abschöpfen. Das tolerieren die Teilnehmer auch, sagt Rickey: „Die Wirtschaft fühlt sich für die Spieler gut an, wenn es immer etwas gibt, was sie haben wollen, sich aber nicht leisten können.“

Weit anspruchsvoller soll die Ökonomie von „Star Wars Galaxies“ werden: Die Spieler stellen dort alle wertvollen Gegenstände selbst her. Sie müssen dazu Rohstoffe sammeln und Zeit für die Produktion aufwenden. Für ganz besondere Objekte wie die Lichtschwerter müssen viele Spieler die Fähigkeiten ihrer Charaktere vereinen. So steigt die Menge des Geldes und der Wertsachen nicht wie bei anderen Spielen automatisch. Auch die Preise werden nicht zentral festgesetzt, sondern durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Produzent Blackman sieht hier einen höheren Realismus am Werk, als ihn Grafikkarten vermitteln können: „Wie in den Marktwirtschaften der realen Welt werden die Preise durch viele Handelsversuche bestimmt.“

Das konsequent durchzuhalten scheitert daran, dass es nicht genügend Spieler gibt, um das gesamte Wirtschaftsgeschehen auszuhandeln. Dafür wollen einfach zu wenige ihre Freizeit als Bauer, Bäcker oder Blumenhändler verbringen. Einen Teil von Angebot und Nachfrage müssen die Designer also zwangsläufig simulieren. Das ist gerade für Anfänger wichtig, die anderen noch nichts verkaufen können. Manches Tier, das sie erjagen können, hätte für normale Bewohner des Star-Wars-Universums zwar durchaus einen Wert – nur spielt niemand Durchschnitts-Typen. Also gibt es auch in „Star Wars Galaxies“ computergesteuerte Nachfrage. „Das ist gerade für junge Spieler nützlich, die noch keine Kontakte im Spiel haben“, sagt Blackman.

Manche Anfänger kommen aber auch auf direkterem Weg zu Reichtum und Macht: Sie kaufen sich virtuelle Güter bei Onlineauktionen und bezahlen dafür reales Geld. Bei E-Bay kann man heute Geld, Häuser und sogar Charaktere aus Spielen wie „Ultima Online“ oder „Dark Age of Camelot“ ersteigern. Wer unbedingt der mächtige Kerl mit den pinkfarbenen Haaren sein möchte, schickt einen Scheck und bekommt per E-Mail die Zugangsdaten, mit denen er sich in seiner neuen Rolle einloggt. Wird ein Gegenstand verkauft, dann verabreden sich Käufer und Verkäufer an einem Ort im Spiel und übergeben ihn dort, sobald der Kaufpreis in der Realität bezahlt ist.

An dieser Schnittstelle von Spiel und Wirklichkeit betreten Spieler und Designer juristisches Neuland: Wem gehört eigentlich eine Spielerfigur und das von ihr verdiente, virtuelle Geld? Der Betreiber von „Everquest“, Sony Online Entertainment, behauptet, der Spielehersteller besitze wegen des Urheberrechts die alleinige Verfügungsgewalt, und geht gegen den Offline- Handel mit Gütern vor. Andere Unternehmen wie Origin, der Betreiber von „Ultima Online“, tolerieren dagegen solche Geschäfte. Auch die Spieler sind gespalten, sagt Julian Dibbell von der Stanford Law School: „Einige lehnen es ab, dass man Status im Spiel kaufen kann. Andere, gerade wenn sie zu neuen Titeln wechseln wollen, begrüßen den finanziell erleichterten Transfer.“

Längst ist der Handel zwischen Welt und Spiel so umfangreich, dass erste Wirtschaftswissenschaftler Wechselkurse berechnen. Drei Millionen Dollar Umsatz bringen virtuelle Gütern pro Jahr, schätzt Bob Kiblinger. Der Betreiber von www.uotreasures.com nimmt bisweilen bei einer Auktion – etwa für eine günstig gelegene Burg – 1200 Dollar ein. Schwerter kosten dort zwischen sechs und dreißig Dollar. Kiblinger wird für harte Arbeit bezahlt, wenn er in 20 und mehr Spielstunden pro Woche erworbenen Güter verkauft. Auch Julian Dibbell schlägt sich auf die Seite der Verkäufer: „Sie empfinden zu Recht, dass sie Werte geschaffen haben, die ihnen auch zustehen.“

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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