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Interaktive Clips: Die besten Gratis-Videospiele auf YouTube (Spiegel Online, 28.9.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Interaktive Clips

Die besten Gratis-Videospiele auf YouTube

Zocken statt glotzen: Mit ein paar Tricks basteln Hobbyregisseure aus YouTube-Filmchen kleine Gratis-Online-Spiele zusammen. Der Spieler entscheidet per Mausklick, wie es weitergeht. SPIEGEL ONLINE zeigt die besten Videospielchen.

Spiegel Online, 28.9.2008

{jumi [/images/jumisk/sharethis.php]}

Armes, kleines Auto: Erst prasseln Steinbrocken auf das knubbelige
Cartoon-Gefährt im YouTube-Clip "A car’s life". Dann jagt dem Autochen
ein riesiger Schrottgreifer hinterher, eine Bombe kullert auf die
Fahrbahn, eine Feuersbrunst blockiert den Weg und so weiter.

{jumi [/images/jumisk/google420.php]}

Jede Bedrohung taucht in einem neuen Videoclip auf – die üblichen
sekundenkurzen YouTube-Schnipsel eben. Mit einer Ausnahme: Die Macher
von "A car’s life" lassen die Zuschauer spielen. "Klicken Sie, um das
Auto zu retten", steht am Anfang des ersten Clips.

Und so funktioniert die Filmchenreihe dann auch: Kurz bevor die
nächste Gefahr auftaucht, ist für einen Augenblick irgendwo im
Videofenster ein Knopf zum Anklicken zu sehen. Wer den schnell genug
erwischt, rettet das Auto ins nächste Level (siehe unten).

Die Technik dieses Spiels ist ganz simpel: Die Macher haben die
Kommentarfunktion des YouTube-Portals zweckentfremdet. Mit diesem
Werkzeug soll man eigentlich mehr oder weniger sinnvolle Anmerkungen in
das Videofenster tippen. Aber man kann auch Verweise auf andere Filme
im Video plazieren. Wer die anklickt, wird automatisch zu einem anderen
Film weitergeleitet.

Autos retten, Strichmännchen ärgern, Kartentrickser entlarven – SPIEGEL ONLINE zeigt die interessantesten YouTube-Spielchen.


"A car’s life" – Retten Sie das Knuddelauto!

In "A car’s life" funktioniert das so: Das Knuddelauto rast auf eine
Feuersbrunst zu. Verpasst man den Rettungsknopf, rast der Wagen in die
Flammen und fängt Feuer. Erwischt man aber rechtzeitig den
Rettungsknopf, läuft fast unbemerkbar ein anderes Video mit besserem
Ausgang weiter: Eine Wolke zieht plötzlich auf und regnet das Feuer
aus.

{youtube}4ahyHfNqquQ{/youtube}

Mit jedem neuen Clip – also gewissermaßen in jedem weiteren
Spiellevel – steigt der Schwierigkeitsgrad ein wenig, der Rettungsknopf
wird für einen immer kürzeren Zeitraum eingeblendet. Acht Level haben
die Macher der indischen IT-Firma Hexolabs bislang bei YouTube
eingestellt.

Natürlich ist die Interaktivität dieses Spiels arg begrenzt – das
Spielprinzip erinnert ein wenig an die sogenannten interaktive Filme,
die in den achtziger Jahren auf Laserdisc und in den frühen neunziger
Jahren auf CD-Rom für kurze Zeit boomten. Damals mussten Spieler in
Titeln wie "Dragon’s Lair" im richtigen Moment den Joystick bewegen, um
dem Helden weiter in dem knapp 30 Minuten langen Filmchen zuzugucken.

"La Linea" – Ärgern Sie das Strichmännchen!

La Linea, oder kurz Lui kennt jeder – wenn auch nicht unbedingt
unter diesem Namen. Lui ist das Stichmännchen, das man heute immer noch
auf den Werbebildschirmen in U-Bahn-Haltestellen sieht. Er besteht aus
einem weißen, mageren Strich auf farbigem Hintergrund und viel, viel
Zorn.

Lui regt sich immer über seinen Zeichner auf, schimpft und zetert, weil der Zeichner ihm immer neue Probleme in den Weg legt.

Das
Strichmännchen La Linea
läuft auf seiner weißen Linie immer geradeaus, dann hört sie meistens
plötzlich auf. Lui schimpft, verlangt vom allmächtigen Zeichner eine
Brücke, einen Weg – irgendetwas, das ihm Halt in seiner Comic-Welt
gibt. Dann malt der fiese Zeichner zum Beispiel eine Schildkröte, die
harmlos aussieht und dann ganz unerwartet auf Lui losgeht.

Seit 1969 unterhält diese Figur des italienischen Zeichners Osvaldo Cavandoli (
mehr zu Cavandoli bei SPIEGEL WISSEN) die Zuschauer.

Der kanadische Hobby-Filmemacher Patrick Boivin hat sich einen Traum
erfüllt, den wohl jeder "La Linea"-Fan schon einmal hatte: Einmal als
allmächtiger Zeichner dem Nörgler selbst Hindernisse in den Weg legen.

{youtube}RZzlezxLu7s{/youtube}

Blumen, Aufzüge, Häschen, Elefanten – und all diese Hindernisse
reagieren so ganz anders als man es erwartet. Und erst recht anders als
Lui es will.

"Tube-Adventures" – Interaktive Filme wie vor 15 Jahren

 

Die YouTube-Spielchen "A car’s life" und "La Linea interactive"
haben dank der minimalistischen Zeichnungen und des winzigen
ausschließlich visuell funktionierenden Plots (das Autochen rast aufs
Feuer zu – das ist die ganze Geschichte) einen ganz eigenen Charme.

Ein putziges Zwischending aus YouTube-Clip und Minispielchen – diese
Idee hat man so noch nicht gesehen. Wo auch – das funktioniert nur mit
den zweckentfremdeten YouTube-Werkzeugen. Besonders charmant dabei: Auf
diese Anwendung sind nicht mal die YouTube-Macher selbst gekommen, das
ist echter "user-generated content".

Etwas ganz anderes versuchen YouTube-Regisseure, die aus
selbstgedrehten Clips Adventure-Spiele zusammenklicken: Der spanische
Hobby-Regisseur Victor Losa aus Madrid zum Beispiel hat mit "Tube
Adventures" ein sehr aufwändiges Spiel im alten Adventure-Stil aus
YouTube-Clips produziert – mit einem angenehm ironischen Beigeschmack.

{youtube}BckqqsJiDUI{/youtube}

Aufgabe des Spielers ist es, eine Bäckerei zu finden, damit der Held
des Adventures frühstücken kann. Von Video zu Video klickt man sich
durch sein Viertel, trifft merkwürdige Figuren, die Straßen sperren und
vom Spieler eine Gegenleistung verlangen. Zum Beispiel den Ohrring
eines Mitglieds des A-Teams.

Dieser Humor versöhnt einen mit dem antiquierten Spielprinzip.
Videoclips, die eine Story erzählen und die Rolle des Spielers darauf
beschränken, am Ende jedes Clips zwischen vorgegebenen Alternativen zu
wählen – das erinnert sehr an das Genre der CD-Rom-Adventures der
neunziger Jahre.

Süße Kätzchen und fiese Kartentricks

Der Kalifornier Cory Williams, 27, hat mit einem Musikvideo seines
Kätzchens Sparta schon im vorigen Jahr die YouTube-Charts gestürmt. Nun
versucht er es wieder, mit einem Clip-Spielchen, in dem es darum geht,
Sparta in Williams Wohnung wiederzufinden.

{youtube}1lFfNDFDUuA{/youtube}

Das ist mäßig witzig – man sucht eben alle Zimmer ab und guckt nach
jedem Klick Williams dabei zu, wie er weiterläuft und sucht. Aber in
fünf Monaten hat Williams damit immerhin 1,2 Millionen Zuschauer und
Mitspieler gelockt.

Warum?

Im Vergleich zu kleinen YouTube-Meisterwerken wie "A car’s life" und
"La Linea interactive" ist das bei der Kätzchensuche schwierig zu
beantworten. Das IT-Blog " Silicon Alley Insider"
hat es so versucht: "Williams weiß, dass Leute ihre Zeit bei YouTube
totschlagen, Katzen mögen und etwas, irgendetwas suchen, das sie machen
können."

Zum Beispiel Kätzchen suchen.

Oder auf
Kartentricks reinfallen.

{jumi [/images/jumisk/google720.php]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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